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Homosexuelle mit Familienwunsch

«Die Behörden könnten uns das Kind wegnehmen»

Lisa und Valerie Fischer sind in einer eingetragenen Partnerschaft und zweifache Eltern. Die künstliche Befruchtung liessen sie jeweils in England durchführen, da dies als lesbisches Paar in der Schweiz nicht möglich ist.

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Mothers and daughter having fun outdoors

Zwei Mütter und ein Kind? So einfach geht das in der Schweiz nicht (Symbolbild).

Getty Images

Zu viert wohnt Familie Fischer in der Deutschschweiz. Dafür mussten Lisa*, 37, und Valerie*, 43, einen langen, steinigen Weg gehen. Eine Adoption oder künstliche Befruchtung ist für homosexuelle Paare in der Schweiz nämlich auch im Jahr 2020 noch verboten. «Es ist rechtliche Diskriminierung», sagt Lisa. Aber wie kommt es, dass Fischers trotzdem eine vierköpfige Familie werden konnten?

«Eine grosse Klinik verweigerte uns eine Beratung, weil sie uns ja sowieso nicht behandeln dürfen.»

Lisa* und Valerie* Fischer
Die Möglichkeiten sind beschränkt

Lisa und Valerie, die seit rund zehn Jahren ein Paar sind und seit einem Jahr in einer eingetragenen Partnerschaft leben, teilten schon immer einen Kinderwunsch. In der Schweiz ist das jedoch gar nicht so einfach.

Das Naheliegendste, nämlich einen Mann in den Prozess zu integrieren, war keine Option für das Paar: «Wir wollten nicht, dass plötzlich ein Dritter Anspruch auf das Kind erheben könnte.» Macht Sinn. Aber dem Kind seinen biologischen Vater deshalb für immer vorenthalten? Auch keine gute Idee. Was bleibt also übrig? «Eine Samenspende ist die perfekte Lösung, da könnte das Kind bei Bedarf dank Registern den Vater ausfindig machen.» Stimmt, nur ist das in der Schweiz für Lesben illegal.

Künstliche Befruchtung in England

Nichts desto Trotz wollte sich das Paar hierzulande über das Thema Samenspende informieren. Doch die Schwierigkeiten hörten nicht auf: «Eine grosse Klinik verweigerte uns eine Beratung, weil sie uns ja sowieso nicht behandeln dürfen.»

Einer privaten Gynäkologin sei Dank, klappt es dann aber doch noch. Danach setzte das Paar alle Hoffnungen in eine künstliche Befruchtung in England. Von der Beratung bis zum gebuchten Flug sollten allerdings noch Jahre vergehen. Doch das Warten hat sich gelohnt.

Nachdem die künstliche Befruchtung in England glückte, kommt in der Schweiz das erste Kind der beiden zur Welt. Da wartet aber schon die nächste Hürde: die Adoption. Genauer gesagt die Stiefkindadoption.

«Wir mussten viele private Dinge offenlegen, das war sehr unangenehm.»

Lisa* und Valerie* Fischer
«Es darf überhaupt nichts schiefgehen»

Das Kind wächst zunächst mit nur einem rechtlich anerkannten Elternteil auf, nämlich der leiblichen Mutter. Damit Lisa und Valerie beide als Mami gelten, mussten sie eine Stiefkindadoption beantragen.

Es begann eine Zeit der Ungewissheit, weil die rechtliche Situation so unsicher ist: Würde der leiblichen Mutter etwas zustossen, bevor die Adoption beschlossene Sache ist, gilt das Kind als Waisenkind – trotz eines zweiten Elternteils. Die Ämter entscheiden dann über sein Schicksal, etwa ob es in ein Heim oder in eine Pflegefamilie kommt. «Die Behörden könnten uns im schlimmsten Fall das Kind wegnehmen», sagt Lisa* Fischer. «Als letzten Sommer endlich der positive Bescheid kam, waren wir sehr erleichtert.»

Kostspielig und nervenaufreibend

Das Paar war während dieser Zeit den Behörden komplett ausgeliefert. Für die Adoption prüften sie, ob Lisa und Valerie als Eltern geeignet wären. «Wir mussten viele private Dinge offenlegen, das war sehr unangenehm, obwohl die zuständigen Personen uns gegenüber stets korrekt und freundlich waren», erzählt Lisa.

«Heterosexuelle Paare werden ja auch nicht auf ihre Qualität geprüft.» Kriegt ein Ehepaar ein Kind, so wird automatisch vermutet, dass der Ehemann der Vater des Kindes ist. Eine einzige Unterschrift und die Sache ist geritzt. Für Homosexuelle, die eine künstliche Befruchtung und die Stiefkindadoption vornehmen müssen, ist es wesentlich aufwendiger – und teurer.

«Die Aufenthalte in England, die Befruchtungen, die Adoption und der ganze Papierkram – das war alles nicht günstig.» Die Stiefkindadoption war aber nicht nur finanziell eine Herausforderung. Auch die Beziehung von Neu-Eltern kann unter solch komplizierten Umständen leiden. «Wir müssen uns gegenseitig vertrauen, zusammenhalten und alles gemeinsam durchstehen.» Eine Trennung war bei den beiden nie ein Thema. Trotzdem ist klar: Würden sie sich vor der Adoption trennen, hätte nur die biologische Mutter das Sorgerecht für das Kind. Die andere ist bei Uneinigkeiten komplett machtlos.

«Jede von uns hat ein Kind geboren und wir hoffen, dass nun die zweite Stiefkindadoption auch noch genehmigt wird.»

Lisa* und Valerie* Fischer

Darüber müssen sich Lisa und Valerie aber keine Sorgen machen. Viel eher machen sie sich Gedanken über den Urnengang vom 9. Februar: «Ein Ja zum Diskriminierungsverbot wäre ein Signal an den Staat. Aber die Gesellschaft braucht trotzdem noch viel Zeit, bis Kinder bei gleichgeschlechtlichen Paaren vollständig akzeptiert werden.»

Lisa* und Valerie* Fischer sind optimistisch. Vor vier Monaten erblickte ihr zweites Kind das Licht der Welt: «Jede von uns hat ein Baby geboren und wir hoffen, dass auch die zweite Stiefkindadoption genehmigt wird.»

Das hoffen wir auch ♡

 

* Namen von der Redaktion geändert.

Von Lara Zehnder am 9. Februar 2020 - 08:09 Uhr