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Mimik-Forscherin zum Maskentragen

«Wir werden mehr miteinander reden müssen»

Was macht das Maskentragen mit uns? Wie kommunizieren wir, wenn die Hälfte unseres Gesichts ausdruckslos bleibt? Mimik-Forscherin Jennifer Hofmann warnt vor Missverständnissen, sieht in der Krise aber auch Positives für die Gesellschaft.

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Dr. Jennifer Hofmann, Mimikforscherin, Universität Zürich. Foto Bernard van Dierendonck

«Gelächelt wird auch in 300'000 Jahren noch», ist Mimik-Forscherin Jennifer Hofmann, 35, überzeugt.

bernard van dierendonck

Die Augen seien der Spiegel der Seele, heisst es. Ein schönes Bonmot, das jedoch nicht ganz der Realität entspricht. Denn unsere Emotionen drücken wir eine Etage tiefer aus. «Aufgrund unserer Entwicklung können wir den Mund besser kontrollieren als den Rest des Gesichts», weiss Mimik-Forscherin Dr. Jennifer Hofmann. Alle überlebenswichtigen Handlungen, die wir als Baby durchführen, also Schreien, Saugen oder Schlucken, spielen sich im Mundbereich ab. «Wir haben daher eine grosse willentliche Kontrolle über unsere Mundregion und auch über den emotionalen Ausdruck, den wir zeigen möchten», erklärt die Psychologin.

Im ZIEL (Zurich Interaction and Expression Laboratory) erforscht Hofmann, wie man Emotionen und Kommunikationssignale aus der Mimik und der Körpersprache lesen kann. Dazu werden die Reaktionen von Probanden mit der Kamera festgehalten. «Über Video besteht die Möglichkeit, 25 Bilder pro Sekunde anzusehen und die Mimik zu studieren.» Für ihre Doktorarbeit hat die 35-Jährige untersucht, wie wir 16 positive Emotionen unterschiedlich ausdrücken. Es sind winzig kleine Bewegungen, die den Unterschied zwischen einem zufriedenem und einem dankbaren Lächeln machen. Mit blossem Auge ist diese Mikromimik nicht wahrnehmbar. «Das Einzige, was wir im echten Leben erkennen können, ist ein unechtes, vorgetäuschtes Lachen», so Hofmann. Nämlich dann, wenn sich die äusseren Augenwinkel nicht mitbewegen – sprich: wenn die Augen nicht mitlachen.

Dr. Jennifer Hofmann, Mimikforscherin, Universität Zürich. Foto Bernard van Dierendonck

«Über Video besteht die Möglichkeit, 25 Bilder pro Sekunde anzusehen und die Mimik zu studieren»: Jennifer Hofmann.

bernard van dierendonck

Was bedeutet es für unseren Alltag, wenn Masken unseren Gesichtsausdruck verdecken? «Theoretisch ist es möglich, dass es zu mehr Missverständnissen kommt, weil eine wichtige Informationsquelle wegfällt», sagt Hofmann. Uns müsse bewusst sein, dass das, was wir normalerweise machen, nicht mehr funktioniere. Die Lösung: auf andere Kommunikationskanäle ausweichen. Kurz: «Wir werden mehr miteinander reden müssen.» Hält uns zum Beispiel jemand die Tür auf, reicht ein einfaches Lächeln nicht mehr. Es braucht ein explizit ausgesprochenes Dankeschön. Auch für die Aufrechterhaltung von Gesprächen ist das Hochziehen der Mundwinkel wichtig. «Es signalisiert Zustimmung und Aufmerksamkeit.» Fällt dieses Signal weg, müssen wir es durch ein Nicken oder durch verbale Zeichen wie ein «Aha» ersetzen.

Dass manche die Stimmung auf der Pendlerfahrt in Zeiten des Maskenzwangs als bedrückend empfinden, sei völlig normal, sagt die Forscherin. «Diese Wahrnehmung ist jedoch je nach Persönlichkeit sehr unterschiedlich.» So sei es Extrovertierten eher unwohl, wenn nonverbale Signale wegfallen, als Introvertierten. Wer sympathischer wirken wolle, könne auch auf Masken mit einem fröhlichen Blumenmuster setzen.

«Wir können den Mund besser kontrollieren als den Rest unseres Gesichts»

Jennifer Hofmann

Abstandsregeln, Maskenpflicht – werden wir als Gesellschaft aufgrund von Corona distanzierter? «Das glaube nicht», sagt Hofmann bestimmt. Eine Krise habe oft auch den Effekt, dass man zusammenstehe. «Sie nehmen den Zug – und plötzlich haben Sie mit allen anderen Passagieren etwas gemeinsam: Sie müssen alle eine Maske tragen. Das kann extrem verbindend sein.» Dass die neue Normalität noch lange nachhallt, hält sie hingegen für gut möglich: «Einige Verhaltensformen werden sich bestimmt ändern.» Das Händeschütteln etwa könnte nun hinterfragt werden. Und je länger das Maskentragen anhält, desto normaler werde es uns vorkommen.

Allerdings müsse man einen Unterschied zwischen gelernten Gesten und angeborenem Verhalten machen. «Das Lächeln werden wir uns hoffentlich auch in den nächsten 300'000 Jahren nicht abtrainieren!»

Von Marlies Seifert am 13. Juli 2020 - 08:39 Uhr