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Der ganz normale Wahnsinn

Der Umzug und das Schnäggli-Spiel

Sandra C. und ihre Familie müssen umziehen. Ein Unterfangen, das für die Familienbloggerin mit gemischten Gefühlen verbunden ist. Sie freut sich auf Neues, hat aber auch ein bisschen Mühe damit, Altes loszulassen. Zudem hat sie aus der eigenen Kindheit nicht nur positive Erinnerungen zu dem Thema.

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Umzug zügeln Kartons

Die Familie von Sandra C. muss zügeln - das macht alle etwas traurig. 

iStock

Wir ziehen nicht ganz freiwillig um. Klar, wenn man zur Miete wohnt, muss man damit rechnen, dass man nicht ewig bleiben kann. Für mich wars trotzdem ein kleiner Schock, als unser Vermieter Eigenbedarf anmeldete. Nicht wegen mir - meine Ansprüche an eine Bleibe halten sich in Grenzen, und ich kann mir vieles vorstellen, was den Ort angeht, an dem ich lebe. Aber meine Kinder sind in diesem Haus aufgewachsen, seit sie denken können, sie haben hier ihre Freunde, sind tief verwurzelt in der Gemeinde. In einer Gemeinde, notabene, in der es nicht sehr einfach ist, eine einigermassen bezahlbare Bleibe zu finden. Ich musste mich also auch mit dem Gedanken auseinandersetzen, wegzuziehen.

Ich war genauso alt wie meine Tochter jetzt, als wir umzogen. Und ich hätte ihr gern gesagt, Umziehen ist toll, du kriegst ein neues Zimmer, neue Freunde, alles ist easy. Aber ich konnte das nicht, weil es nicht so ist. Weil, ganz ehrlich: Mit knapp zwölf ist Umziehen echt scheisse - und es gibt keine Beschönigung dafür. Gut, ich gebe zu, die Umstände unseres Umzuges damals waren sicherlich etwas anders, zumal wir aus städtischer Zürcher Umgebung in ein Bündner Dorf zogen. Und obwohl ich schon immer einen Grossteil meiner Freizeit bei meinen Grosseltern im Bündnerland verbracht hatte, war alles brutal anders, als ich es kannte. Ich hasste es, die Neue zu sein. Die, die nicht schon von Geburt an im Dorf wohnte. Die, deren Eltern nicht seit Jahren im Bäuerinnen- , Gesangs- und Turnverein waren. Die, welche keinen astreinen Bündner Dialekt sprach. Und auch wenn ich mich mit der Zeit tatsächlich ans Dorfleben gewöhnte und neue Freunde fand, erinnere ich mich an viele Tränen und viele Stunden des Unbehagens und der Einsamkeit. Und diese wollte ich meinen Kindern um jeden Preis ersparen.

Nun, es hat zwar eine Weile gedauert, aber wir hatten tatsächlich das Riesenglück, in unserer Gemeinde etwas zu finden. So bleiben die Kinder zwar nicht ganz in ihrer gewohnten Umgebung, aber zumindest in der Nähe. Wir werden ein Gesuch stellen müssen, dass sie in ihrer Schule bleiben dürfen, aber ich bin guter Hoffnung, dass das kein Problem sein wird. Und jetzt hat also das grosse Packen begonnen. Eine Chance, endlich allen Ballast loszuwerden, der sich über die Jahre angesammelt hat. Auch wenn das zuweilen mit etwas Wehmut verbunden ist. Für mich und für die Kinder. So frage ich mich zum einen, warum ich so viele Kleider und Spielsachen aufbewahrt habe. Auf der anderen Seite entfährt mir mit jedem Mal, wenn ich etwas davon entsorge, ein wehmütiger Seufzer: «Mein Gott, da hat sie wirklich mal reingepasst.»

Kürzlich habe ich den alten Spiele-Schrank ausgeräumt. «Ooooh, das Schnäggli-Spiel!», rief mein Sohn, als er zu mir stiess. «Was machst du damit?» - «Ich werfs weg.» - «Aber warum?», fragte er entsetzt. «Weil ihr viel zu gross dafür seid und nicht mehr damit spielt. Und wir können nicht all das Zeug mitschleppen, wenn wir umziehen.» - «Können wirs noch einmal spielen, bevor dus wegwirfst?» Und so spielten wir ein allerletztes Mal das Schnäggli-Spiel. Und als mein Sohn mit seinen Schnecken alle meine Schnecken überholt hatte, liefen mir die Tränen über die Wangen. «Weinst du, weil du verlierst?», fragte er irritiert. Ja, irgendwie schon. Ich weinte um alles, was dieses Heim, das wir nun verlieren, für mich symbolisiert. Die Babys, die ich nächtelang hin und her getragen habe. Die ersten Schritte, die ersten Worte. Die ersten ausgefallenen Milchzähne. Die ersten Kindergarten- und Schultage.             

Aber inzwischen sind die Tränen getrocknet, und ich freue mich auf ein neues Kapitel in einem neuen Haus. Und ich weiss, dass dieses irgendwann genauso viele Erinnerungen für uns bergen wird. Jetzt müssten sich nur noch diese Kisten von selber packen… 

am 11. August 2016 - 13:51 Uhr, aktualisiert 21. Januar 2019 - 01:28 Uhr