Der Himmel über Zürich Wiedikon passt zur Lage im Schweizer Wohnungsmarkt: wechselhaft und stürmisch. Béatrice Schaeppi, Chefin von Schaeppi Grundstücke, sitzt auf der Dachterrasse ihrer Immobilienfirma und strahlt: «Mein Vater riet mir zu Beginn, ich solle nicht so viel lachen. Und nicht so nah bei den Mitarbeitenden sein. Das verschaffe mir nicht den nötigen Respekt. Doch spätestens, als er merkte, dass ich mehr Zugang zu den Leuten hatte und mein Führungsstil funktionierte, liess er mich machen.»
Ende Oktober wurde die 46-Jährige vom Prüfungs- und Beratungsunternehmen Ernst & Young zur Unternehmerin des Jahres gekürt.
Frau Schaeppi, was war das Verrückteste, was jemand getan hat, um bei Ihnen eine Wohnung zu bekommen?
Heute bewerben sich viele mit kreativ gestalteten Dossiers oder Filmen. Und ich erhalte oft Anfragen von Leuten, die so tun, als würden sie mich kennen (schmunzelt).
Hilft der Aufwand?
Nein. Da haben wir klare Richtlinien.
Warum?
Es gibt Menschen, die kreativ sind oder viel Zeit haben, einen solchen Aufwand zu betreiben. Doch damit sind die benachteiligt, die das nicht können. Wir lassen uns auch nicht mit Blumen oder anderen Geschenken bestechen, die potenzielle Mieterinnen und Mieter schicken.
Wenn Kreativität nicht hilft: Was kann man sonst tun, um seine Wunschwohnung zu bekommen?
Ein Suchabo einrichten und vor allem: schnell sein. Unsere Inserate sind nicht lange online, wir vermieten Wohnungen rasch weiter. Wenn jemand also lange überlegt, ob die Wohnung wirklich gefällt, ist es oft schon zu spät.
Viele Wohnungen werden unter der Hand weitervergeben – oder die Mieterschaft stellt einen Nachmieter.
Korrekt. Da treibt die Wohnungsnot seltsame Blüten. Es gibt immer wieder Fälle, bei denen die Mieter, die ausziehen. interessierte Nachmieter dazu drängen, ihnen ihre Möbel abzukaufen. Wer so etwas erlebt, sollte es der Verwaltung melden. Kein Mieter sollte Schlüsselgeld bezahlen müssen!
Laut dem neusten Immo-Monitoring soll 2026 die Nachfrage nach Wohnungen abnehmen, während die Bautätigkeit nach langer Flaute wieder anzieht. Das klingt gut, oder?
Ich sehe diese Tendenzen leider nicht. Grundsätzlich wäre das Potenzial für mehr Wohnungsbau da, aber es gibt zu viele Einsprachen und gesetzliche Hindernisse, die das Bauen unattraktiv machen. Hinzu kommen die ungebrochene Zuwanderung und das Bevölkerungswachstum.

Seit 2016 führt die Zürcherin die Immobilienfirma Schaeppi Grundstücke in der vierten Generation. Nach ihrem Jurastudium arbeitete sie zuerst bei Zurich Versicherungen, bevor sie ins Unternehmen mit rund 200 Mitarbeitenden an vier Standorten in der Schweiz einstieg. Sie hat zwei Töchter und lebt in Thalwil ZH.
Nik HungerWo findet man heute am ehesten noch eine bezahlbare Wohnung?
Im Kanton Aargau, nahe bei Zürich und mit guter ÖV- und Autobahnanbindung in andere Städte. St. Gallen ist ebenfalls attraktiv, da sieht es aber mit Jobs nahe am Wohnort schwieriger aus. Da ist Basel mit der Pharmabranche etwas einfacher.
Was macht Ihnen bezüglich Wohnungsmarkt am meisten Sorgen?
Die Erschaffung von erschwinglichem Wohnraum. Klar sind höhere Mieten für uns generell interessant. Trotzdem haben wir eine soziale Verpflichtung. Es darf nicht passieren, dass sich nur noch Reiche eine Wohnung in der Stadt leisten können. Es muss eine gute Durchmischung geben. Da denke ich auch an meine Töchter. Ich möchte nicht, dass sie nur mit Expats aufwachsen, sondern mit Menschen aller Nationen und Einkommensschichten. Darum macht es mir Sorgen, dass so wenig gebaut wird. Je knapper das Angebot, desto höher die Preise. Die Überreglementierung muss abgeschafft werden, damit die Investoren wieder Lust haben zu bauen.
Und wo soll man bauen?
Mehr Zersiedelung wollen wir ja alle nicht. Darum muss man vor allem in den Städten höher und dichter bauen. Da darf auch niemand mit einem Ästhetikparagrafen ankommen und sagen, das Hochhaus passe nicht ins Ortsbild.
Was halten Sie von der Idee aus dem Ständerat, dass wer seit mehr als zwei Jahren in der Schweiz lebt, bei der Vergabe von Mietwohnungen bevorzugt werden soll?
Nichts, ich finde alles, was Menschen jeglicher Art oder Herkunft diskriminiert, schlecht.
Sie sind 2003 in die Firma, die ihr Urgrossvater vor 90 Jahren gegründet hat, eingestiegen …
… wenn ich mich zurückerinnere! In den Nullerjahren haben wir Wohnungen mit geschenkten iPads, TV-Geräten oder freier Mietzeit ausgeschrieben – nur, damit die Leute sie mieteten. Unglaublich, wie sich das verändert hat.
2016 haben Sie als CEO Ihren Vater abgelöst. Was machen Sie anders als er?
Mein Vater war ein Patron, und die Leute liebten ihn dafür. Nachdem er an Parkinson erkrankt war, sagte er kurz bevor er aus dem Leben schied zu mir: «Du bist so mutig, bleib das unbedingt immer.» Das war eine Bestätigung für mein Schaffen und ein grosses Lob. Später habe ich das Unternehmen einmal auf den Kopf gestellt.
Wie?
Ich gab den leitenden Mitarbeitenden mehr Budgetverantwortung, führte die Du-Kultur ein, schaffte den strengen Dresscode ab, installierte eine HR- und Marketingabteilung und begleitete den Wandel von der Kollektiv- zur Aktiengesellschaft. Früh setzte ich mich mit KI auseinander.
Sie sind in einem Thinktank, der KI in der Immobilienbranche pusht. Wie nutzen Sie diese bei Ihren Mietern?
Wir haben einen Piloten mit dem KI-Bot Ailean gemacht, mit dem die Mieterschaft in jeglichen Sprachen über ihre Anliegen sprechen können.
Kommt das an?
Ich denke schon, je kürzer und effizienter der Weg, umso besser für die Mieterschaft. Wenn man etwa eine kaputte Waschmaschine dem KI-Bot melden kann und dieser automatisch einen Auftrag beim Handwerker auslöst. Doch noch sind viele solcher Systeme nicht genug durchdacht.
Wählt KI bei Ihnen neue Mieter aus?
Bei uns nicht, aber die Tendenz in der Branche ist da. Wir sind auch für einen guten Mietermix verantwortlich. Je besser man die Mieter in einem Haus auswählt, desto mehr Frieden herrscht. Wir holen im Gegensatz zu den ganz grossen Firmen nach wie vor Referenzen ein. Und wir lassen niemanden in eine Wohnung einziehen, der sie nicht vorher besichtigt hat.
Zahlen & Fakten
1 Prozent beträgt die Leerstandsquote im Schweizer Schnitt, der tiefste Stand seit 2013. Am wenigsten Wohnungen gibts in Genf und Zug, am meisten in Solothurn und im Jura.
3980 Franken beträgt die monatliche mediane Angebotsmiete in Rüschlikon ZH. Die Gemeinde am Zürichsee zählt zu den teuersten der Schweiz.
1,5 Millionen Franken kostet ein Einfamilienhaus in der Schweiz im Schnitt.
Am 30. November kommt im Kanton Zürich die Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» vors Volk. Die sogenannte Vorkaufsinitiative soll den Gemeinden das Recht geben, bei grösseren Landverkäufen den Zuschlag zu erhalten. Was halten Sie davon?
Nichts. Ich selbst würde keine Liegenschaft kaufen, die frei auf dem Markt ist. Die Preise sind viel zu hoch. Wenn eine Gemeinde ein Grundstück kauft, bei dem die Rendite bei lediglich 1,5 oder 2 Prozent liegt, frage ich mich, wie sie das bei den Steuerzahlern rechtfertigt, auf deren Kosten das geht. Es ergibt null Sinn, den Markt so auszuhebeln. Es entsteht dadurch auch nicht mehr bezahlbarer Wohnraum.
Die Gegenseite argumentiert, dass man so den Gemeinden ein zusätzliches Instrument gibt. Sonst werde der finanzielle Anreiz, die Leute einfach rauszukündigen, immer grösser.
Bei unseren Portfolios stellen wir fest, dass die Eigentümer extrem vorsichtig geworden sind und eher mal ein Haus in bewohntem Zustand sanieren, als allen zu kündigen. Denn wenn man eine Leerkündigung nicht durchdenkt, gibt das heutzutage sofort negative Presse. Zu Recht.
Paradebeispiel sind die Leerkündigungen bei den «Sugus-Häusern» in Zürich.
Wenn ein Eigentümer von uns verlangen würde, kurz vor Weihnachten rund 200 Mietenden zu kündigen, würde ich sagen: «Mach es selbst!» Da fehlte mir die soziale Verantwortung komplett. Wir haben klare Richtlinien, was fair ist und was nicht.
Bei Schaeppi Grundstücke wurde im Juni allerdings auch ein Fall publik, bei dem 24 Mietparteien wegen einer Sanierung gekündigt wurden.
Das stimmt. Allerdings haben wir den Betroffenen angeboten, sie bei der Wohnungssuche zu unterstützen. Ich bin auch Präsidentin der Vereinigung Zürcher Immobilienunternehmen und somit gut vernetzt. Bei Leerkündigungen, die manchmal unumgänglich sind, versuchen wir uns in der Branche gegenseitig zu unterstützen und suchen etwa für Familien Wohnungen in der Nähe. Als Mutter fände ich es auch schlimm, meine Kinder aus dem gewohnten Umfeld reissen zu müssen.
Wann sind Leerkündigungen unumgänglich?
Wenn Eigentümer energetisch sanieren wollen – danach verlangt ja die Energiestrategie 2050 – ist es teilweise nicht sinnvoll, die Wohnungen stehen zu lassen. Wenn man etwa bei einer alten Liegenschaft einfach eine Isolation über die Wände pappt, hört man zwar von aussen nichts mehr, dafür hört man jeden Schritt der Nachbarn. Das ist für die Mieterschaft ein Grauen. Da ist eine Kündigung unumgänglich – und auch legitim.
Sicher fühlen kann man sich heute also nur noch, wenn man eine Wohnung oder ein Haus kauft. Ist dieser Traum überhaupt noch realistisch?
(Seufzt tief.) Eine schwierige Frage. Es gibt noch Stockwerkeigentum, und es wird auch gebaut. Die Preise sind einfach sehr hoch, und weil die Banken seit diesem Jahr für gewisse Hypotheken mehr Eigenkapital hinterlegen müssen, ist die Finanzierung nicht einfacher geworden. Wer Glück hat, bekommt von den Eltern Unterstützung.
Wie wohnen Sie eigentlich?
Ich habe das Glück, dass ich auf dem Grundstück meines Urgrossvaters in Thalwil wohnen darf. Nach seinem Tod gab es einen Architekturwettbewerb, mit dem Ergebnis, dass dort heute sechs Einfamilienhäuser mit Grillstelle und Pool für alle zur Mitbenutzung stehen. Es ist mein Traumhaus.

