Ein Team auch nach der Trennung – das sind Ex-Skirennfahrer Daniel Albrecht (41) und seine Ehefrau Kerstin für ihre achtjährige Tochter Maria. «Wir teilen uns alle Aufgaben gleichberechtigt und unkompliziert – je nach Fähigkeiten und Energie-Reserven», erklärt der Walliser in der aktuellen Schweizer Illustrierten. Das getrennte Ehepaar lebt zusammen in einem Einfamilienhaus in Fiesch VS – als Freunde, Eltern und Geschäftspartner. Aber «schon lange nicht mehr» als Liebespaar.
Eine Beziehungsform ohne Namen
Getrennt sein, aber dennoch ein Familienleben führen. Gemeinsam die Kinder erziehen, aber gleichzeitig die Freiheiten eines Single-Lebens geniessen. Tönt nach Fünfer und Weggli. Aber ist das wirklich so?
Während getrennt lebende Eltern ihre Lebensform LAT-Beziehung nennen («Living Apart Together») und Eltern, die sich in der Familienwohnung mit ihrer Anwesenheit abwechseln, vom Nestmodell sprechen, gibt es keinen offiziellen Namen für die Lebensform von Daniel Albrechts Familie. Dies impliziert, dass nur wenige Paare sich entscheiden, nach dem Ende ihrer Liebesbeziehung weiterhin als Elternpaar unter einem Dach zu wohnen. Ein Eindruck, der womöglich täuscht, sagt Sabine Brunner vom Marie Meierhofer Institut für das Kind (MMI).
Im Gespräch erklärt die Psychologin und Psychotherapeutin, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Eltern-WG langfristig funktionieren kann, und wie Eltern das Wohl ihrer Kinder während eines innerfamiliären Reorganisationsprozesses sicherstellen können.
Sabine Brunner, dazu, wie viele Elternpaare nach einer Trennung eine Wohngemeinschaft bilden, gibt es keine Statistik. Aber was schliessen Sie aus Ihren Erfahrungswerten?
Ich vermute, es gibt recht viele Eltern, die so leben. Die Beziehung ist eigentlich beendet, man richtet getrennte Schlafzimmer ein, bleibt jedoch als Familie unter einem Dach – ohne dies als bewussten Entscheid zu deklarieren.
Warum ist es wichtig, das zu deklarieren?
Mich dünkt relevant, dass Menschen sich Gedanken darüber machen und sich darüber austauschen, wie sie ihr Familienleben einrichten. Natürlich stimmt nicht immer alles genau mit dem überein, was man sich vorstellt, aber dass beide Partner zur gelebten Familienform Ja sagen können und ein gewisses Commitment vorhanden ist, finde ich zentral. Für die Erwachsenen, aber auch für die involvierten Kinder. Für das Wohlgefühl der Kinder ist es wichtig, dass beide involvierten Elternteile dem gewählten Familienmodell positiv und zuversichtlich gegenüberstehen.
Was braucht es dafür?
Wie eine Familie im Alltag funktioniert, ist sehr individuell – getrennt oder nicht. Ob man viel Zeit miteinander verbringt oder sich gegenseitig viel Raum lässt, das muss jedes getrennte Paar für sich herausfinden. Die Frage ist: Findet man hier einen Konsens? Wenn man weiterhin zusammenlebt, braucht es zudem auch eine gewisse Einigkeit über die Alltagsgestaltung, den Lebensstil oder die Kindererziehung.
«Ein Plus für die betroffenen Kinder ist, dass das Hin und Her zwischen zwei Haushalten wegfällt.»
Sabine Brunner
Viele Paare trennen sich aufgrund einer fehlenden Einigkeit. Läuft man in einer WG nicht Gefahr, solche Unstimmigkeiten ins neue Familienleben mitzunehmen?
Es ist durchaus möglich, dass ein Paar kein Liebespaar mehr sein will, jedoch in vielen Lebensbereichen eine relative Einigkeit aufweist. Dann ist eine Familien-WG eine lohnenswerte Sache. Aber es kann tatsächlich vorkommen, dass man Konflikte, die während der Paarzeit bestanden haben, in einer WG-Situation weiterzieht. Darauf muss man ein Augenmerk haben.
Wann würden Sie von einer Eltern-WG abraten?
Wenn ein Elternpaar merkt, dass eine ständige Spannung herrscht, dann würde ich empfehlen, das gemeinsame Wohnmodell nicht weiterzuführen. Man muss dafür schon einigermassen miteinander auskommen.
Welche Grundvoraussetzungen müssen erfüllt sein, damit das Kindeswohl in einer WG mit getrennten Eltern gewährleistet ist?
Die gleichen wie in jeder Familie. In erster Linie geht es darum, Kindern Liebe zu schenken, sie gut zu pflegen, für alles zu sorgen, was sie brauchen, und ihnen Erfahrungsraum zu lassen. Der zweite Punkt ist ebenfalls wichtig: Die Erwachsenen, die miteinander leben, müssen miteinander einigermassen auskommen und kommunizieren können. Sonst entsteht rund ums Kind eine schwierige Atmosphäre. Und wenn Streit oder eine angespannte Stimmung länger andauern, wirkt sich dies negativ aufs Kind aus.
Welche Vorteile bietet die Eltern-WG für Familien?
Ein Plus für die betroffenen Kinder ist, dass das Hin und Her zwischen zwei Haushalten wegfällt. Der Wechsel zwischen zwei Haushalten kann für sie einen grossen Aufwand bedeuten, obwohl viele Kinder das ohne Protest auf sich nehmen, wenn sich eine Familiensituation dadurch entspannt. Ein grosser Vorteil in einer WG ist auch, dass man sich gegenseitig flexibel unterstützen kann.
Vorteile und Herausforderungen einer Eltern-WG auf einen Blick
Vorteile:
- Stabilität für Kinder: Beide Elternteile bleiben im Alltag der Kinder präsent.
- Logistik und Organisation: Kein Wechsel zwischen zwei Haushalten nötig.
- Geteilter Alltag: Flexible Aufgabenteilung und gegenseitige Unterstützung sind möglich.
- Vermeiden des Alleinerziehendenstatus: Und damit auch das Vermeiden erhöhter Risiken für Burnout oder Armut.
- Kosteneffizienz: Wohn- und Lebenskosten können geteilt werden.
Herausforderungen:
- Modell auf Zeit? Die Eltern-WG funktioniert nur, solange sich beide Elternteile mit diesem Familienmodell identifizieren können.
- Erfordert Flexibilität und Offenheit: Die Bereitschaft zur Kommunikation ist unumgänglich.
- Emotionale Belastung: Alltagskonflikte könnten ohne räumliche Trennung ins neue Familienmodell übernommen werden.
- Knappe Privatsphäre: Eingeschränkter Raum für ein eigenes Leben oder neue Beziehungen.
- Fehlinterpretation möglich: Es könnte dem Umfeld oder den Kindern schwerer fallen, die Trennung zu akzeptieren.
Der Alleinerziehendenalltag fällt weg. Und damit auch erhöhte Risiken für Burnout oder Armut …
Genau. Auch finanzielle Vorteile sind möglich. Eine Wohnung kostet weniger als zwei. Allerdings sollte die WG gross genug sein, dass jeder Elternteil ein Zimmer für sich hat. Wenn jemand auf dem Sofa schlafen muss, dann hat das einen sehr provisorischen Charakter.
Kann denn eine Eltern-WG überhaupt von Dauer sein?
Das kommt darauf an, ob die Abmachungen, die man trifft, auch eingehalten werden können. Wie in einer Liebesbeziehung brauchen auch getrennt zusammenlebende Elternpaare eine gewisse Einigkeit über den Lebensstil, die Kindererziehung und den Umgang miteinander. Dazu gehören nicht nur Absprachen in der Alltagsgestaltung, zu den Besitzverhältnissen oder Finanzen, sondern auch, wie man damit umgehen möchte, wenn das Wohnmodell für einen Elternteil nicht mehr stimmt.
Zum Beispiel, wenn bei einem Elternteil eine neue neue Beziehung ins Spiel kommt. Wie sollte man damit umgehen?
Dazu, wie spontan oder besonnen man mit einer solchen Situation umgehen sollte, gibt es keine allgemeingültige Aussage. Es braucht vor allem eine funktionierende Dialogbasis. Man muss offen miteinander darüber sprechen können, was möglich ist und was nicht. Es kann auch sein, dass gewisse Abmachungen plötzlich nicht mehr funktionieren. Dies muss geklärt werden – ohne Kommunikation geht es nicht. Es ist wichtig, dass mit neuen Partnern oder Partnerinnen nicht plötzlich eine völlig chaotische Situation entsteht, die zu viel Unglück oder Streit führt. Dies wäre für Kinder eine schwierige Situation.
Konflikte, die vor einer Trennung im Raum standen, verschwinden nicht plötzlich. Würden Sie einem Paar, das ein WG-Modell in Betracht zieht, zu professioneller Begleitung raten?
Es ist tatsächlich so, dass Eltern, die eine Paarbeziehung gelebt haben, selten konfliktfrei auseinandergehen. Oft stehen Enttäuschung und Verletzung im Raum. Von daher ist es empfehlenswert, sich zu fragen: Wie will ich eigentlich leben? Was stimmt für mich? Was nicht? Was können wir als getrenntes Elternpaar unserem Kind bieten? Ob man diese Fragen für sich alleine beantwortet oder als Paar – und ob man dies in professioneller Begleitung tut – ist individuell.