1. Home
  2. Blogs
  3. Senkrecht
  4. «Senkrecht» mit Natascha Knecht – Sport für Faule

«Senkrecht» mit Natascha Knecht

Sport für Faule

Natascha Knecht, 49, Journalistin und Alpinistin, Buchautorin und Bloggerin erklärt, weshalb sie auf ihr Fitness-Abo stolz ist, obwohl sie es nicht braucht und was denn Sport für Faule ist. 

Artikel teilen

Eisklettern
bernard van dierendonck

Haben Sie auch schon von diesen Leuten gehört, die voller Tatendrang ein Jahresabonnement fürs Fitnesscenter kaufen, dann aber nie hingehen? Auch ich gehöre zu denen. Ich bin die beste Kundin, die sich eine Muckibude wünschen kann. Mein aktuelles Abo läuft seit dem vergangenen Sommer. Seither bin ich dreimal dort gewesen. Ganz am Anfang. Dann nie mehr.

Immerhin – das muss ich zu meiner Verteidigung erwähnen – handelt es sich um das günstigste Studio weit und breit. Ich bezahle also weniger, um nicht hinzugehen. Zudem befindet sich das Studio direkt in meiner Wohnstrasse. Täglich gehe ich mindestens zweimal daran vorbei und staune selber, wie viel Ausdauer ich aufbauen konnte – im Nicht-Hingehen. Und mehr Ausdauer ist doch der Sinn eines Abonnements, oder?

Die Natur als Fitnesscenter

Weiter möchte ich zu meiner Ehrenrettung anbringen: Nicht ins Studio gehen heisst nicht, dass jemand unfit ist. Mein eigentliches Fitnesscenter ist die freie Natur. Ich jogge im Wald, steige auf Berge, fahre Ski, klettere durch Steilwände. Freiwillig und regelmässig. Falls Sie sich fragen, warum ich mir dann ein Fitness-Abo zulege, gebe ich Ihnen hier gerne die Antwort: Ich war am Tag des Kaufs voll motiviert. Rückblickend war das ein Witz. Aber wie heisst es so schön? Scheitern ist genauso wichtig wie Gewinnen. No risk, no fun.

Der Jünglig sah ähnlich sexy aus wie ein aufgescheuchtes Huhn

Nun habe ich einen erneuten Anlauf genommen, um mein Abonnement herauszuschlagen. Am kürzlich international begangenen Welt-Jogginghosentag (gibt es wirklich!) rannte ich auf dem Laufband eine Stunde lang an Ort und Stelle. Es war unbeschreiblich langweilig und kaum aushaltbar. Nicht einmal die stöhnenden Typen auf der Hantelbank konnten mich von der Eintönigkeit ablenken. Weil ich dummerweise den iPod vergessen hatte, musste ich mich von der Musik aus den Lautsprechern berieseln lassen. Es lief «The Greatest».

In diesem Hit wiederholt die Sängerin hundertmal «I got stamina». Stamina bedeutet auf Deutsch Ausdauer, Durchhaltevermögen. Wenn das Lied im Radio kommt, schalte ich jeweils sofort um. Hier musste ich bis zum letzten Ton durchhalten, Stamina beweisen, die Komfortzone verlassen.

Ausdauer im Slow Cycling

Interessant fand ich die zwei laut plaudernden Italienerinnen im Rentenalter. Sie waren in der Veloabteilung und bewiesen eine erstaunliche Ausdauer im Slow Cycling. Die beiden traten so langsam in die Pedalen, dass sie auch zu Hause im Bett hätten bleiben können. Anders der drahtige Jüngling bei den Cross-Steppern. Er baute eine massive Menge Testosteron ab, indem er im Speedtempo steppte und ähnlich sexy aussah wie ein aufgescheuchtes Huhn. Später wechselte er aufs Laufband und trampelte darauf wie ein Elefant. Immerhin bekam er dafür, was er brauchte: Jedes Girl auf dem Stockwerk schaute ihn an.

Nach weiteren zwei Besuchen im Fitnesstempel bin ich wieder in die Berge geflüchtet. Zum Eisklettern. Ein einziger gefrorener Wasserfall ist für die Fitness gleich effektiv wie ein Monat tägliches Training im Studio. Es ist ein Sport für Faule. Genau richtig für mich.

Von Natascha Knecht am 4. Februar 2019 - 15:17 Uhr, aktualisiert 4. Februar 2019 - 20:08 Uhr