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Der ganz normale Wahnsinn

Regretting Motherhood: Manchmal macht Lügen Sinn

Unter dem Hashtag #regrettingmotherhood wird derzeit heiss diskutiert: Darf man öffentlich zugeben, dass man es bereut, Mutter geworden zu sein? Ja, findet zum Beispiel der «Spiegel». Nein, findet Sandra C. An der Diskussion nerven die Familienbloggerin all diejenigen am meisten, welche wieder mal zum Dauergejammer über den ach so harten Mami-Alltag ansetzen. Aber es selbstverständlich niemals bereuen, ihre kleinen Rotzlöffel in die Welt gesetzt zu haben.

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Stell dir mal Folgendes vor: Mitarbeitergespräch mit deinem Chef. Er sagt: «Wissen Sie, ich bereue es wirklich, dass ich Sie angestellt habe. Wenn ich könnte, würde ich es rückgängig machen. Das heisst nicht, dass Sie keinen guten Job machen…» Mehr hörst du vermutlich gar nicht mehr, denn in deinem Kopf dröhnt nur noch «bereuedassduhierbistrückgängigmachen» und der Anfang des dritten Satzes ist einfach der blanke Hohn. Ungefähr so - oder noch schlimmer - fühlt sich vermutlich ein Sohn oder eine Tochter (egal welchen Alters), wenn er oder sie irgendwann irgendwie herausfindet, dass seine/ihre Mutter in einer öffentlichen Studie (wenn auch unter einem Pseudonym) Sätze wie diesen gesagt hat: «Es (die Mutterschaft) ist der Albtraum meines Lebens.» Oder «Ich würde sie (die Kinder) aufgeben, absolut. Ohne mit der Wimper zu zucken. Und es ist schwer für mich, das zu sagen, weil ich sie liebe.»

Die Äusserungen stammen aus einer wissenschaftlichen Studie der israelischen Soziologin Orna Donath. Sie hat 23 Müttern im Alter von Mitte zwanzig bis Mitte siebzig die Frage gestellt: «Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten, würden Sie dann noch einmal Mutter werden, mit dem Wissen, das Sie heute haben?» Ihre Antwort lautete Nein. Die Interviews zeichnen das Bild von 23 Frauen, welche sich in ihrer Mutterrolle so unglücklich fühlen, dass sie es zutiefst bereuen, ein Kind bekommen zu haben. Nicht nur während der ersten Zeit nach der Geburt, sondern nachhaltig. Ich verurteile diese Frauen nicht dafür, dass sie so fühlen. Sie tun mir unendlich Leid, denn vermutlich würden sie alles dafür geben, damit es anders wäre. Aber ich finde, es gibt Dinge, die man niemals laut aussprechen darf. Punkt.

Meine Tochter sagt es manchmal zu ihrem Bruder: «Ich wünschte, du wärst nie geboren!» Es gibt mir jedes Mal einen Stich ins Herz, wenn ich den Satz höre. Und ich werde ziemlich sauer. Das ist doch das Allerschlimmste, was man überhaupt zu jemandem sagen kann! Stell dir vor, du findest durch einen blöden Zufall raus, dass deine Mutter das mal über dich gesagt hat - in welchen Worten auch immer. Da kann sie lange sagen «aber ich liebe dich trotzdem». Wie gesagt: Diese Frauen können nichts dafür, dass sie so empfinden. Ich bin auch überhaupt nicht der Meinung, dass man seine Kinder zu jedem Zeitpunkt bedingungslos anbeten muss. Und ich finde, man darf durchaus auch mal sagen, dass es Tage gibt, an denen man die kleinen und grösseren Racker - sinnbildlich - gegen die nächste Wand knallen könnte. Aber dass man bereut, sie geboren zu haben, darf man einfach nicht laut aussprechen. Ausser vielleicht einem Therapeuten gegenüber, der an seine Schweigepflicht gebunden ist.

Nun, in den sozialen Netzwerken tummeln sich einige, die eine andere Meinung vertreten (wie übrigens zum Beispiel auch die Autorin, die im «Spiegel» über das Thema schrieb). «Ich empfinde den Dialog um #regrettingmotherhood wunderschön. Diese Ehrlichkeit ist hoffentlich ein weiterer Schritt zur Befreiung der Frau», lese ich zum Beispiel auf Twitter. Wie bitte? Ihr habt ja vielleicht schon bemerkt, dass ich normalerweise durchaus feministisches Gedankengut vertrete. Aber rauszuposaunen, man würde die Geburt seiner Kinder am liebsten rückgängig machen, hat doch nichts mit der «Befreiung der Frau» zu tun. (Und: Ehrlichkeit in Ehren, aber manchmal macht Lügen Sinn. Oder Schweigen.) Das Paradoxe ist ja: All diese Frauen haben sich bewusst für Kinder entschieden - und dann gemerkt, dass sie mit dem Konzept der Mutterschaft nicht klarkommen.

Womit wir beim nächsten Punkt wären: Als Reaktion auf die Studie, die die «Süddeutsche» veröffentlichte, meldeten sich unzählige Mütter zu Wort, die Verständnis zeigten für die Überforderung der betroffenen Frauen. Schliesslich sei der Alltag als Mutter unendlich hart und entbehrungsreich, unglaublich viel Arbeit für unglaublich wenig Anerkennung und so weiter. Sorry, aber ich kanns nicht mehr hören. Mit dem Gejammere über Mutterschaft gehts mir so langsam wie mit denen, die ständig über ihren Körper nölen, dabei Donuts reinstopfen und noch nie ein Fitnessstudio von innen gesehen haben. Nicht falsch verstehen: Mich nerven nicht die Fettpölsterchen, und auch nicht, wenn ab und zu ein Seufzer über sie fällt. Aber ständiges Gejammer, ohne etwas dagegen zu unternehmen, geht mir auf den Sack. Ich finds auch völlig ok, wenn man mal rauslässt, was für ein Scheissjob dieses Muttersein eigentlich ist, und dass man einfach nur noch hundemüde ist und es satthat, ständig für alles verantwortlich zu sein. Aber immer darüber zu lamentieren, wie gestresst man ist, ohne was zu ändern, ist ätzend. Insofern glaube ich auch nicht, was ich in einigen der Kommentare und Blogs gelesen habe: Wenn es einfacher wäre, Mutter zu sein - sprich, wenn unsere Gesellschaft von uns nicht verlangen würde, perfekte Über-Mütter zu sein -, würde vielleicht auch niemand gestehen müssen, seine Mutterschaft zu bereuen. Aber: Es geht hier nicht darum, öfter mal überfordert zu sein, oder einfach mal losheulen oder losschreien zu wollen, weil die «Gesellschaft» (oder wer auch immer) zu viel von einem verlangt. Das ist normal. Es geht um das furchtbare Gefühl, die Geburt der eigenen Kinder echt zu bereuen und als Mutter lieber kinderlos zu sein. Das ist unglaublich traurig. #regrettingmotherhood? Nicht eine Sekunde. Und dafür bin ich dankbar.

am 16. April 2015 - 14:21 Uhr, aktualisiert 21. Januar 2019 - 01:31 Uhr