Zwischen Mutter und Kind entsteht in der Regel bereits während der Schwangerschaft eine enge Bindung. Die Mutter spürt, wie sich ihr Körper verändert, wie das Ungeborene in ihr wächst und sich bewegt. Zudem erfahren schwangere Frauen starke hormonelle Veränderungen, die ihren Mutter-Instinkt wecken.
Die werdenden Väter spielen in dieser Zeit noch eine Nebenrolle. Sie können zwar ihre schwangeren Partnerinnen emotional und im Alltag unterstützen sowie Vorbereitungen für das künftige Familienleben treffen, direkt fürs Kind können sie jedoch vor der Geburt nichts tun. Oft wird deshalb davon ausgegangen, dass Väter keine ähnlich enge Bindung zum Kind aufbauen können, wie die Mütter.
Weniger Testosteron und mehr Östrogen
Das ist jedoch nicht oder nur bedingt der Fall. Ausserdem geht die Schwangerschaft der Partnerin an den meisten Männern nicht spurlos vorbei. So sagt die Bindungsforscherin Fabienne Becker-Stoll gegenüber eltern.de: «Wenn werdende Väter Anteil nehmen während der Schwangerschaft und wirklich emotional involviert sind, haben sie ähnliche hormonelle Veränderungen wie Frauen.» Zum Beispiel sinke der Testosteronspielgel, was ein emphatischeres Verhalten ermögliche. Ähnlich wie bei der schwangeren Frau kann zudem die Konzentration von Östrogen und Kortisol ansteigen. Dies bewirke weiter, dass Männer fürsorglicher werden und die Bedürfnisse ihres Nachwuchses eher erkennen. Becker-Stoll sagt dazu: «Männer haben genauso wie Frauen ein biologisch angelegtes Pflegeverhalten.»
Im Grunde ist nach der Geburt auch völlig offen, wer die wichtigste Bezugsperson für ein Baby wird. Die engste Bindung entsteht zu dem Menschen, der sich am meisten kümmert. Wenn Mütter ihre Babys stillen, sind das meist sie. Beim Stillen wird das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet, das sowohl Auswirkungen auf die Mutter wie auch auf das Kind hat. Eine ähnliche Wirkung kann aber auch mit Kuscheln und Blickkontakt erzielt werden. Kümmert sich also der Vater auf diese Weise intensiv ums Baby, kann auch er zur Haupt-Bezugsperson werden. «Das Wichtigste ist liebevolle Aufmerksamkeit», sagt Fabienne Becker-Stoll. Es gehe darum, in Interaktion zu treten. Dazu brauche es keine speziellen Aktionen, sondern Präsenz.
Bindungsmuster ist evolutionsbedingt
Dass ein Baby überhaupt eine primäre Bezugsperson hat, ist gemäss der Bindungsforscherin Becker-Stoll evolutionsbedingt: «Früher war es in Gefahrensituationen überlebenswichtig, dass ein Kind sofort wusste, an wen es sich wenden muss.» Dies sei mit ein Grund dafür, dass sich viele Babys in Stresssituationen nur von der Mutter trösten lassen, obwohl sie auch zum Vater eine enge Bindung haben.