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Neues Geburtshaus in St. Gallen

«Die Frauen wollen zurück zum Natürlichen»

Seid ihr schwanger und überlegt euch, wo ihr gebären wollt? Eine mögliche Alternative zum Spital ist ein Geburtshaus. Das neue in St. Gallen ist äusserst erfolgreich gestartet. Wir haben es uns angeschaut – und erfahren, welche Bedingungen Schwangere erfüllen müssen, um dort zu gebären.

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Gebärzimmer im Geburtshaus St. Gallen

Sogar das Gebärzimmer ähnelt einem Hotelzimmer: Im Geburtshaus wirkt alles etwas gemütlicher.

ZVG

Man möchte fast die Schuhe ausziehen und den Mantel an die Garderobe hängen, wenn man die Wochenbett-Etage des Geburtshauses St. Gallen betritt. Es ist, als ob man auf Privatbesuch wäre in einer grosszügigen Wohngemeinschaft. Um die gemeinsame Küche und das Wohnzimmer reihen sich fünf hübsch und gemütlich eingerichtete Schlafzimmer mit Doppelbett und gut ausgestatteter Wickelkommode.

Selbst die beiden Gebärzimmer eine Etage tiefer im Parterre des Gebäudes sehen fast aus wie das Schlafzimmer daheim. Bloss gibt es hier noch die grossen Wannen für Wassergeburten, Geburtshocker, Pezzibälle, und von der Decke baumeln Haltetücher – eben alles, was den Frauen durch die Geburt helfen soll.

Seit der Eröffnung des Geburtshauses St. Gallen Anfang April haben hier schon 120 Babys das Licht der Welt erblickt. Dass das Bedürfnis vorhanden ist, wussten die Gründerinnen. Aber diese Anzahl Babys hat die Erwartungen übertroffen. Über den Grund für den Erfolg ist sich das Hebammen-Team einig.

«Ich glaube, die Frauen wollen zurück zum Natürlichen», sagt Sabine Kurz, eine der vier Gründerinnen sowie Mitglied der Geschäftsleitung und Teil des Hebammen-Teams, das die Gebärenden und Wöchnerinnen rund um die Uhr betreut. Nach vielen Jahren steigender Kaiserschnitt-Raten spüren sie diesen Wunsch wieder verstärkt.

Dies bestätigt die Statistik des Bundes: Zwar gibt es in der Schweiz im europäischen Vergleich mit 32,3 Prozent immer noch sehr viele Kaiserschnittgeburten. Doch seit 2014 ist der Anteil leicht zurückgegangen. «Vielleicht kommen wir wieder vom Wunsch weg, alles steuern zu können», meint Sabine Kurz. Die strenge Kontrolle während der Schwangerschaft gilt aber auch im Geburtshaus.

Wochenbett-Etage im Geburtshaus St. Gallen

Wie in einer gemütlichen WG: Im Geburtshaus St. Gallen teilen sich die Wöchnerinnen Küche und Wohnzimmer.

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Nur ein Ultraschall ist Pflicht

Anders als beim Gynäkologen, der während der Schwangerschaft in regelmässigen Abständen Ultraschall-Untersuche macht, kontrollieren die Hebammen das Wachstum des Babys von aussen mit den Händen. Nur der Organ-Ultraschall beim Gynäkologen zwischen der 22. und 24. Schwangerschaftswoche ist Pflicht. Ob sie die weiteren Kontrollen lieber beim Arzt oder bei den Hebammen machen, entscheiden die Schwangeren selbst. 

Das Geburtshaus steht allen Frauen offen, die eine unauffällige Schwangerschaft haben. Kommt das Baby vor der 37. Woche oder aber erst zwölf Tage nach dem errechneten Geburtstermin, kann die Frau nicht im Geburtshaus gebären. Und dann gibt es noch einen weiteren wichtigen Faktor.

Auch die Begleitperson muss sich im Geburtshaus wohl fühlen

«Auch die Begleitperson der Schwangeren muss sich im Geburtshaus wohl fühlen», sagt Sabine Kurz. «Es ist deshalb Pflicht, mindestens eine Schwangerschaftskontrolle bei uns zu machen und den Infoabend zu besuchen», erklärt die Hebamme. «Eine Geburt ist auch bei uns eine Bergtour. Manchen ist es darum wohler, wenn sie die technische Sicherheit eines Spitals im Hintergrund haben oder die Gewissheit, im Notfall zum Beispiel eine PDA bekommen zu können.»

Risikogeburt nur im Spital möglich

«Auch bei uns in der Frauenklinik ist das oberste Ziel eine natürliche und individuelle Geburt», sagt Tina Fischer, Leitende Ärztin Geburtshilfe am Kantonsspital St. Gallen. «Allen Frauen wird im Vorfeld ermöglicht, Wünsche zur Geburt zu äussern. Wir versuchen das möglichst umzusetzen.»

Im Unterschied zum Geburtshaus dürfen am Kantonsspital selbst Frauen, die eine Frühgeburt, Zwillinge oder ein Baby in Beckenendlage erwarten, spontan gebären, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. «Ein grosser Vorteil ist, dass wir alles anbieten können: alle Geburtspositionen, Badewanne, alle verschiedenen schmerzlindernden Massnahmen von Homöopathie bis hin zur Periduralanästhesie», sagt Fischer. 

«Das heisst, wir können am Spital sowohl eine natürliche Geburt anbieten, haben aber auch genug Ressourcen für verschiedene Massnahmen während der Geburt und gleichzeitig immer Ärzte für die Frau oder für die frischgeborenen Babys vor Ort, sodass, wenn was wäre, die beiden optimal und ohne Zeitverzögerung versorgt werden.»

Füsschen eines Neugeborenen

Es ist geschafft, das Baby ist da! Und mit ihm das grosse Glück – ob im Geburtshaus oder im Spital.

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Gute Zusammenarbeit mit dem nahen Kantonsspital

Ideal in St. Gallen: Das Geburtshaus befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Kantonsspital, und die Zusammenarbeit läuft sehr gut, wie beide Seiten betonen. «Einige Hebammen des Geburtshauses haben bereits bei uns gearbeitet, sodass wir sie auch persönlich kennen. Bei Problemen während oder nach der Geburt nehmen wir die Frauen problemlos auf und konnten auch vielen von ihnen noch eine Spontangeburt ermöglichen.»

Im Wochenbett im Geburtshaus können sich die Frauen – und ihre Begleitpersonen – dann fast wie zu Hause von der Geburt erholen. Mit dem Unterschied, dass ihnen rund um die Uhr ein Profi zur Seite steht. Und dass sie sich im Gemeinschaftswohnraum mit anderen Müttern austauschen können. Eben wie daheim am Küchentisch.

Von Christa Hürlimann am 23. November 2019 - 08:09 Uhr