1. Home
  2. People
  3. Swiss Stars
  4. Ex-Fussballer Benjamin Huggel und Eishockeyaner Severin Blindenbacher helfen Sportlern, den Übergang ins zweite Leben zu schaffen

Beni Huggel & Severin Blindenbacher

«Ich stand plötzlich vor einer Leere»

Wie findet man nach der Sportkarriere eine neue Identität? Benjamin Huggel und Severin Blindenbacher haben eine Firma gegründet, die genau da ansetzt. Sie wissen selbst am besten, wie schmerzhaft dieser Übergang sein kann.

Artikel teilen

Beni Huggel und Severin Blindenbacher, 2020

Eishockeyaner Severin Blindenbacher (l.) und Ex-Fussballer Benjamin Huggel in der Gessnerallee in Zürich, in der Nähe ihres Büros.

David Biedert

«Süsses Gift» nennt es Benjamin Huggel. Die vergangenen Titel, das entscheidende Tor, der Jubel von Tausenden Fans. Oder besser gesagt: das Verharren darin. «Je länger du dich im damaligen Erfolg suhlst, desto weniger schnell bringst du dich in den Prozess von etwas Neuem», sagt der 43-Jährige. Und das betrifft früher oder später alle.

Er und Severin Blindenbacher, 37, wissen, wie sich Jubel und Anerkennung anfühlen: Huggel war mit dem FC Basel siebenmal Schweizer Meister, hat in der Bundesliga gespielt, in der Champions League, 41-mal für die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft. Blindenbacher gewann mit der Eishockey-Nati WM-Silber, die Champions League mit den ZSC Lions, war viermal Meister. Er hat noch einen Vertrag bis Ende Saison, steht jedoch nach seiner siebten Hirnerschütterung noch nicht wieder auf dem Eis. 

Irgendwann geht auch die grösste Karriere zu Ende. Nachdem man seit der Jugend alles dem Spitzensport untergeordnet und permanent nach dem nächsten Sieg gestrebt hat, sind die Medaillen von einem Tag auf den andern nichts mehr wert. «Du hast dich durch den Sport definiert, und dann ist der plötzlich weg», sagt der Zürcher Blindenbacher. Und dann fragt man sich: Was jetzt? Was kann ich? Was gibt es überhaupt alles? Es ist nichts weniger als die Suche nach einer neuen Identität. 

 

Beni Huggel, 2020

Benjamin Huggel ist vor acht Jahren zurückgetreten und wurde Trainer. Doch das machte ihn nicht glücklich. «Ich wollte mir das aber anfangs nicht eingestehen.»

David Biedert

«Man stellt sich Fragen wie: Was jetzt? Was kann ich? Da herrschen Angst und Unsicherheit»

Benjamin Huggel

Genau hier wollen die beiden ansetzen. Seit vergangenem Frühling gibts die Firma Athletes Network, neben Huggel und Blindenbacher gehören zwei weitere Gründer dazu: HR-Experte Dave Heiniger und Ski-Profi Niels Hintermann, der mit seinen 25 Jahren die aktiven Sportler vertritt. Getreu dem Firmennamen, besteht das erste Ziel darin, Sportler mit der Berufswelt zu verknüpfen. Die Firma will Athleten aufzeigen, welche Möglichkeiten es gibt, und für Unternehmen Potenziale sichtbar machen. Der Wirtschaft zeigen, dass die Charaktereigenschaften, die erfolgreiche Sportler auszeichnen, auch im weiteren Berufsalltag nützlich sind: Durchsetzungsvermögen, Ehrgeiz, Teamfähigkeit, mit Rückschlägen umgehen können, Anpassungsfähigkeit. «Wir suchen nun Unternehmen und Bildungsinstitutionen, die uns in dem Thema unterstützen, weil sie von diesen Charaktereigenschaften profitieren wollen.»

Bei den Athletes Days treffen die Parteien aufeinander. Die Firma bietet 1:1-Coachings an und wird zudem längerfristig Workshops in Vereinen, Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche und weitere Dienstleistungen aufsetzen. Das Netzwerk und die Teilnahme an den Athletes Days sind gratis, für alles Weitere wird in Zukunft etwas verlangt – eventuell mit Unterstützung von Stiftungen und Mäzenen. Denn das Team ist überzeugt, dass es auch ein gesellschaftliches Thema anspricht: Eine Studie aus der Bundesliga habe gezeigt, dass fünf Jahre nach dem Karriereende viele Fussballer Geldsorgen oder private Probleme hätten. «Wenn wir es schaffen, dass weniger Zurückgetretene in ein Loch fallen, leisten wir schon viel.» In der Öffentlichkeit gibts kaum ein Bewusstsein dafür, Sportler werden auch nach der Karriere als taffe Erfolgsmenschen wahrgenommen; dass viele überfordert und verunsichert sind, gibt fast keiner zu. «Wir wollen mit unserer Firma auch sagen: Hey, es gibt noch den Menschen hinter dem Sportler!», sagt Blindenbacher.

Severin Blindenbacher, 2020

Severin Blindenbacher hatte schon sieben Hirnerschütterungen, glaubt aber an ein Comeback bei seinem ZSC. «Noch einmal zu gewinnen, das wäre schon schön.»

David Biedert

«Wir wollen mit der Firma auch sagen: Hey, es gibt noch den Menschen hinter dem Sportler!»

Severin Blindenbacher

Beni Huggels eigene Erfahrung mit dem ominösen Loch kam verzögert. Aus seinem Umfeld hörte er immer wieder: Du wirst sicher ein guter Trainer. «Deshalb habe ich mir über andere Wege gar keine Gedanken gemacht.» Doch die Seitenlinie wurde nicht zu seiner Erfüllung. Gattin Yvonne merkte, dass ihn das nicht glücklich macht, er selbst wollte es sich anfangs nicht eingestehen. Erst nach vier Jahren brach er den Versuch ab – und stand 2016 vor einer Leere. «Da herrschen Angst und Unsicherheit.» Die ganze Tagesstruktur fiel weg, die eigene Ausbildung – Huggel hatte eine Landschaftsgärtnerlehre gemacht – war weit weg. Auch professionelle Hilfe von einem Life-Coach brachte den Baselbieter nicht weiter, weil sich dieser nicht in die spezielle Ausgangslage des Sportlers versetzen konnte. 

Denn der Status in der Öffentlichkeit ist nicht zu unterschätzen. Je erfolgreicher jemand war, desto öfter wird er darauf angesprochen. «Verzell mol! So geil, dort vor sieben Jahren! Ich war vor dem Fernseher!» Das ist einerseits schön, «aber halt immer rückwärtsgewandt. Es geht immer um deine vergangene Identität, nicht deine neue.» Das erwähnte süsse Gift eben. Und dann möchte man auch vom neuen Job mit Stolz erzählen. Ohne dass dies in den Augen des Gegenübers als Abstieg gewertet wird. «Denn das kann wehtun.» Weltklasse wird man kaum ein zweites Mal. Wichtig ist darum erst einmal, dass man neue Zufriedenheit findet.

Beni Huggel und Severin Blindenbacher, 2020

Huggel (l.) und Blindenbacher stecken viel Herzblut in ihre neue Firma. «Wir haben bereits so viel gelernt», sagen sie nach sechs Monaten.

David Biedert

Severin Blindenbacher würde viel dafür geben, im zweiten Leben schon angekommen zu sein. Auch wenn er noch Profi ist – durch seine Hirnerschütterungen hat er sich schon länger mit der Zweitkarriere beschäftigt. «Mir war immer bewusst, dass der Spitzensport eine Blase ist. Und ich hatte Schwierigkeiten abzuchecken, was in der richtigen Welt abgeht.» Er schnuppert während Verletzungspausen bei einer Sportschuhmarke, darf sich dort in verschiedene Bereiche einarbeiten, bis er Teil von Athletes Network wird. Bei null zu beginnen, sei nicht einfach, gibt er zu: «Nochmals unten anfangen, nochmals Kind und gwundrig sein», sagt er. Gut verdientes Geld aus dem Sport gebe zwar in den ersten Jahren Sicherheit, aber der Prozess, sich noch einmal etwas aufzubauen, sei mühsam. «Auch wenn du 100 Millionen auf dem Konto hast: Du willst doch trotzdem eine Beschäftigung finden, die dich befriedigt.»

Mit Athletes Network haben Huggel und Blindenbacher den Sprung ins Unternehmertum gewagt. Sie lernen, stecken Herzblut ins Projekt, wollen erfolgreich sein, scheitern vielleicht auch mal. Aber das gehört alles dazu. Das wissen sie. Das kennen sie. Ein Stück der Sportler-Identität begleitet einen eben doch das Leben lang.

Von Eva Breitenstein am 18. Oktober 2020 - 15:03 Uhr