Herr Lyssy, Sie erhalten den Career Achievement Award verliehen.
Und ich glaubte erst an einen Aprilscherz, als mir Direktor Christian Jungen eröffnete, dass er mir diesen renommierten Preis überreichen wird.
Woher stammt Ihre Leidenschaft für den Film?
Das geht in die Kindheit zurück. Ich war im Fip-Fop-Club, einer von Nestlé ins Leben gerufenen Organisation. Jedes Jahr führte diese mit mobilen Kinoprojektoren Filme für Schulklassen vor. Ich war damals etwa neun Jahre alt, und wir sahen neben Disney-Zeichentrickfilmen die grossartigen Filme von Chaplin, Laurel und Hardy, Fatty Arbuckle, Harold Lloyd und Buster Keaton. Ich bewunderte diese wunderbaren Slapstickkomödien, die mir in Erinnerung geblieben sind. Sie bilden das Fundament meiner lebenslänglichen Leidenschaft für den Kinofilm.
Zuerst standen Sie aber auf der Theaterbühne. Wie sind Sie hinter der Kamera gelandet?
Ich konnte mich schon früh für die Schauspielerei begeistern. Und ich imitierte Alfred Rasser als HD-Soldat Läppli perfekt. Aber ich war auch sehr schüchtern. Vielleicht war das später einer der Gründe, warum ich das Bedürfnis hatte, hinter der Kamera zu agieren.
Was ist Ihnen das Wichtigste auf dem Set?
Eine entspannte, respektvolle Stimmung – dann erst entstehen gute Leistungen. Im Ärger kann ich nicht arbeiten.
Sind Sie ein Harmoniemensch?
Ich mag keinen Streit und habe auch nie erlebt, dass sich meine Eltern stritten. Allerdings liessen sie sich scheiden, als ich vierzehn Jahre alt war. Meine Mutter erzählte mir in meiner frühen Jugend spannende Geschichten aus ihrem Leben. Dabei lernte ich, dass die Welt nicht nur aus Gutem besteht. Sie war eine Person, die sich nichts gefallen liess und den Menschen gegenüber sehr kritisch eingestellt war. Das hatte zum Teil auch mit ihren traumatischen Erlebnissen während der Nazizeit zu tun. Kam dazu, dass ihre Eltern jüdischer Herkunft 1941 im Todeslager umgebracht wurden. Dass es meiner Mutter nicht gelang, ihre Eltern in die Schweiz zu holen, hat sie ihr Leben lang nicht verwunden. Das alles hat auch mich geprägt.
Sind Sie Atheist?
Ich bin einer geworden. Der tschechische Schlagerstar Karel Gott war und ist der einzige Herr Gott, der mir bis heute bekannt ist. Trotzdem habe ich mich eingehend mit verschiedenen Religionen befasst. Aus naheliegenden Gründen speziell mit der jüdischen. Es waren ja vor über 5000 Jahren die Israeliten, die unter Führung von Moses als erstes Volk den Monotheismus einführten. Betrachtet man Ihr Leben, dann ist «Die Schweizermacher» der Film ... … der alles überschattet. Oder besser, überglänzt! Es hat alles zwei Seiten.
Ist es eine Bürde, den erfolgreichsten Schweizer Film aller Zeiten gemacht zu haben?
Nicht unbedingt eine Bürde. Aber die Schlagzeilen vom «Emil-Film» in den Medien hat mich kurze Zeit schon etwas genervt. Emil Steinberger spielte, und das war auch ganz in seinem Sinn, die Figur des Einbürgerungsbeamten Moritz Fischer. Anfänglich waren Kinobesitzer und Verleih gar nicht glücklich. Aber ich bezweifelte keinen Moment, dass er neben Walo Lüönd, der den griesgrämigen Vorgesetzten Max Bodmer spielte, die richtige Besetzung war.
Ob Einbürgerung oder Partnervermittlung wie bei «Eugen heisst wohlgeboren»: Ihre Filme sind noch heute aktuell. Wie erkennen Sie zeitlose Themen?
Ich bin interessiert an unserer Gesellschaft, an meinem Umfeld, an den Menschen. Mitte der 40er- und 50er-Jahre waren wir die einzige jüdische Familie in der damaligen Zürcher Bauern- und Arbeitergemeinde Herrliberg. Auch das hat mich geprägt und meine Filmarbeit als Drehbuchautor und Regisseur massgeblich beeinflusst. Die Kunst des Filmemachens besteht nicht darin, die Realität eins zu eins abzubilden. Sondern eine fiktive Geschichte, die zeitlos ist, aus der Realität zu filtern. In «Die letzte Pointe» geht es um die Sterbehilfe. Dieses Thema hat mich mit zunehmendem Alter immer mehr beschäftigt und schliesslich zur Geschichte von Gertrud Forster geführt. Aus lauter Angst, dement zu werden, bittet sie bei einer Sterbehilfeorganisation um Rat und bringt dadurch ihre Familie ins Rotieren.
Sie erzählen die Tragik mit Komik. Warum haben Sie als Filmemacher das Genre Tragikomik gewählt?
Das hat mit meiner Person zu tun. Schon in jungen Jahren war mir bewusst, dass ich Erfolg habe, wenn ich die Leute zum Lachen bringe. Mich hat in meiner Arbeit als Drehbuchautor und Erfinder von Geschichten immer die Schnittstelle interessiert, wo sich Drama und Komik überschneiden.
Wie findet man diese?
Im Grunde genommen ist der Mensch ein tragisches Wesen, weil er mit den eigenen Widersprüchen nicht fertig wird. Die Facetten seiner Triebstruktur reichen von bestialischer Gewalt bis hin zur psychischen und physischen Selbstzerstörung. Auf dieser dramaturgischen Bandbreite spielen sich praktisch alle zwischenmenschlichen Geschichten ab. Und die können dann eben spezifisch dramatisch, tragisch, komisch oder ein Mix von allem sein.
Haben Herr und Frau Schweizer Humor?
Jeder Mensch hat Sinn für Humor und lacht gerne. Dass lachen gesund ist, erleben die Menschen, seit sie denken können. Das Problem ist nur, wie setzt man das in einer Geschichte, die man mit filmischen Mitteln erzählt, so um, dass die Zuschauer spontan lachen oder zumindest schmunzeln können? Eine Filmkomödie schreiben ist verglichen mit einem Drama oder einer Tragödie ungleich schwieriger, denn Lachen ist ein Reflex, den man nicht erzwingen kann. Ein Film, der als Komödie angekündigt wird – und niemand lacht, ist keine Komödie!
Was ist der Schlüssel zum Filmerfolg?
Erfolg kann man nicht programmieren. Man kann ihn sich nur erhoffen. Ob die Hoffnung erfüllt wird, zeigt sich, wenn der Film im Kino läuft. Im Übrigen ist es egal, was für eine Geschichte man erzählt oder verfilmt. Es geht nur darum, wie man sie erzählt.
Das 16. Zurich Film Festival findet vom 24. September bis zum 4. Oktober 2020 statt. In diesem Jahr freuen wir uns auf Gäste wie Juliette Binoche oder Til Schweiger. Alle Infos zum grossen Filmfest, Tickets und das Festivalprogramm zum Downloaden gibt es hier.