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Stadt - Berg einfach

Pendeln und staunen 2

Das viele Zugfahren hats in sich: Bloggerin Sarah Rüegger trägt die Higlights aus einer Pendlerwoche zusammen.

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Was nur ist verdammt noch mal mit dem Freitag los? Während ich das hier schreibe - und es ist eben grad Freitag - sitze ich in einem Familienwagen der SBB. Und der ist verdammt noch mal voll, das erste Mal diese Woche! Ich habe gerade wieder Dienstwochen bei meiner Zeitung, das heisst, ich arbeite von 14 bis 22.30 Uhr im Büro, mein Zug in Bern ist der Doppelstöcker um 12.32 Uhr nach Romanshorn, ohne Halt bis Zürich HB. Immer. Jeden einzelnen Tag nehme ich diesen Zug. Darum der Familienwagen. Unten, meistens, wegen dem Kinderlärm, der um diese Zeit gerne im oberen Spielwagen herrscht (Familien reisen offenbar gerne am Mittag, warum auch immer; und: wo sonst auf der Welt gibts eigentlich einen Spielplatz in einem regulären  Pendlerzug?!), manchmal muss ich wegen überfüllt auch rauf, aber easy, sowas überlebt man dank Kopfhörern. Warum der Familienwagen? Nun, nach bald einjähriger Pendler-Recherche ging mir auf, dass zumindest unter der Woche der Familienwagen ein herrliches Refugium ist, wo man immer nett ein Abteil für sich hat und ohne schlechtes Gewissen Kaffee, Wasser, Taschen (eins bis zwei), manchmal Skateboard, skandalös weitläufig um einen herum verteilen kann. Warum das so ist?

Nun ich tendiere zu der Idee, dass viele zu faul sind, ganz ans Zugsende zu latschen. Zudem vermute ich, dass gerade grössere Familien, organisatorisch so sehr mit Kinderwagen, Kindern und sonstiger Bagage beschäftigt sind, dass es ihnen gar nicht bis zum Zugsende reicht. Plus reisen viele Familien heute doch eh nicht mehr mit dem Zug, sondern kurven Kind und Kegel lieber in Kombis und Geländewagen ans Ziel, wo sich viel mehr Spielzeug, Essensvorräte und Windeln bunkern lassen. Und deshalb wissen sie, wenn sie dann mal mit dem Zuge reisen, gar nicht, dass es eigentlich einen Familienwagen gibt. Einen grossen Nachteil gibt’s im Familienwagen natürlich und bis heute habe ich die Hintergründe noch nicht erörtern können: Es gibt in den Sitzabteilen keine einzige Steckdose. Schon mal aufgefallen? Und das
in Zeiten, wo spätestens zum siebten Geburtstag ein iPad her muss, natürlich zusätzlich zum Smartphone, wäre ja sonst ein Verrat an den sogenannten Digital Natives mit ihren supermuskulösen Daumen. Stellt
euch vor, mitten in einer Candy-Crush-Rekordjagd geht dem Kinde der Akku flöten! Ich wette, das geht kein Jahr mehr, bis auch die Familienwagen mit ihrem Spielplatz und den lustigen Leiterlispiel-Tischchen
mit Steckdosen ausgestattet werden, man muss doch mit der Zeit gehen!

Nun, anyway, ich war in letzter Zeit wieder viel mit dem Zug unterwegs und Mensch, hatte ich wieder Grund zum Staunen! Deshalb ist es mal wieder Zeit für eine Liste mit meinen abstrusen Pendler-Highlights der letzten Wochen:

Die Fisch-Jungs
Letztens war ich mal wieder supigut drauf, hatte Feierabend, einen netten Whatsapp-Chat, den Zug eine halbe Stunde früher erwischt (yes!) und ein Bierchen vor mir. Der Zug war gut gefüllt, was um 22.32 Uhr nicht wirklich üblich ist, aber who cares. Ich hatte mich gerade hübsch eingerichtet und neben mir einen Sitzplatz frei. Da kommen vier Jungs ins Abteil, drei davon tragen merkwürdige Karton-Koffer in der Hand. Das sah zugegeben schon an sich ziemlich scheisse aus, aber egal. Natürlich setzen sie sich neben mich ins Abteil, also genaugenommen verteilten sie sich über zwei Abteile, weil ja der Platz knapp war. In diesem Moment bemerke ich sowie mein mir unbekanntes Gegenüber, was es mit den Pappkoffern auf sich hat. Offenbar verkauft ein deutscher Fisch-Takeaway sein Essen in diesen unappetitlichen Undingern. Ich blicke unwillkürlich in das Gesicht meines Gegenübers. Nun, wenn im Lexikon «Abscheu» auch mit einem Bild dargestellt werden müsste, man hätte in diesem Moment ein Foto machen müssen. Drei Pappkoffer vollgestopft mit frittiertem Fisch und Fritten. In. Einem. Zug. Auch das Lexikonbild für «Ablöscher» hätte man hier aufnehmen können, und zwar von allen Beteiligten ohne Fischkoffer. Nun, die Herren öffneten vorfreudig das ausgeklügelte Verschlusssystem und mein Gott, ich war noch nie in Marseille, aber genau so muss es dort im August riechen. Plus Fritten. Worst idea ever. Drei Kebabs wären mir lieber gewesen.

Das Knatsch-Päärli
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie wohl sich die Leute im Zug fühlen. Sie essen stark riechendes Essen, sie rülpsen, furzen, saufen, stillen, wickeln und breiten immer wieder ihr Privatleben aus, ob am 
Telefon oder Face to Face. Und offenbar ist auch Streiten kein Tabu im Zug, wie ich letztens feststellen musste. Da sass ein Pärchen mit mir in einem sonst leeren Zugwagen. Ich vorne, sie hinten. Mir war mal wieder der Akku irgendwo auf der Strecke liegengeblieben, weshalb ich keine Musik hören konnte, was mir zum Verhängnis wurde, wie ich bald feststellen musste. Das Pärchen war jung, das konnte ich hören, 
und sie hat es mit Grundsatzfragen - er aber nicht so. Jedenfalls fand sie es grundsätzlich superscheisse, dass er an dem Abend «sicher zwei Liter Bier» getrunken hatte. Wieso das so ist? Na, weil es «hässlich» ist. Sehr. Er sagt mal nichts, weil, was gibts da zu sagen, und mit einem Räuschchen sollte man wohl besser nicht diskutieren. Blöd nur: Er hatte aus irgendeinem Grund den Reissverschluss ihrer Tasche nicht zugemacht. Was sie total «respektlos» findet, weil man Sachen so zurückgibt, wie man sie erhalten hat. Das ist wohl so. Er findet das aber «Bullshit» und so geht das dann hin und her, bis es dann darum geht, dass es nicht praktisch ist, wenn die beiden beieinander übernachten, weil man ja nie die richtigen Sachen dabei hat und es jeweils für den anderen unfair ist, wenn man bei dem jeweils anderen übernachtet oder so. Selten habe ich so gerne meine Station erreicht. Ich muss unbedingt meinen Handyakku in den Griff kriegen. Dringend.

Der Kondi-Komiker
Ich sitze wie immer im 12.32-Uhr-Zug nach Zürich. Der Kondi kommt. s-u-p-e-r-g-u-t gelaunt. Find ich immer gut, ist mir lieber als die Mürrischen. Ich zeige mein GA. Er so: «Super, damit können sie ja bis St.Gallen fahren!» Ich so: «Da will ich aber gar nicht hin...» Er so: «Das dachte ich mir schon, hahaha!» Ich so: «Haha...»  und dachte mir hinterher: «Wieso eigentlich?»

Das Laptop-Problem
Im Familienwagen gibt es neben den fehlenden Steckdosen ein weiteres Problem, das mir bis vor wenigen Wochen nicht bewusst war. Und zwar lassen sich die Tischchen im Familienwagen nicht noch einmal ausklappen, wie das sonst in SBB-Intercity-Doppelstöckern der Fall ist. Ich musste also dringend etwas schreiben und setzte mich zu einem Business-Typen, dessen Laptop bereits auf dem Tischchen stand. Und ich schwör euch, auf diese Tischchen passen keine zwei Laptops. Und wir haben es echt versucht, aber da kippt und sperrt einfach alles, ausserdem ist es etwas peinlich, so voreinander zu sitzen und zu tippsen. Glücklicherweile beherrsche ich mittlerweile die hehre Kunst des Auf-dem-Schoss-Tippens in Vollendung.

Skills, Baby!

am 10. Mai 2015 - 13:10 Uhr, aktualisiert 21. Januar 2019 - 01:31 Uhr