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Habt ihr schon von der Kaisergeburt gehört?

Kaiserschnitt kennen wir. Doch was ist eine Kaisergeburt? «Der Begriff ist leider irreführend», sagt Dr. Patricia Christoph. Die Ärztin praktiziert den sogenannten Fensterkaiserschnitt, den immer mehr Paare als Alternative zum traditionellen Kaiserschnitt wählen.

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First look after Cesarean Section C-Section Birth. Mother smiling at view with her Newborn following surgery.

Ob sich die Kaisergeburt als Alternative zum herkömmlichen Kaiserschnitt durchsetzen kann? 

Getty Images

Die schwangere Frau wird in den Operationssaal geschoben, ein blickdichter Vorhang hochgezogen, der Bauch wird aufgeschnitten, das Kind herausgeholt, abgetrocknet und dann erst der Mutter gezeigt. So spielt sich ein klassischer Kaiserschnitt ab.

Anders läuft es bei einer sogenannten Kaisergeburt. «Der Begriff ist leider irreführend. Wir praktizieren bei uns den Fensterkaiserschnitt», sagt Dr. Patricia Christoph, 43, Oberärztin in der Frauenklinik des Inselspitals in Bern, gleich zu Beginn des Telefongesprächs mit schweizer-illustrierte.ch.

Kaisergeburt verschleiert operative Tätigkeit

2008 führt der Gynäkologe Nick Fisk in Australien erstmals eine Sectio durch, die weniger einer Operation und mehr einer spontanen Geburt ähneln soll: Er vollzieht den Bauchschnitt, das Licht wird gedimmt, die sterile Abdeckung heruntergezogen und die werdenden Eltern sehen wie das Köpfchen ihres Babys herausgezogen wird.

Mutter und Vater haben Blickkontakt mit dem Kind, das von den Schultern an abwärts noch im Bauch steckt und schon kräftig schreit. Dann wird es ganz herausgeholt, in Tücher gewickelt und der Mutter auf die Brust gelegt.

«Die Kaisergeburt möchte den Geburtsakt durch die Bauchdecke imitieren. Ein Kaiserschnitt bleibt aber, egal wie er durchgeführt wird, eine operative Tätigkeit. Das wird bei diesem Begriff verschleiert», hält Patricia Christoph kritisch fest.

Zudem werden bei diesem Vorgehen Grundsätze des sterilen Eingriffs verletzt und die Frau damit möglicherweise gefährdet. Dies ist beim Fensterkaiserschnitt an der Berner Frauenklinik nicht der Fall.

Eine schmerzhafte Lücke

2017 wird die aus Deutschland und Brasilien stammende Oberärztin von einer schwangeren Frau erstmals auf eine mögliche Kaisergeburt angesprochen. «Sie hatte beim ersten Kind einen klassischen Kaiserschnitt. Das Gefühl komplett von der Entbindung isoliert zu sein, bereitete ihr Mühe. Für sie sei dadurch eine schmerzhafte Lücke beim Geburtserlebnis entstanden, die sie gern überbrücken wolle», erzählt die Ärztin.

Das Team vom Inselspital setzt sich zusammen und schaut, wie sich der Wunsch umsetzen lässt. Da Sicherheit und Hygiene an vorderster Stelle stehen, kommt das Herunterlassen der Abdeckung, so wie es bei einzelnen Kliniken im Ausland üblich ist, nicht in Frage. Sie entwickeln daher eine sterile Abdeckung mit einem Sichtfenster.

Dr. Patricia Christoph Oberärztin Inselspital August 2020

Dr. Patricia Christoph ist Oberärztin in der Frauenklinik des Inselspitals in Bern und leitet das Projekt Fensterkaiserschnitt.

ZVG
«Das Geburtserlebnis ist intensiver»

Die neue Methode kommt sehr gut an: «Die Eltern sind begeistert. Sie sehen, wie ihr Kind den ersten Atemzug macht und zu schreien beginnt. Das Geburtserlebnis ist intensiver als beim klassischen Kaiserschnitt. Obwohl es sich um eine Operation handelt, spüren wir im OP-Saal wie bei der spontanen Geburt nun diesen Freudentaumel der Eltern. Das ist sehr berührend», erzählt Christoph.

Fensterkaiserschnitt

Das Wunder der Geburt

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Durch den Fesnterkaiserschnitt können die Eltern alles mitverfolgen.  

Offen gibt sie zu, dass es sich am Anfang schon etwas befremdend angefühlt habe, dass die Eltern einem bei der Arbeit quasi durchgehend auf die Finger schauen. «Mit der Routine legte sich dieses Gefühl aber rasch.»

Starke Eltern-Kind-Beziehung

Der Fensterkaiserschnitt wird nur auf Wunsch des Paares durchgeführt. «Es ist klar eine Typenfrage. Wer Mühe hat, Blut zu sehen, eignet sich nicht dafür», sagt Christoph.

Eine starke Eltern-Kind-Beziehung wird am Inselspital bei beiden Methoden gefördert. Ob mit oder ohne Blickkontakt zu Beginn, das Kind wird seiner Mutter, wenn alles normal verläuft, unmittelbar nach der Operation auf die Brust gelegt, damit sie mit ihm sofort den wichtigen engen Körperkontakt hat. 

neugeborenes auf brust

Ob klassisch oder per Fensterkaiserschnitt: Am Inselspital in Bern wird bei beiden Methoden eine starke Eltern-Kind-Beziehung gefördert.

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Keine Werbung für den Kaiserschnitt

Seit Dezember 2017 wurden rund 150 Fensterkaiserschnitte am Inselspital durchgeführt. «Wir sind im Moment bei rund zehn Fensterkaiserschnitten pro Monat. Tendenz steigend. Es spricht sich immer mehr herum», so die Oberärztin.

Sie seien allerdings weit davon entfernt dadurch Werbung für den Kaiserschnitt zu machen. «Ein Kaiserschnitt ist trotz unserer neuen Methode immer nur der zweitbeste Weg, ein Kind zu bekommen», sagt sie. «Er sollte wie jede Operation nur durchgeführt werden, wenn es notwendig ist.»

Weniger postnatale Depressionen?

Von der sinnvollen Alternative zum traditionellen Kaiserschnitt ist Christoph dennoch überzeugt. Derzeit leitet sie eine Studie zum Fensterkaiserschnitt. Es ist die bis anhin erste in der Schweiz zu diesem Thema. 

Dabei interessieren die engagierte Ärztin folgende Fragen: Ist der Fensterkaiserschnitt für die Frauen ein Benefit? Stärkt es die Mutter-Kind-Beziehung? Mindert es möglicherweise sogar die Chance auf eine postnatale Depressionen? Die Resultate der Studie werden 2021 bekannt gegeben.

Von Maria Ryser am 23. August 2020 - 07:09 Uhr