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Notabene von Chris von Rohr

«Aus für Pfüchs»

Musiker, Produzent und Autor Chris von Rohr stellt in seiner Kolumne fest, dass wir zu viel Zeugs produzieren, für das es keine Verwendung gibt und wir Meister sind im Ölen von Leerlaufgetrieben.

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Festival visitors clean up during the Openair music festival in Frauenfeld, Switzerland, Sunday, July 10, 2011. The 17th OpenAir Frauenfeld takes place from 8 to 10 July 2011. (KEYSTONE/Ennio Leanza)

Nach dem Openair Frauenfeld blieb jede Menge Müll liegen.

Keystone

Kürzlich äusserte ich mich an dieser Stelle über die zunehmend nasenrümpfige Haltung gegenüber Arbeitnehmern, die das Pensionsalter zwar in Sichtweite, aber noch nicht erreicht 
haben. Anderseits komme ich nicht um die Feststellung herum, dass eine beachtliche Anzahl Menschen morgens aus dem Haus juflet, um Zeugs zu produzieren, für das es keine Verwendung gibt. 

Heute lese ich in der Zeitung, das Munitionslager der Schweizer Armee müsse entrümpelt werden. Angehäuftes Chlepfzeug im Wert von fast dreieinhalb Milliarden will man loswerden. Ich überlege mir, durch wie viele Hände, über wie viele Bürotische, Lastwagenbrücken, Staplergabeln und Lagerregale die ganzen Chügeli und ihre Ausweispapiere vorher gezogen wurden – kreuz und quer durchs Land. Das Schaffen von Überschuss scheint so aus dem Ruder gelaufen zu sein, dass selbst das Restmunition-Verballern am Ende des WKs kaum eine entschärfende Wirkung zeigt. 

Keine Kübel an neuralgischen Stellen

Wenige Zeitungsseiten später wird der Frage nachgegangen, 
ob man zum Zweck der Arbeitsplatzsicherstellung Flugzeuge und Instruktionsdienstleistungen verkaufen darf, die der Herstellung und Wartung von Kriegsaktivitäten dienen.

Danach folgen postume Eindrücke vom Open Air Frauenfeld. Selten sehen wir hier derartige Müllhalden. Die Öfen der Kehrichtverbrennung werden ebenso wenig abkalten wie die Motoren der Müllwagen. Und die Zelthersteller können gleichzeitig bereits die Produktion für die nächste Open-Air-Saison starten.

In anderem Zusammenhang lese ich von Bestrebungen, die Recyclingquote der Getränkegebinde zu steigern. Auf den Gedanken, an neuralgischen Stellen Kübel für PET, Alu, Glas, Papier und Restmüll aufzustellen, scheint keiner zu kommen. Jeder darf mir dies alles verkaufen, bloss zurückgeben kann ich es ihm nicht. Nicht alle bringen es fertig, mit PET-Flaschen kilometerweit herumzulaufen, um sie gewissensfreundlich loszuwerden. Würde man mittels Streuung gescheiter Entsorgungsmöglichkeiten auch Arbeitsplätze killen, oder wo muss ich den Grund dafür orten, dass dies hier in der Schweiz nicht gemacht wird? 

«Bezahle ich die Rechnung nicht, bleibe ich auf dem Problem sitzen»

Auch die SBB machen Sorgen. Immer mehr Züge kommen unpünktlich, sind total überfüllt oder fallen ganz aus. «Wir nehmen das Thema ernst», sagte einst der Sprecher. Ich merke nix. Man kann nur hoffen, dass die fett verdienende Führungsetage den Laden wieder in den Griff bekommt, denn wer will bei dem Verkehrschaos noch auf die Strasse? 

Und erst die Justiz! Wäh
rend ich aus dem Schulunterricht die angenehme und beruhigende Überzeugung mitgenommen hatte, dass hier ausnahmslos jeder Bürger die Möglichkeit hat, sein Recht einzuklagen, konfrontiert mich eine Freundin mit der Realität.

Nehmen wir an, ich werde zu Unrecht zur Kasse gebeten und möchte dem Übeltäter den Riegel schieben. Dazu hole ich mir als Laie einen Anwalt zu Hilfe. Der stellt natürlich für die Zeit, die er braucht, um sich in den Fall einzuarbeiten, umgehend eine Rechnung. Danach landen wir vorerst bei der Schlichtungsstelle. Die ermuntert uns zu einem Kompromiss, damit die Mühlen des Gerichts nicht angeworfen werden müssen. Da ich finde, dass ein Betrüger für seine Machenschaften nicht belohnt werden soll, steige ich nicht darauf ein. Somit kommt bald das Aufgebot des Gerichts mit einer Rechnung. Bezahle ich diese nicht, bleibe ich auf dem Problem sitzen, und es findet keine Anhörung statt. 

«Dekadenz lohnt sich»

Also bezahle ich und freue mich darauf, dass sich endlich ein Richter der Details annimmt und den Fall juristisch in die Mangel nimmt. Am Tag der Verhandlung stelle ich jedoch fest, dass es wieder bei der Ermunterung bleibt, sich auf einen Kompromiss zu einigen. Andernfalls müsste man Monate später erneut zu einer im Voraus bezahlten Verhandlung erscheinen, wo Zeugen vorgeladen und befragt würden und man sich erstmals dem eigentlichen Gegenstand des Streites widmen würde. Vermutlich ginge es lange so weiter … Der Inhalt des Portemonnaies würde ebenso dahinschmelzen wie der Seelenfrieden.

Also bezahle ich zähneknirschend etwas an meinen Kontrahenten, um mich aus der Affäre freizukaufen. Durch diese Praxis werden viele faule Aktivitäten am Leben erhalten und der Gerichtsapparat auch – ohne dass man im Kampf um Treu und Glauben einen Schritt weiterkäme. Dekadenz lohnt sich. 

Bei mir wächst der Eindruck, dass wir zunehmend Meister sind im Ölen von Leerlaufgetrieben. Wir schaufeln uns gegenseitig 
Beschäftigungsmöglichkeiten zu, die bei genauerem Hinsehen einfach für Pfüchs sind. O Schweiz, du Land im Wohlstandstaumel! 

Von Chris von Rohr