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Reaktion auf Hashtag #MomToo

Berufstätige Mutter hat brillante Idee gegen Benachteiligung

Ein Kind gilt sowohl im Lebenslauf wie auch im Arbeitsalltag einer Frau als störender Faktor. Dies prangert der neue Hashtag #MomToo an, der zurzeit in den sozialen Medien trendet. Unsere Gast-Autorin Selina Helbling, vierfache Mutter und Kommunikationsspezialistin, ist davon nicht begeistert. Sie präsentiert einen eigenen Lösungsansatz.

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Bürotisch mit Kinderzeichnung

Die Erfinderin des Hashtags #MomToo will Müttern im Berufsleben mehr Sichtbarkeit verschaffen, um Benachteiligung entgegenzuwirken.

Getty Images/Westend61

Der neue Hashtag #MomToo war in den letzten Tagen auf Social Media und in den Medien unübersehbar. Lanciert wurde er durch die österreichische Accenture-Managerin Kaitlyn Chang, welche am Forward Festival einen Vortrag hielt, während ihre sechs Monate alte Tochter im Tragetuch an ihrer Brust schlief.

Zweifachbelastung ist kein Frauenproblem

Kaitlyn Chang will mit ihrem Auftritt und #MomToo auf die beruflichen Nachteile von arbeitenden Müttern aufmerksam machen. In ihrer Rede spricht sie vom Schwanensee-Syndrom: «Wie Schwäne gleiten viele Frauen anmutig übers Wasser, aber paddeln unter Wasser wie verrückt.»

Der Vergleich passt wie die Faust aufs Auge. Wir alle erkennen uns wieder, und ich als berufstätige Mutter mit vier Kindern freue mich über jede Initiative, welche die Vereinbarkeit von Müttern mit ihrer Arbeit fördert. Es gibt noch so viel zu tun!

Und doch stösst mir die Aktion auf den zweiten Blick sauer auf. Es stimmt mich nachdenklich, ob es wirklich der richtige Weg ist, dass wir Mütter unsere Kinder in der Öffentlichkeit zeigen müssen, um mehr Akzeptanz für unsere Zweifachbelastung zu bekommen. Denn dies ist nicht das Problem von uns Frauen. Nein, es ist das Problem von Eltern ganz allgemein.

«Ich wünsche mir sichtbare Väter, Männer, die Beruf- und Familienarbeit unter einen Hut kriegen»

Selina Helbling

Ich bin überzeugt, dass es uns viel mehr bringen würde, wenn auch die Väter im Berufsleben mehr zu ihren Kindern stehen und für sie einstehen würden. Nicht als stolze Wochenend-Papas, mit den Kindern auf der Skipiste, beim Velofahren lernen oder einmal im Jahr am Elterngespräch. Sondern als Väter, die sich genauso in der Verantwortung für einen reibungslosen Alltag sehen wie die Mütter.

Wir brauchen Kadermitarbeiter, die auch mal in einer Sitzung fehlen, weil ihr Kind krank ist. Parlamentarier, die früher aus der Session müssen, weil sie das Kind abholen müssen. Ich wünsche mir einen Mark Zuckerberg, der einen Vortrag mit dem Baby an die Brust geschnallt hält. Papas, die abends um halb zwölf Fotos von sich posten, weil noch der Kuchen für den Kindergarten gebacken werden muss. Oder die engagierte Artikel auf LinkedIn schreiben zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie…

Ich wünsche mir sichtbare Väter, Männer, die Beruf- und Familienarbeit unter einen Hut kriegen und stolz Bilder mit #DadToo posten.

Mütter und Vater erleben Ungerechtigkeit im Job-Alltag

Ja, ich bin mir bewusst, dass es für mich als Mutter schwierig wäre, mit vier Kindern einen neuen Job zu finden. Die vier grossartigen Jungs sind in meinem Lebenslauf – im Gegensatz zu dem von meinem Mann – ein Makel. Das ist nicht fair. Aber ich finde es genauso wenig fair, wenn man Männern mit einer anspruchsvollen Teilzeitstelle vorwirft, sie seinen bequem und nehmen ihre Arbeit nicht ernst. Oder sie fragt, wann sie denn gedenken, Karriere zu machen. Vielleicht wenn die Kinder etwas älter sind?

Seit zehn Jahren kriegen wir solche Phrasen immer wieder zu hören. Was für ein Glück mein Mann doch hat, mit seiner 60-Prozent-Teilzeitanstellung, er kann soooo viel Zeit mit seinen Kindern verbringen. Mütter mit einem höheren Pensum als 50 Prozent hingegen werden bemitleidet. Man fragt sie, ob es nicht zu viel sei. Ob die Kinder nicht darunter leiden, wenn die Mama so oft im Büro ist.

Wurde ein Mann jemals gefragt, ob er nach der Geburt eines Kindes wieder arbeiten wolle? Ganz sicher nicht. Und Teilzeitstellen werden Männern schon gar nicht angeboten, in vielen KMU-Betrieben ist dies nach wie vor ein absolutes No-Go.

Brillante Idee: Teilzeitquote statt Hashtags

Dabei wäre mein Lösungsansatz ganz simpel. Wir brauchen keine Frauenquote. Wir brauchen eine Teilzeitquote. Firmen brauchen die bestmöglichen Mitarbeiter*innen, aber diese müssen nicht zu 100 Prozent und rund um die Uhr für das Unternehmen da sein – egal ob Frau oder Mann.

Mit einer Teilzeitquote für Führungspersonen werden Frauen aktiv gefördert, aber auch gefordert. Und Männer werden dazu gezwungen, mehr Familienarbeit auszuführen. Denn wenn ein Job gar nicht in 100 Prozent gemacht werden kann, müssen beide Elternteile automatisch genug mitverdienen – komplett zu Hause bleiben ist keine Option.

«Für die Männer von Morgen wünsche ich mir heute starke Vorbilder»

Selina Helbling

Für die Männer von Morgen wünsche ich mir heute starke Vorbilder. Starke Männer, die ihre Berufung in der Familie und im Beruf sehen. So wie viele Frauen es heute bereits machen und zwischen zwei Welten jonglieren. Dies ist zwar anstrengend, aber viele von uns meistern den Schwanensee mit Bravour.

Applaus gibt es dafür keinen. Aber wenn die Männer genauso mitziehen wie wir, brauchen wir diesen auch nicht. Und in der Öffentlichkeit müssen wir unsere Kinder auch nicht mehr zeigen. Weil es irgendwann hoffentlich selbstverständlich sein wird, dass man beides haben kann. Karriere und Kinder.

Selina Helbling
ZVG

Die Autorin Selina Helbling lebt und arbeitet mit ihren vier Söhnen in Biel. Ihr Mann arbeitet ein bisschen weniger als sie, macht dafür auch ein bisschen mehr Familienarbeit. Und diese macht er viel besser als Selina. Dafür wird Selina um ihren grossartigen Mann, der sich Zuhause so einbringt, sehr benieden. Auf die Frau, welche viel arbeitet und damit auch Geld verdient, ist aber niemand so wirklich neidisch… Gerne würde Selina für ihre Idee mit der Teilzeit-Quote mehr lobbyieren – aber dafür fehlt neben Job und Jungs definitiv die Zeit.

am 14. November 2021 - 17:09 Uhr