Am Abend zuvor kickt Lina noch in Tamara Steigers Bauch. Und die 29-Jährige aus Bazenheid SG freut sich darauf, ihr zweites Töchterchen im Ultraschall zu sehen. Noch gut sieben Wochen, dann sind sie zu viert. Tamara, Simon, 32, Ylenia, 2, und Lina.
«Sind Sie sicher, dass Sie das Baby gestern gespürt haben?», fragt der Frauenarzt am nächsten Tag. Denn Lina bewegt sich nicht mehr. Ihr Herz hat aufgehört zu schlagen. Warum, weiss man nicht genau. Die wahrscheinlichste Ursache: plötzlicher Kindstod im Mutterleib. Tamara ruft ihren Mann an. Simon fährt nach Hause und räumt die Babysachen weg, die da schon für Lina bereit sind. Dann rast er zu Tamara ins Spital, wo die Geburt eingeleitet wird.
«Ich hatte noch nie im Leben solche Schmerzen», sagt Tamara Steiger. Für sie ist eines klar: «Ich werde nie wieder ein Kind auf natürlichem Weg zur Welt bringen. Die Erinnerungen sind zu traumatisch.» Als Lina da ist, holt Simon Ylenia. Ihre Eltern erklären ihr, dass ihr Schwesterchen wieder in den Himmel geht, gemeinsam mit ihr lassen sie einen Luftballon für Lina steigen. «Das alles war total surreal. Ich habe einfach irgendwie funktioniert», sagt Simon.
Dann kommt der Alltag wieder. Die Trauer darüber, das eigene Kind nicht kennenlernen zu dürfen. Und die Schuldgefühle. «Sie ist in mir drin gestorben. Da muss es doch in irgendeiner Art und Weise an mir liegen», sagt Tamara. Auch wenn der Frauenarzt sagt, dass Linas Tod Schicksal war und sie nichts hätte machen können, um ihn zu verhindern.
Steigers organisieren einen Gedenk-Gottesdienst für ihr Baby. «Das verstanden nicht alle – wieso soll man jemandem gedenken, der gar nie gelebt hat? Aber für uns war es wichtig, um Abschied zu nehmen», sagt Tamara. «Einige Leute wissen heute noch nicht, wie sie uns begegnen sollen. Hätte Lina nicht nur im Mutterleib gelebt, wäre ihr Tod wohl einfacher einzuordnen. So ist das offenbar viel schwieriger.»
Tamara und Simon Steiger möchten unbedingt bald ein Geschwisterchen für Ylenia. «Das wird kein Ersatz für Lina», so Tamara. «Sie wird immer das Puzzleteil sein, das in unserem Leben fehlt.»