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Zuhause bei der Fribourger Mezzosopranistin

Marie-Claude Chappuis: «Operngesang ist Hochleistungssport»

Sie singt in den führenden Opernhäusern der Welt. Ruhe findet die Mezzosopranistin Marie-Claude Chappuis daheim im Fribourgerland. Schon Bundesrätin Sommaruga war hier zu Gast.

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Marie Claude Chappuis

Rollenstudium: Auf ihrer Terrasse in Sommentier FR. «Normalerweise ist es hier ganz ruhig.»

Fabienne Bühler

Am Anfang ist die Stille. In ihrem Daheim am Rande von Sommentier, einem Bauerndorf bei Romont im Kanton Freiburg, lernt Marie-Claude Chappuis ihre Opernrollen auswendig. Am Schluss ist der Orkan – auf der Bühne, in der Mailänder Scala zum Beispiel. Dort singt die Mezzosopranistin vor 2000 Besuchern, auch ohne Mikrofon ist in der hintersten Reihe jedes Wort zu verstehen. Ihre Stimme umarmt die Zuhörer, es gibt stehende Ovationen.

«Mit meinem Gesang möchte ich die Herzen von Menschen berühren.» Die gebürtige Fribourgerin liegt auf der Terrasse ihres Hauses. Geschmeidig blättern ihre Finger durch die Partitur von «La Belle Hélène», einer Operette von Jacques Offenbach. Sie bereitet sich vor: Ab Dezember spielt sie im Theater St. Gallen die Hauptrolle der schönen Helena. Vorher hat sie an der Staatsoper Berlin die Hauptrolle der Dido in Purcells «Dido & Aeneas».

Marie Claude Chappuis

Mit Seele: Marie-Claude Chappuis als Contessa di Sarzana in Paisiellos «Il matrimonio inaspettato» in Salzburg.

Reuters
Bei Sakralmusik und Barockoper gehört sie zu den Weltbesten

Noten lesen konnte Marie-Claude, bevor sie die Buchstaben kannte. Am Konservatorium ihrer Heimatstadt und an der Universität Mozarteum in Salzburg hat sie Gesang studiert. Ihre Lehrjahre verbrachte sie als Ensemblemitglied des Tiroler Landestheaters in Innsbruck, sang bereits Hauptrollen. Seit 2003 tritt sie freischaffend im In- und Ausland auf.

Ihr Repertoire ist umfassend: klassische und romantische Oper, Kunst- und Volkslied, Sakralmusik, Barockoper – in den beiden letzten Kategorien gehört sie weltweit zu den Top Ten. Star-Dirigenten wie Sir Roger Norrington und Riccardo Chailly reissen sich um sie. Zu den wertvollsten Momenten ihres bisherigen Künstlerlebens gehörte die Arbeit mit Dirigentenlegende Nikolaus Harnoncourt. Als er am Opernhaus Zürich Mozarts «Idomeneo» dirigierte und sie die Rolle des Idamante sang, sagte er: «Sie spielen nicht den Idamante. Sie sind Idamante.» Ihr Alter und ihre Gagen verrät Chappuis nicht.

Marie Claude Chappuis

Feine Double crème: In Sommentier kauft Chappuis oft bei Dorfkäser Erich Hunkeler ein.

Fabienne Bühler
«Es ist ein Seiltanz»

Für sie sei es der schönste und schwerste Beruf. «Es ist ein Seiltanz, unser Körper ist unser Instrument. Wir müssen täglich auf ihn aufpassen, alle Schwierigkeiten, Ungerechtigkeiten schnell überwinden.»

Vor jeder Aufführung plagt sie das Lampenfieber, «ich will dem Publikum das Beste geben». Sie sagt auch: «Karriere macht man nicht nur durch Erfolge, sondern durch die Kraft, wieder aufzustehen.» Stundenlang warten Fans am Künstlereingang des Theaters an der Wien für ein Autogramm. «Dieser Kontakt ist schön und wertvoll. In der Schweiz sind die Leute oft zu scheu dafür.»

Marie Claude Chappuis

«Sie ist mein wichtigster Mensch»: Mit Mutter Thérèse, 76. Sie näht Marie-Claudes Konzertkleider, zündet vor jedem Auftritt ein Kerzli an.

Fabienne Bühler
Abseits der Bühne sucht sie Freiheit und Einsamkeit

1000-mal ist Chappuis in ihren 20 Bühnenjahren vor Publikum aufgetreten. Mindestens sechs Monate im Jahr ist sie weltweit unterwegs. «Ich bin gern im Ausland, freue mich aber immer sehr auf daheim.» Ihr Haus liess sie nach ihren Plänen bauen. Durchs Stubenfenster sind Bauernhöfe zu sehen, sonst nur Wald und Wiesen. «Hier finde ich Ruhe, Erholung und Inspiration.» Ihre Stimme verströmt Wärme und Tiefe. «Ich brauche viel Freiheit und Einsamkeit», sagt die Single-Frau.

«Zeit für Musik!» Die Künstlerin setzt sich an ihren Konzertflügel, einen Steinway Baujahr 1915, sie ist auch eine begnadete Pianistin. Sie singt oft nachts, mit Blick durchs Deckenfenster in den Sternenhimmel. Ein Jahr ist es her, da sass Bundesrätin Simonetta Sommaruga hier auf der Klavierbank. Die ausgebildete Konzertpianistin begleitete die Sängerin am Flügel – zu einem Stück aus Robert Schumanns Liederzyklus «Frauenliebe und -leben». Sommaruga, 59: «Das waren glückliche Momente.»

Bundesrätin Sommaruga schwärmt von Chappuis

Kennengelernt haben sich die beiden im Lift des Hotels Bellevue in Bern – Chappuis sang an einem Silvesterkonzert. «Die Stimme von Marie-Claude berührt mich zutiefst. Ob sie die sterbende Dido singt, Bachs Johannes-Passion oder Freiburger Volkslieder: Immer ist es ihre Menschlichkeit, die durchdringt. Wir haben eine schöne Freundschaft», so die Bundesrätin.

Marie Claude Chappuis

«Ich bete täglich»: Chappuis in ihrem Wohnzimmer am Steinway-Konzertflügel. 

Fabienne Bühler

Sechs bis acht Stunden täglich übt Chappuis, wochenlang. «Ein Lied muss reifen, meine Seele 
ausdrücken.» Es brauche viel Zeit und Hingabe, «bis man einer Rolle gerecht wird». Für ihr Training skypt sie mit ihrer Gesangslehrerin in New York, manchmal lässt sie diese einfliegen. «Meine Stimme ist mein zweites Ich, wir leben zusammen wie ein Tandem. Sie ist ein Geschenk Gottes. Ich pflege sie wie ein Kind.»

Marie Claude Chappuis

Mezzosopranistin Marie-Claude Chappuis streift gerne durch Wald und Wiese: «Hier finde ich Ruhe, Erholung und Inspiration.»

Fabienne Bühler
«Operngesang ist Hochleistungssport»

Durchzug ist Gift, zu trockene Luft ebenso. Chappuis hat stets einen Luftbefeuchter dabei. Wenn sich die Temperatur in einem Hotelzimmer – «ideal sind 20 Grad» – nicht regulieren lässt, zieht sie um. Ebenso wichtig: viel Wasser trinken, schlafen – und Körpertraining! «Operngesang ist Hochleistungssport.»

Text, Melodie, Bewegung – alles muss stimmen, von Kopf bis Fuss. Chapuis’ Blick schweift über den nahen Wald. «Alles ist uns nur geliehen.» Als Kind habe sie sich versprochen, ihr Talent immer weiterzuentwickeln, nie bitter zu werden. «Ich arbeite täglich daran, fühle mich vor jeder Aufgabe wie eine Anfängerin.» Nun brauche ihre Stimme Erholung, sagt sie noch. Dann ist Schweigen.

Marie Claude Chappuis

Bezaubernd Chappuis’ neuste CD: «Au cœur des Alpes – Volkslieder aus der Schweiz». Ihre Mutter Thérèse singt mit.

ZVG

Noch mehr Artikel über die Persönlichkeiten und Trümpfe der Westschweiz gibts in unserem Dossier «Bienvenue chez les Welsches»

Thomas Kutschera
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Von Thomas Kutschera am 18. Juli 2019 - 17:40 Uhr