Heute habe ich erfahren, dass der Vater eines meiner Freunde an Covid-19 verstorben ist. Er war über achtzig Jahre alt. Die Mutter meines Freundes ist auch infiziert, hat aber keine Symptome. Jetzt ist sie allein, ohne ihren Ehemann, das tut weh und ist für die ganze Familie sehr schwer. Hätte dieses Leid vermieden oder hinausgeschoben werden können? Und wenn ja, wieso gelang es nicht? Wer trägt die Verantwortung.
Wenn wir sagen, dass die ganze Gesellschaft die Probleme der Pandemie lösen muss, dann meinen wir eigentlich, dass niemand verantwortlich ist. Und wenn wir sagen, die Bevölkerung hat sich nicht genügend an die Vorgaben gehalten, dann schieben wir die Schuld den Opfern in die Schuhe.
«Betroffen sind vor allem die Gebrechlichen, die sozial Schwachen und die Kranken»
Die Jahre, die ich beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz und später beim Bundesamt für Gesundheit verbrachte, haben mich aber gelehrt: Das Opfer einer Pandemie ist immer die Bevölkerung, und betroffen sind vor allem
die Gebrechlichen, die sozial Schwachen und die Kranken. Die Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung ist daher ungleich verteilt.
Die Politik, die Verwaltung, die Wissenschaft, das Gesundheitssystem, die Medien und andere Meinungsbildner haben eine ganz andere Verantwortung als all die jungen und älteren Bewohner dieses Landes. Das Ziel für uns alle muss
sein, möglichst viel Leid zu verhindern, wohl wissend, dass nicht alles machbar ist. Denn Leid entsteht nicht nur durch die Todesfälle der Covid-19-Infektionen.
Viel Leid entsteht auch durch die Massnahmen und die Einschränkungen, welche die Infektionen reduzieren sollen. Das optimale Gleichgewicht zu finden, ist unsere gemeinsame Verantwortung und Herausforderung.
Sicher ist es zu früh, Bilanz zu ziehen. Trotzdem darf und muss sich jede und jeder hinterfragen. Ich fühle mich mitverantwortlich. Und wenn ich ein Problem sehe, versuche ich meinen Teil zur Lösung beizutragen.