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Der ganz normale Wahnsinn

Überforderte Lehrerinnen und Lehrer

Eine Umfrage unter Schweizer Lehrpersonen ergab, dass jede dritte von ihnen mindestens einmal pro Monat unter depressiven Beschwerden leidet. Genauso viele sind burnoutgefährdet. Gesundheitsförderung Schweiz richtet sich mit einem «Wunschzettel» an die Eltern der Schülerinnen und Schüler. Super, findet unsere Familienbloggerin. Und ganz schön wäre, wenn sich die Lehrerinnen und Lehrer diesen auch zu Herzen nehmen würden.

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Rear view of group of students raising hands to answer teacher's question in the classroom. Focus is on hands in the middle.

Lehrerinnen und Lehrer sind öfter überfordert. Das gilt aber auch für Schülerinnen, Schüler - und Eltern!

iStockphoto

Die Umfrage unter 600 Lehrpersonen von 5. Bis 9. Klässlern ergab, dass jede fünfte sich ständig überfordert fühlt. Jede dritte leidet mindestens einmal im Monat an depressiven Beschwerden, genausoviele sind burnoutgefährdet. Da kann einem als Eltern das Vertrauen in die Schule schon mal ein bisschen abhanden kommen.

Wunschliste für Eltern

Dass auch wir Eltern an diesem Zustand nicht unschuldig sind, ist allerdings unbestritten. Gesundheitsförderung Schweiz richtet sich deshalb im «20 Minuten» mit einem «Wunschzettel» von Lehrpersonen an Eltern: Sie sollen dafür sorgen, dass Kinder ausgeschlafen zur Schule kommen, sich nicht zu viel in den Unterricht einmischen, aber auch nicht völlig desinteressiert sein, ihre Kinder bei den Hausaufgaben unterstützen, keinen Prüfungsdruck machen, den Kindern Anstand beibringen und Wertschätzung für die Arbeit der Lehrpersonen zeigen.

Wunschliste für Lehrerinnen und Lehrer

So weit, so gut. Und wisst ihr was, liebe Lehrerinnen und Lehrer? Hätte ich einen Wunschzettel an euch zugute, würde er ziemlich genau gleich aussehen.

Bei uns beginnt die Schule an den meisten Wochentagen um 7.30 Uhr. Kein Mensch funktioniert um diese Zeit auf Knopfdruck, auch wenn er nicht die halbe Nacht Netflix geschaut hat. Ihr auch nicht. Ich sehe einige von euch frühmorgens übelgelaunt über den Pausenplatz schlurfen. Schön wäre, wenn ihr eure schlechte Laune nicht an den Kids auslasst. Dann tun sies vielleicht auch nicht.

«Es ist halt einfacher, jedes Kind in eine Schublade zu stecken, als sich die Mühe zu machen, ab und zu hinter die Fassade zu schauen.»

Womit wir schon beim nächsten Thema wären: welche Regeln zu Hause gelten, eben zum Beispiel wann und wie lange die Kinder Netflix schauen dürfen, geht euch nichts an. Aber: die Kinder verbringen einen Grossteil ihrer Zeit mit euch, da wäre ein bisschen Interesse an ihrer Person gar nicht so verkehrt. Es gibt zum Beispiel Kinder, die länger brauchen, um sich an Dinge zu gewöhnen, und deshalb anfangs anders erscheinen, als sie eigentlich sind. Aber es ist halt einfacher, jedes Kind in eine Schublade zu stecken, und es dann dementsprechend zu behandeln, als sich die Mühe zu machen, ab und zu hinter die Fassade zu schauen. Ihr wärt vermutlich mehr als einmal überrascht.

Die Sache mit den Plänen

Die Hausaufgaben sind ein leidiges Thema. Meiner Meinung nach völlig unnötig. Ich weiss, sie sind nicht eure Erfindung. Aber kann es wirklich sein, dass man sich als Eltern täglich mit den Hausaufgaben der Kinder rumschlagen muss? Und wenn das wirklich so ist, wäre eine schriftliche Anleitung grossartig. Vielleicht liegts ja an mir, aber ich komme nicht mal mit dem Stundenplan meines Sohnes klar (da stehen keine Fächer mehr drauf, sondern nur «Unterricht» oder kryptische Abkürzungen). Klar definierte Hausaufgaben von einem Tag auf einen andern gibts nicht, dafür Wochen-, Mathe-, Deutsch- und Was-auch-immer-für-Pläne. Ich gebe mein Bestes, ihn zu unterstützen, kann aber am Ende des Tages nicht sagen, ob wir jeweils das richtige gemacht haben.

Was den Prüfungsdruck angeht, bin ich ganz auf eurer Seite. Eine klare Ankündigung von Prüfungen – auch den Eltern gegenüber – wäre allerdings echt hilfreich. Da wären wir wieder bei diesen Plänen. Für mich ist aus ihnen selten ersichtlich, wann Prüfungen stattfinden, und schon gar nicht, was für Stoff sie können müssen. Für meinen Sohn offenbar auch (auch wenn mir klar ist, dass er sich jetzt nicht soooo für diese Dinge interessiert, und auch mal nachfragen könnte). Aber es ist eben auch frustrierend, wenn man Prüfungen verhaut, weil man einfach nicht geschnallt hat, dass die stattfinden.

Die Sache mit dem Anstand

Anstand. Tschuldigung, aber da kann ich nur sagen: Danke gleichfalls! Kinder mit komischen Bemerkungen vor der Klasse blossstellen, geht nicht. Ein Kind, das den Grund für das zu späte Einreichen einer Aufgabe erklären will, ignorieren, ist auch nicht okay. Und die Bemerkung «besser lernen» unterm Voci-Test ist unnötig – das merkt das Kind spätestens jetzt selbst. (Oder aber es hat gelernt, hatte einen schlechten Tag, und hält sich jetzt für unfähig und blöd.)

Dass es um die Wertschätzung für die Arbeit von Lehrpersonen vermutlich von Eltern- und Kinder-Seite her nicht gerade super bestellt ist, stimmt wohl. Aber erstens macht ihr, liebe Lehrerinnen und Lehrer, das freiwillig und werdet dafür bezahlt. Die Kinder müssen zur Schule, und die meisten gehen nicht täglich mit grosser Freude hin. Zeigt ihr denn Wertschätzung ihnen gegenüber? Auch denen, die nicht immer nur gute Noten schreiben und sich vorbildlich verhalten?

«Statistisch gesehen haben meine beiden Kinder und ich einige überforderte, zeitweise depressive und burnoutgefährdete Lehrpersonen erlebt.»

Meine Tochter kam vor zehn Jahren in den Kindergarten. Statistisch gesehen haben meine beiden Kinder und ich in dieser Zeit also einige überforderte, zeitweise depressive und burnoutgefährdete Lehrpersonen erlebt. Wir haben aber auch einige richtig tolle Lehrerinnen und Lehrer erlebt. Deshalb: danke, liebe Lehrerinnen und Lehrer. Ich weiss, es war und ist nicht immer einfach mit uns Eltern. Wir schätzen euren Einsatz und euer Interesse. Denn schlussendlich ist es das, was zählt.

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Familienbloggerin Sandra C.
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Von Sandra Casalini am 26. April 2019 - 11:39 Uhr