Wir sammeln unser ganzes Leben lang Erinnerungen. Ob schöne oder schlechte, sie prägen uns, verbinden uns mit anderen und helfen uns, ein Gespür für die Welt um uns herum zu entwickeln. Diese Erinnerungen und damit einen essenziellen Teil von uns zu verlieren, ist ein beängstigender Gedanke. In der Schweiz ist das aber für rund 160'000 Menschen Realität. Sie leiden an Demenz und vergessen schleichend Momente ihres Lebens.
Es gibt verschiedene Arten von Demenz, die häufigste Form ist die Alzheimer-Demenz. Sie macht gut 60-65 Prozent der Fälle aus, wie Alzheimer Schweiz schreibt. Bisher war der Diagnose-Prozess aufwendig und belastend für Patientinnen und Patienten. Ein neuer Bluttest für Alzheimer-Demenz verspricht nun eine einfachere und kostengünstigere Alternative.
Der Test kann Biomarker im Blut nachweisen, die auf Alzheimer hindeuten – Jahre bevor die ersten Symptome auftreten. Was genau die Ursache für eine Alzheimer-Demenz ist, kann bis heute nicht gesagt werden. Was die Forschung aber nachweisen konnte, ist das Mitverschulden eines zweier bestimmten Proteinen, Beta-Amyloid und Tau.
«Das sind Proteine, die wir alle haben, aber im Fall einer Alzheimer-Demenz verhalten sie sich anders, sie beginnen zu verklumpen und bilden Plaques», sagt Michael Röthlisberger, Geschäftsführer der Demenz Forschung Schweiz im Podcast «Durchblick». Diese Proteinablagerungen führen vermutlich dazu, dass die betroffenen Hirnzellen absterben, wir vergesslicher werden und andere Symptome zeigen. Bis anhin musste eine Reihe an Tests wie Rückenmarkspunktionen und bildgebenden Verfahren wie MRI und CT angewendet werden, um diese Biomarker nachzuweisen. Der neue Test soll das mit einer simplen Blutprobe nun teilweise übernehmen.
Der Schweizer Pharmakonzern Roche hat in Europa die Zulassung für einen Alzheimer-Bluttest erhalten. Dieser wird voraussichtlich ab Herbst 2025 verfügbar sein. Der Test wurde gemeinsam mit dem US-amerikanischen Konzern Eli Lilly entwickelt. Bei einem unauffälligen Ergebnis kann eine Alzheimer-Erkrankung mit diesem Test weitgehend ausgeschlossen werden, ohne dass weitere diagnostische Verfahren nötig sind. «Gibt es Auffälligkeiten, werden weitere Diagnoseverfahren eingeleitet», erklärt Röthlisberger.
Michael Röthlisberger ist Geschäftsführer von Demenz Forschung Schweiz – Stiftung Synapsis. Diese engagiert sich, damit neue Erkenntnisse über Demenzen und die zugrunde liegenden Erkrankungen gewonnen werden können.
ZVGEin weiterer Bluttest der japanischen Firma Fujirebio, der Alzheimer eindeutig nachweist, könnte Anfang 2026 folgen. In den USA hat er bereits eine Zulassung erhalten, in der Schweiz und der EU wird dies voraussichtlich erst Mitte 2026 der Fall sein. «Die Zulassung von Medikamenten und von medizinischen Tests ist in der Schweiz sehr strikt geregelt», sagr Röthlisberger.
Sobald der Test aber verfügbar ist, kann im Grunde jede Hausärztin und jeder Hausarzt ihn anwenden. Röthlisberger gibt aber zu Bedenken, ob es sinnvoll ist, die Bevölkerung breit zu testen, also zum Beispiel in Hausarztpraxen. «Das wird unter Experten derzeit diskutiert. Zudem gilt: Jede Person muss für sich entscheiden, ob sie das wissen will. Denn im Moment sind wir nur begrenzt in der Lage, etwas gegen die Krankheit zu unternehmen.»
Den Fortschritt der Krankheit verlangsamen
Zwar konnte man inzwischen Medikamente entwickeln, die diese Beta-Amyloid-Plaques aufbrechen, sie verlangsamen jedoch nur den Fortschritt der Krankheit. «Die Wissenschaft hatte gehofft, mit dieser Erkenntnis die Krankheit aufhalten zu können, doch dies ist nicht eingetreten», sagt Röthlisberger. Die Tests seien daher viel eher eine Entlastung für Patientinnen und Patienten im Diagnostikprozess. Sie benötigen weniger körperliche und zeitaufwendige Untersuchungen, was schliesslich auch das Portemonnaie entlastet.
Eine weitere Personengruppe, die von den Tests profitieren kann, sind Menschen, in deren Familie Alzheimer-Erkrankungen aufgetreten sind. Je früher die Erkrankung diagnostiziert wird, desto eher können Massnahmen eingeleitet werden. Neben dem zuvor erwähnten Medikament konnten auch andere «nicht-pharmakologische Interventionen», wie Röthlisberger sie nennt, den Verlauf der Krankheit positiv beeinflussen. «Das muss kein stures Auswendiglernen sein, sondern kann beispielsweise Musizieren, Tanzen, Singen, Lesen oder Spielen sein. Alles, was das Gehirn fordert, ist der Hirngesundheit zuträglich.» Zudem seien Schlaf, gesunde Ernährung und Bewegung zentral.
Eine Heilung für die Krankheit liegt noch in weiter Ferne, für Röthlisberger markiert der Bluttest aber klar einen Durchbruch und zeigt auch, dass die Forschung im Bereich Alzheimer-Demenz noch lange nicht am Endpunkt angelangt ist.