Entspannt sitzt Melanie Winiger, 46, im Schneidersitz auf ihrem Stuhl. Die Tasse mit heissem Tee dampft, daneben steht ein Selleriesaft. «Ich hoffe, es stört nicht, wenn ich meine Hand nebenbei massiere. Ich bin kürzlich unglücklich gestürzt und musste mich operieren lassen», sagt die Moderatorin und Schauspielerin mit ruhiger Stimme. Ehe sie beginnt, legt sie ihre Schiene ab. Während die Morgensonne durch die kleinen Fenster des renovierten Bauernhauses im Zürcher Umland schimmert – ihrem Zuhause, einer stilvoll ausgebauten Loftwohnung –, macht sich ein feiner Duft von Tigerbalsam breit.
Nach längerer Pause vor der Kamera wollen Sie es wieder wissen. Sie schreien, verrenken sich und scheinen an Ihre Grenzen zu gehen.
Melanie Winiger: So schnell gelange ich nicht an meine Grenzen, keine Sorge. (lacht) Aber ja, ich habe wieder einmal etwas gewagt und mich von Michel Comte und seiner Idee mitreissen lassen.
Was war der Gedanke hinter dem Shooting?
Wir haben sehr lange nicht mehr zusammengearbeitet. Grundsätzlich gab es kein spezifisches Thema. Im Vordergrund stand unser Wiedersehen. Wenn ich mit Michel shoote, vertraue ich ihm blind.
Sie kennen sich schon lange …
Sehr lange! Ich habe in meiner bald 30-jährigen Karriere mit vielen Fotografen zusammengearbeitet. Michel Comte war aber der erste, bei dem ich zuvor leer schlucken musste. Er ist ein Star! Ich wusste von Anfang an: Bei ihm muss ich mir besonders Mühe geben.
«Bei unserem ersten Shooting hatte Melanie eine rohe, ungeschliffene Unschuld an sich, die ich absolut fesselnd fand.» – Michel Comte
Michel ComteWie ist es damals gelaufen?
Sehr gut, ich durfte danach noch unzählige Male mit ihm zusammenarbeiten. Dadurch durfte ich den Menschen hinter dem grossen Namen kennenlernen. Inzwischen ist er ein guter Freund. Er hat auf allen Ebenen meinen vollen Respekt.
Wie haben Sie sich beim aktuellen Shooting vor Michels Kamera gefühlt?
Bei ihm ist es, wie nach Hause zu kommen. Wenn er fotografiert, ist es auf eine spezielle Weise sehr extrem. Gleichzeitig kommt Familyfeeling auf.
Ihre Beziehung zu Fotografen und Medien gilt als angespannt. Woher kommt das?
Ich bin mit 17 Jahren in die Öffentlichkeit geraten und war unvoreingenommen. Rasch musste ich die Welt der Medien kennenlernen, in der es Personen gab, die mir wohlgesinnt waren, und andere, die mir weniger fair begegnet sind. Durch diese Erfahrungen habe ich eine Wand aufgebaut. Zum Selbstschutz. Heute ist das anders.
Was hat Sie vorsichtig werden lassen?
Fragen zu Themen, die nicht angemessen waren. Ich wurde oft intime Sachen gefragt – etwa, wann mein erstes Mal war, ob ich die Pille nehme, was meine liebste Sexstellung sei. Zur Erinnerung: Ich war siebzehn!
Wie konnten Sie diese Anti-Haltung ablegen?
Ich habe intensiv an mir gearbeitet. Meine Wahrnehmung sieht so aus, dass für mich alle Menschen per se gutmütig und positiv sind, bis sie sich von einer anderen Seite zeigen.
Welche Aussagen stören Sie am meisten, wenn es um Ihre Person geht?
Wenn ich als frech oder vorlaut bezeichnet werde! Das war ich nie! Ich habe lediglich meine Meinung vertreten – und dazu stehe ich nach wie vor. Mittlerweile erkenne ich, dass die Antipathie, die mir entgegenschlug, oft darauf zurückzuführen war, dass meine Ansichten von denen der Mehrheit abwichen. Für mich gibt es weder Richtig noch Falsch, nur Wahrnehmungen.
Wie eitel sind Sie bei der Auswahl Ihrer Fotos?
Überhaupt nicht. Als Model führe ich bloss aus. Bei Shootings für Kunden geht es darum, deren Produkt in den Fokus zu stellen. In diesem Moment bin ich bloss das Mittel zum Zweck. Hinzu kommt, dass ich mir auf Fotos sowieso meist nicht gefalle.
Was braucht es, damit Sie sich auf Bildern gefallen?
Hätte ich eine Antwort auf diese Frage, würde ich es umsetzen. (lacht) Ein guter Start ist zumindest schon mal, wenn mir niemand «Zeig doch mal dini Zähnli» sagt – denn das entspricht mir nicht. Das hat wohl mit meiner Miss-Schweiz-Zeit zu tun. Nach einem Jahr Dauergrinsen ist es mir vergangen. Seither ist viel Zeit vergangen.
«Ich empfinde mich als schöne Frau – für mich ist das ein Zusammenspiel von Ausstrahlung, Energie und Wesen.» – Melanie Winiger
Michel ComteWas löst das Älterwerden bei Ihnen aus?
Nichts. Zumindest im Moment nicht. Ich könnte in Hysterie verfallen und mir selbst Angst machen. Wofür? Fakt ist, ich befasse mich nicht damit und versuche, im Jetzt zu leben.
Blenden Sie das Altern einfach aus?
Nein, keineswegs. Natürlich kann ich morgens nicht wie eine Gazelle aus dem Bett springen – konnte ich noch nie, da ich kein Morgenmensch bin. (lacht) Trotzdem halte ich nichts davon, meinem Aussehen oder Körpergefühl als 25-Jährige nachzutrauern. Und überhaupt: Mein Gesicht von damals würde ich auf keinen Fall mit dem von jetzt eintauschen wollen.
Weshalb nicht?
Ich mag Falten. Sie zeichnen im Gesicht eine Landkarte. Ich finde ältere Menschen wunderschön. Keith Richards beispielsweise ist für mich mega sexy. Diesem Typen sieht man an, dass er sein Leben gelebt hat und zufrieden ist.
Wie stehen Sie allgemein zu Ihrem Äusseren?
Ich finde, dass ich eine schöne Frau bin. Für mich ist das ein Zusammenspiel von vielen Aspekten wie meiner Ausstrahlung, der Energie und meinem Wesen. In diesem Kontext wird oft nach Problemzonen gefragt. Wieso nicht einfach nach Schönem fragen?
Also, was gefällt Ihnen ausgesprochen gut an Ihrem Körper?
Danke! (lacht) Da kann ich vieles aufzählen. Meine Augen finde ich strahlend! Ich liebe, dass sie mandelförmig sind. Ich habe wunderschöne kleine Ohren. Meine langen, dünnen Pianofinger gefallen mir ausgesprochen gut. Ich habe ästhetische Tätowierungen, auch mag ich meine definierten Arme. Sie wirken kraftvoll und geerdet.
Was gibt Ihnen diese Balance?
Ich treibe regelmässig Sport – was jetzt mit der Handverletzung nicht so gut geht. Ich achte auf genügend Schlaf und ernähre mich gesund. Und ich habe mit dem Rauchen aufgehört.
«Mit der Zeit ist Melanie immer spezieller geworden. Sie verkörpert stets unverfälschte Schönheit, geleitet von ihrer zarten und doch kraftvollen Seele.» – Michel Comte
Michel ComteViele Frauen erleben ab Mitte vierzig eine Phase des Umbruchs – körperlich wie auch emotional. Wie nehmen Sie dies wahr?
Grad gar nicht. Ich habe aber Respekt vor dieser Veränderung. In meinem Umfeld habe ich Frauen gesehen und erlebt, die wirklich damit zu kämpfen hatten. Ich wünsche mir, dass ich das so glimpflich wie möglich auf die Reihe bekomme. Klar ist aber, dass ich das möglichst auf natürliche Art bewältigen werde. Etwas anderes würde nicht zu meiner Lebensart passen.
Ihr Partner Timo ist 15 Jahre jünger als Sie. Wie zeigt sich das in Ihrem Alltag?
Wenn ich den Altersunterschied in meinem Alltag spüren würde, wäre ich nicht mit ihm zusammen. Er ist sehr reif – und ich bin eine junge Seele. (lacht)
Was zeichnet Ihre Liebe aus?
Uns ist wichtig, dass das Gegenüber zu hundert Prozent sich selbst sein kann. Wir begegnen uns auf Augenhöhe und verfolgen das Ziel, dass es dem Gegenüber gut geht. Ein grosses Ego hat in unserem Leben keinen Platz. Wir sind beide positiv eingestellt und versuchen auch bei Turbulenzen immer wieder aufs Neue, die gemeinsame Welle zu finden.
Ist er der Mann, mit dem Sie zum dritten Mal vor den Traualtar treten wollen?
Ja, das ist er. Zu ihm habe ich eine Verbindung, die ich bisher noch nie hatte. Es ist das erste Mal, dass ich nicht irgendwo im Hinterkopf einen Funken Unsicherheit verspüre. Gibt es denn schon Hochzeitspläne? Nein, eines nach dem anderen.
Wie wichtig ist Ihnen die Meinung anderer?
Ich bin absolut kein People-Pleaser. Wobei ich kürzlich etwas Spannendes gelesen habe, dem ich zustimme: Wir sind alle Prostituierte. Ob bewusst oder nicht – wir machen konstant Dinge und senden Signale, um von anderen geliebt zu werden. Irgendwie erschreckend und faszinierend zugleich.
Sie sagten zuvor, Sie hätten sich verändert. Was ist anders?
Ich bin viel, viel ruhiger geworden. Meine Haltung «ich gegen die Welt» wurde zu «ich mit der Welt». Mittlerweile verspüre ich eine Grundzufriedenheit und weiss, dass die Energien, die man ausstrahlt, zu einem zurückkommen.
In jüngsten TV-Beiträgen wirken Sie sensibel und emotional. Eine neue Seite?
Nein, das bin ich seit je. Es ist aber eine Eigenschaft, die ich sehr anstrengend finde. Während ich versuche, Ruhe und Ausgleich zu erlangen, sind Emotionen ein Auf und Ab. Immerhin weiss ich heute, dass Tränen nicht Schwäche zeigen – ganz im Gegenteil! Öffentlich weinen zu können, zeugt von Mut und Stärke.
Selbstreflexion ist Ihnen wichtig. Weshalb?
Ich hatte früher keine Zeit für meine Probleme, Sorgen, Emotionen, Momente und Phasen. Ich habe all diese Themen einfach zur Seite geschaufelt. Mit der Selbstreflexion habe ich gelernt, wie ich alles im Leben jonglieren kann.
Wie stehen Sie zur Selbstliebe?
Bäh, mit dem Wort Selbstliebe habe ich Mühe.
Weshalb?
Wir bewegen uns in einer Zeit, in der es nur so von Narzissten wimmelt. Aber zurück zur Selbstliebe: Die Thematik ist mir sehr wichtig! Ich umschreibe das viel lieber und sage, dass ich mich selber so behandle wie meine besten Freunde. Sie sind sehr spirituell.
Woran glauben Sie?
Schamanismus trifft es am besten. In der Form, bei der alle im Einklang leben sollen: Menschen, Tiere, Natur und alle anderen Wesen. Essenziell ist für mich der Fakt, dass wir alle eine individuelle Wahrnehmung haben. Entsprechend hat niemand recht oder unrecht. Jeder ist im Zentrum seines eigenen Universums.
Woher kommt Ihre Begeisterung für Schamanismus und Spiritualität?
Bereits als Kind habe ich mich sehr für Native Americans interessiert und mich mit ihnen identifiziert. Wenn mich Schuelgspänli gefragt haben, woher ich stamme, habe ich immer gesagt, ich sei Indianerin und nicht Inderin, obwohl ja mein Mami indische Wurzeln hat. Ich bin auch zu einer Million Prozent sicher, dass ich in früheren Leben bei indigenen Völkern gelebt habe.
Melanie Winiger für Michel Comte
Michel ComteIhre Vorliebe haben Sie auch in einem Projekt verwirklicht. Sie lancieren mit Purple Connective ein Schmucklabel. Wie kams dazu?
Als ich nach Krafttieren in Schmuckform gesucht habe, fand ich nichts Schönes. Also habe ich mich mit einem Freund zusammengetan, konzipiert und designt – und jetzt ist endlich alles fertig.
Was sind Krafttiere?
Das sind spirituelle Begleiter in Tiergestalt, die die Menschen mit ihrer symbolischen Kraft, Weisheit und Energie unterstützen, schützen und führen. In einer Zeremonie durfte ich erfahren, dass ich Raben, Schlangen, Adler, Kolibris, Schmetterlinge, Gürteltiere und Jaguare aufnehmen soll.
Was kommt in Ihrem Glauben nach dem Tod?
Ich stelle mir vor, dass wir unseren Heimweg antreten. Dabei bin ich überzeugt, dass wir hier nur zu Besuch sind, um voneinander zu lernen. Wenn wir unsere Lektionen beisammenhaben, gehts zurück – bis wir als neues Wesen wiederkehren.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Kein bisschen. Ich hoffe einfach, dass mein Ableben schmerzfrei und möglichst schnell sein wird.
Als was möchten Sie gern wiedergeboren werden?
Das Erste, das mir in den Sinn kommt, ist ein Pferd. Allerdings will ich nicht als Zirkuspony kommen müssen. Ich lasse mich überraschen. Vielleicht bin ich bis dann auch komplett erleuchtet, sodass ich fertig bin mit meinem Weg – wer weiss. (lacht)