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Peter Rothenbühler schreibt Thomas Hirschhorn

«Alle Reisenden sind gezwungen, durch Ihr ‹Kunstwerk› zu gehen»

Peter Rothenbühler schreibt jede Woche Persönlichkeiten, die aufgefallen sind. Dieses Mal dem Künstler Thomas Hirschhorn.

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SCHWEIZ KUNST HIRSCHHORN ROBERT WALSER

«Eine Frage von Leben und Tod»: Thomas Hirschhorn, 62, kämpft um jeden Meter Boden für sein «Kunstwerk» in Biel

Keystone

Lieber Thomas Hirschhorn

Hätten Sie Ihre Drohung von 2004 doch für immer wahr gemacht! Wegen der Wahl von Christoph Blocher in den Bundesrat wollten Sie nicht mehr in der Schweiz ausstellen. Jetzt geben Sie ein Comeback in Biel. Mit einem Werk, «das die Menschen prägen und in die Kunstgeschichte eingehen wird», wie Sie vollmundig erklären. Den ganzen Bahnhofplatz haben Sie mit einer unförmigen Riesenbaracke aus Holzpaletten besetzt. Als Hommage an den Bieler Dichter Robert Walser (1878–1956).

«Alle Reisenden sind gezwungen, durch Ihr ‹Kunstwerk› zu gehen»

Peter Rothenbühler
Skandalchronik statt Kunstgeschichte

Und zum grossen Ärger der Bevölkerung: Velofahrer können ihre Räder nicht abstellen, Taxis sind versteckt, Blinde müssen Umwege machen, alle Reisenden sind gezwungen, durch Ihr «Kunstwerk» zu gehen, dessen Holzwände mit Sätzen von Walser übermalt sind. Das Millionenbudget ist erst zu zwei Dritteln finanziert, das Crowd-funding hat nicht funktioniert. Statt in die Kunstgeschichte wird dieser einzige Beitrag zur 13. Schweizerischen Plastik-austellung 2019 wohl nur in die Skandalchronik eingehen.

Das grosse Ego-Projekt

Der Präsident der Plastikausstellung ist entnervt zurückgetreten. Bloss Stapi Erich Fehr steht noch zum Projekt, das er ohne Konsultation des Parlaments bewilligt und mitfinanziert hat. Im Notfall werde man verkleinern und verkürzen, sagt seine Finanzdirektorin. Aber so etwas «ist nicht verhandelbar. Es ist eine Frage von Leben und Tod», sagen Sie. So soll das Ding (Einweihung am 15. Juni) bis im September bleiben.

Eins muss man Ihnen lassen: gegen alle Widerstände den Stadtpräsidenten, den Bahnhofplatz und den berühmtesten Dichter einer Stadt für ein Ego-Projekt einzuspannen – wenn das nicht hohe Kunst ist!

Von Peter Rothenbühler am 12. Juni 2019 - 18:23 Uhr