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Für Afghanistan – guter Zweck nicht gut genug

Wütend, weil Bloggerin Pony M. Spenden sammelt? Warum?

Die Schweizer Bloggerin hat erfolgreich auf Facebook zum Spenden für Afghanistan aufgerufen. Über 120 000 Franken kamen bisher zusammen. Medien berichteten. Aber gemäss den Drunter-Kommentaren waren nicht alle glücklich darüber. Es gäbe schliesslich auch hierzulande Leute, die finanzielle Hilfe benötigen… Warum ist das Engagement für einen guten Zweck nicht mehr gut genug? Und was ist «Whataboutism»? Warum lähmt er uns so?

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Schweizer Bloggerin Pony M

Pony M.s Spendenaufruf auf Facebook fand Anklang – und über 100 000 Franken.

Pony M

«Es gibt auch Bedürftige bei uns» … «Ein Fass ohne Boden» … Was ein guter Wille zum guten Zweck nicht alles sein kann – wenn nur nicht gut. Bloggerin Pony M. hat ihre Facebook-Community mobilisiert. Innert weniger Tage eine Menge Geld gesammelt, das via Caritas den Frauen, Kindern, Männern in Not in Afghanistan zukommen soll (hier lang zum Spendenaufruf). Geholfen hat ihre Reichweite. Und die von 20 Minuten Online, die darüber berichteten.

«Anderen geht es auch schlecht… »

Sie freut sich. Zu recht. Bedankt sich, dass andere ganz selbstlos bei ihrer selbstlosen Tat mitgeholfen haben. Ein Erfolg. Aber einigen Drunter-Kommentator*innen im Internet reicht das offensichtlich nicht. Sie fragen sich, warum wir «woandershin spenden», wenn es Menschen hierzulande schliesslich auch schlecht geht.

Weil wir A nicht haben, sollten wir uns gar nicht erst um B kümmern. Weil es Menschen in Europa gibt, die leiden, sollten wir uns gar nicht erst um diese Leute in Afghanistan kümmern. Dieser gedankliche Vorgang nennt sich Whataboutism oder Aber-was-ist-denn-mit-ismus – und führt zu einer Lähmung. Weil es Ungerechtigkeiten und Leid gibt, sollten wir eben genau nach mehr Gerechtigkeit streben. Nur, weil etwas ungerecht ist, muss nicht alles ungerecht sein.

Es ist pro-ble-ma-tisch

Alles ist problematisch. Und problematisch ist das Modewort unserer Zeit. Alles wird problematisiert. Keine Aktion ohne kritische Reaktion. Egal, ob es um etwas so selbstloses wie das Sammeln von Spenden oder vegetarischen Gerichten geht. Es gibt überall Probleme. Und sie zu erkennen, hat einen guten Ruf.

Natürlich hat diese Problembenennung uns auch schon voran gebracht. Die Demokratie hat sie uns beschert. Twitter füllt sie mit Inhalt. Dank ihr haben wir auch so Dinge wie gefütterte Daunenmäntel oder Fernbedienungen. Aber mit Whataboutisms wird die Problembenennung selber zum Problem. Es lenkt vom Ausgangsthema ab.

Yonni Moreno Meyer, alias Pony M. hat in der Vergangenheit selbst schon darüber geschrieben. Sie kennt sich damit schliesslich bestens aus. Schon lange online und mit vollen Kommentarspalten unterwegs. «Ursprünglich stammt der Begriff aus der Politik. Geprägt wurde er in Zeiten des Kalten Krieges und er beschreibt die Taktik der Sowjetunion, bei Kritik an ihrer Politik mit ‹Und was ist mit...› zu antworten und im Anschluss auf die politischen Probleme des Westens zu lenken», schreibt Meyer über Whataboutism auf Watson. Um das mal kurz geschichtlich einzuordnen. Seither nimmt dieser Error in der Diskussionskultur vor allem im Internet weiter seinen Lauf. 

Es werden Gegenfragen hervorgebracht, deren Bezug zum eigentlichen Inhalt fehlt (typisch Internet). Wenn man also beispielsweise die Katze der Nachbarin schubst und die Halterin fragt, was das denn soll, fragen wir nicht einfach: Was ist eigentlich mit dem Leiden der Tiere in Australien? Und wenn noch einmal jemand im Internet mit Whataboutism argumentiert, dann lautet unsere Antwort: Und was ist eigentlich mit Billy Joel? (Liebe Grüsse).

Von Rahel Zingg am 21. August 2021 - 11:00 Uhr