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Der ganz normale Wahnsinn

Wohnst du noch oder lebst du schon?

Dieser alte Ikea-Werbeslogan klingt in den Ohren unserer Familienbloggerin mittlerweile ziemlich ironisch. Sie ist gerade mit Kindern und Kaninchen umgezogen. Ein gigantischer Test für ihre Nerven. Noch schlimmer war allerdings die Zeit der Wohnungssuche. Diesbezüglich muss dringend etwas geschehen in diesem Land.

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Sandra Casalini Blog der ganz normale Wahnsinn

Unsere Familienbloggerin hatte das Glück, eine passende Wohnung für sich, ihre Kinder und Kaninchen zu finden. Das haben nicht alle Familien.

Lucia Hunziker

Ich hatte kaum je so viele schlaflose Nächte als in der Zeit vor einigen Monaten, als ich auf Wohnungssuche war. Ich brauchte innerhalb von relativ kurzer Zeit eine bezahlbare Bleibe für mich, zwei Teenager und zwei Kaninchen. Mission impossible.

Gerade mal 0.07 Prozent beträgt die Ziffer der Leerwohnungen gemäss einer aktuellen Studie der ZKB in Zürich. Dies wiederum führt zu horrenden Mieterhöhungen – in den letzten drei Jahren sind die Zürcher Mieten um fast ein Viertel gestiegen! Familien ziehen trotzdem nicht aufs Land, denn wer fernab der Annehmlichkeiten der Agglomeration wohnt, möchte wenigstens etwas Eigenes besitzen. Aber auch die Immobilienpreise sind so drastisch gestiegen, dass sich immer weniger Familien das eigene Häuschen im Grünen leisten können.

Ich kassierte unzählige Absagen. Oder bekam gar keine Antwort

Je nach Situation ist ein Umzug mit Familie aufs Land auch wirklich etwas viel verlangt – zum Beispiel in meiner. Ich habe ein Kind, das noch ein gutes Schuljahr vor sich hat, und dem ich so kurz vor der Matura keinen Schulwechsel antun möchte, aber auch keinen ewig weiten Schulweg. Und ein Kind, das im Sommer eine Lehre anfängt und unregelmässige Arbeitszeiten hat. Ein halbwegs vernünftiger ÖV-Erschluss wäre also einigermassen essentiell. Und ich rede hier überhaupt nicht vom Stadtzentrum, sondern durchaus auch von der Agglomeration.

Ich habe bis zu drei Wohnungen täglich angeschaut und dabei furchtbares Zeug gesehen. Nicht nur, was die Wohnungen betrifft – fast 3’000 Franken pro Monat für 60 m2 und ein Wintergarten, der als Zimmer deklariert wurde – sondern auch unter den Wohnungssuchenden. Bei vielen Besichtigungen trampelte man sich auf den Füssen rum, ich sah weinende, hochschwangere Frauen mit zwei Kleinkindern, die erzählten, dass sie in einer Woche ausziehen müssten und nicht wüssten wohin. Oder Familien, die mit drei Kindern von Temporär- zu Temporär-Wohnung ziehen, weil sie einfach nichts anderes fanden.

«Ich war kurz davor, zu verzweifeln, als ich eine Wohnung fand. Trotz Haustieren. Trotz einem Kind, das Klavier spielt.»

Ich selbst habe mich auf alles beworben, was mir halbwegs annehmbar erschien. Und bekam entweder sofort Absagen oder gar keine Antwort. Irgendwann war ich überzeugt: Eine Wohnung bekommt man hierzulande nur mit Beziehungen. Und die habe ich nicht. Und Hilfe gibts auch keine – jedenfalls nicht, wenn man einen Job hat und nicht pleite ist. Das war extrem frustrierend. Ausser Beziehungen hilft einem in dieser Situation echt nur eines: riesengrosses Glück. Und das hatte ich.

Ich war kurz davor, zu verzweifeln, als ich eine Wohnung fand. Trotz Haustieren. Trotz einem Kind, das Klavier spielt. So gelegen, dass die Kinder per ÖV einen erträglichen Schul- und Arbeitsweg haben. Ich bin unglaublich dankbar. Und unglaublich erschüttert. Wie kann es sein, dass sich in unserem Land fünfköpfige Familien in drei Zimmer auf knapp 60 m2 quetschen, weil sie einfach nichts anderes finden? Oder alle paar Monate umziehen, weil sie sich nichts anderes leisten können? Da muss doch etwas passieren!

Von SC am 29. April 2023 - 17:59 Uhr