Beissender Rauch hängt in der Luft, auf einer dünnen Schicht Stroh liegt eine dreckige Wolldecke. «Seit einigen Tagen haben wir wenigstens ein paar Kartoffeln, wir bekamen sie von einem Bauern im nächsten Dorf», sagt Ali Qurban und nimmt sich eine Handvoll Zmittag aus der Pfanne. «Schon daheim war ich bitterarm. Nun ist mir nichts geblieben ausser den Kleidern, die ich anhabe.» Linda Fäh kniet daneben, hört zu. Der Pakistani kratzt sich am Fussknöchel – er hat Krätze.
Oft gespielt - immer verloren
Seit zwei Monaten lebt der 28-Jährige mit sieben Kollegen in diesem heruntergekommenen ehemaligen Stall – zwischen zwei Feldern, im trostlosen Nirgendwo ausserhalb der Stadt Velika Kladusa im äussersten Norden von Bosnien-Herzegowina. Mit einem Team des einheimischen Roten Kreuzes hat Linda Fäh jedem der jungen Männer einen Proviantsack abgegeben. Das Ziel der acht Flüchtlinge liegt direkt hinter dem Hügel – Kroatien. Dann weiter nach Deutschland oder in die Schweiz. Doch dafür müssen sie an der EU-Aussengrenze das Game gewinnen. Schon oft haben sie es gespielt – und immer verloren.
Zehntausende sind seit 2018 auf ihrer Flucht durch diese Region gezogen, die meisten aus Pakistan und Afghanistan. Doch seit Kroatien keine Flüchtlinge mehr einreisen lässt, stranden sie hier, in Una-Sana, dem nordwestlichsten Kanton von Bosnien-Herzegowina. 4500 Flüchtlinge sitzen fest in dieser Region, sie leben in offiziellen Camps oder in menschenunwürdigen Unterkünften. Die grösste Hilfsorganisation, die sich um diese Menschen in Not kümmert, ist das lokale Rote Kreuz (BRC) – mit finanzieller Unterstützung des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK). Als ehrenamtliche SRK-Botschafterin schaut sich Linda Fäh die Arbeit vor Ort an. «Endlich mal raus aus der Komfortzone», sagt die Schlagersängerin aus Samstagern ZH.
Hilfe vor Ort
Zusammen mit vier Helfern eines mobilen Teams ist Linda Fäh in einem Geländewagen mit dem Roten Kreuz unterwegs. Eine Handvoll solcher BRC-Teams verteilt täglich in der Region Essen, Wolldecken, Schlafsäcke, Kleider und Schuhe an Flüchtlinge.
Nächster Halt: ein improvisiertes Camp, ebenfalls bei Velika Kladusa. Dutzende mit Blachen notdürftig errichtete «Zelte» stehen hier, vor allem Familien leben darin. Bei jeder Unterkunft verteilen Fäh und die Helfer einen Proviantsack: 1 Brot, 1 Dose Büchsenfleisch (von der Schweizer Botschaft in der Hauptstadt Sarajevo gespendet), 1 Liter Wasser, 1 Packung Datteln. Auch hier: kein Strom, kein fliessendes Wasser. «Kann ich etwas für euch tun?», fragt Helfer Husein Nuhic, 21, eine Frau. Sie deutet auf ihren Kopf. Er reicht ihr eine Schmerztablette, fragt, ob sie eine Minen-Karte habe – überall gibts Zonen, in denen noch Tretminen aus dem Jugoslawienkrieg versteckt sind.
«Hello!», ruft ein Mädchen und nimmt Linda an der Hand. Es ist die achtjährige Mitra, auf der Flucht aus Afghanistan geboren. «Let’s play football!» Linda nickt – und die beiden sind am Kicken. Mitra juchzt vor Freude. Später erzählt sie der Schweizerin auf Englisch, wie auf der Flucht im Meer zwischen der Türkei und Griechenland das überfüllte Boot kenterte. «Ich sah, wie Leute ertrunken sind.» Mitra und ihre Schwester Sahar, 11, wollen nach Deutschland – Ärztinnen werden.
Schüsse in die Luft
«Heute Abend versucht unsere Familie ein neues Game.» Spiel nennen es die Flüchtlinge – und es geht so: Meist nachts versuchen Gruppen von zehn bis hundert Menschen, im Wald über die grüne Grenze zu kommen. Doch die kroatische Grenzpolizei ist gut ausgerüstet: mit Spürhunden und an Drohnen befestigten Wärmebildkameras, die von der EU finanziert wurden. So werden die meisten Flüchtlinge von einer der Patrouillen gestellt. Das Prozedere ist immer gleich: «Kehrt zurück nach Bosnien!» Schüsse in die Luft. «Meinen Onkel schlugen sie mit einem Stock», erzählt Mitra. «Dann nahmen sie uns alles weg, die Kleider verbrannten sie vor unseren Augen. Ich fragte, warum sie das machen. Sie lachten nur.»
Ein Bub schleppt Brennholz an eine Feuerstelle, am Himmel sammeln sich Vögel zum Flug ins warme Winterquartier. Hier im Norden Bosniens wird es bald schneien, die Temperaturen sinken bis auf minus 5 Grad. «Good luck!», wünscht Linda der kleinen Mitra. Später schreibt sie unter das gemeinsame Instagram-Bild: «Mitra ist eine starke junge Frau. Sie wird es packen! Sie gibt mir Kraft.» Für die Helfer hat sie Hochachtung. «Ihr schenkt diesen Menschen Wärme und Wertschätzung. Das ist viel wert!»
Ein Lied für Mitra
Zwei Tage hat die SRK-Botschafterin in die Augen von Flüchtlingen geschaut. «Ich bin tief beeindruckt. Diese Menschen geben ihre Hoffnung nicht auf», sagt sie auf der Heimfahrt zum Flughafen von Zagreb, Kroatien. Was sie gesehen hat, «das tut mir weh im Herzen». Die Welt könne sie nicht verändern. «Doch nun habe ich mehr Verständnis für Flüchtlinge.» Der kroatische Grenzbeamte am Zoll schaut genau, ob sich jemand im Auto versteckt hat. Daheim wird Linda Fäh an ihrem neuen Album arbeiten. Ein Lied, das sie schon früher dafür geschrieben hat, heisst «Wohin dein Weg dich führt». «Ich werde es Mitra widmen.»