Weisst du, was bei uns falsch läuft?», fragt Kind 1 kauend beim Znacht. «Dass du mit vollem Mund redest?» Das Kind blitzt mich böse an und ignoriert meine Frage. «Dass du zwar behauptest, wir seien als Familie eine Demokratie. Aber wenn du Judikative und Exekutive gleichzeitig bist, können wir Kinder noch so lange Teil der Legislative sein, es nützt uns einen Scheiss! Und weisst du, was fies ist?» – «Was?» – «Das ist nur so, weil ich von deinem Geld abhängig bin.»
Da soll nochmal einer behaupten, die würden nichts lernen in der Schule. «Und was schliesst du daraus?», frage ich. «Ich brauche mehr Taschengeld. Dann muss ich nicht immer zwischendurch fragen und bin freier.» Was soll ich da sagen? Kinder sind ab dem ersten Tag ihres Lebens Opportunistinnen und bleiben es, solange ihre Eltern da mitspielen.
«Das mit der Sackgeld-Erhöhung wurde wieder von der Traktanden-Liste gestrichen»
Immerhin hat das Kind mit seinen 19 Jahren schon mal einige politische Grundsätze begriffen: 1. Wer Geld hat, hat Macht. Auch in einer Demokratie. 2. Mitreden ist gut, Geld ist besser. 3. Egal, welche Schlussfolgerungen man aus gewissen Tatsachen zieht, wenn man sie klar und laut formuliert, hat man die Chance, zu kriegen was man will, ohne dass das Gegenüber merkt, dass es zu seinem Nachteil ist. Das funktioniert allerdings nicht immer und kann auch nach hinten losgehen. Das mit der Sackgeld-Erhöhung wurde jedenfalls wieder von der Traktanden-Liste gestrichen. Auch wenn ich gestehe, dass ich die Herangehensweise des Kindes durchaus clever finde.
Fast ein bisschen schade, interessiert sich meine Tochter nur sehr oberflächlich für die Stimm-Unterlagen, die seit einem Jahr für sie ins Haus flattern, obwohl sie politisch sehr interessiert ist – nicht nur, wenns um ihr Taschengeld geht. Erst kürzlich unterhielten wir uns über die Themen Migration und Integration, und ich war überrascht, wie differenziert sie die Dinge sieht: «Wenn alle Einwanderer wieder gehen würden, könnten wir mehr oder weniger alles dichtmachen hier. Aber man hat halt nicht unbegrenzt Platz.» – «Stimmt. Und darüber, wo diese Grenzen sind, gehen die Meinungen zuweilen ziemlich auseinander. Wie bei uns auch.» – «Wie meinst du das?» – «Also, ich persönlich teile mein Bett und mein Zimmer, wenn überhaupt, mit maximal einer Person. Dir ist egal, wenn die sich in deinem Bett und auf deinem Fussboden stapeln. Das ist dein Problem. Aber wenn eine Horde deiner Freundinnen und Freunde am Sonntagmorgen unser Bad und unsere Küche fluten, wirds zu meinem Problem.» – «Da kann man ja auch mal grosszügig sein.» – «Ja. An einem Sonntag. Aber nicht an jedem ...»
Ich halte inne. Also entweder bin ich einfach nur uralt geworden, oder ... Das Kind grinst. «Du bist die verdammte SVP!» – «Kein Wort davon zu Oma!» (Meine Mutter hat in meinen Teenager-Tagen den Tag des Nicht-EWR-Beitritts der Schweiz zum familieninternen Trauertag erklärt). Das Kind grinst noch breiter. «Also, das mit dem Taschengeld ...». – «Echt jetzt? Weisst, du was das ist? Erpressung!» «Nein», sagt das Kind. «Das ist Demokratie.»