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So reagieren Eltern richtig

Hilfe, mein Sohn trägt einen Rock

Wenn der Sohn sich ein Kleid in den Kindergarten anziehen oder die Fingernägel lackieren möchte, schrecken viele Eltern auf: Was, wenn er gemobbt wird? Oder ein Mädchen sein will? Tatsächlich gebe es auch Situationen, in denen Vorsicht angebracht sei, sagt Expertin Dagmar Pauli.

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Bube Sohn Junge als Prinzessin

«Es ist doch schön, wenn sie ausprobieren können. Das heisst noch lange nicht, dass das Kind kein Junge sein will», sagt Gender-Expertin Dagmar Pauli zu Buben, die einen Rock anziehen möchten.

Getty Images/Maskot

Vor einiger Zeit liessen der deutsche Sänger Sasha und seine Frau Julia Röntgen mit einer Geschichte über ihren 2018 geborenen Sohn Otto aufhorchen. «Er hat sich einmal für die Kita einen Rock angezogen, den er sich von seiner besten Freundin ausgeliehen hatte. Dafür wurde er dann ausgelacht», erzählte die Autorin Julia Röntgen im Gespräch mit «Bunte». Eigentlich sei er eine starke Person, aber: «An dem Tag war er einfach ein bisschen geknickt, weil er das nicht verstanden hat.»

Eine Situation, die auch andere Eltern kennen – und dann? «Ich glaube, man kann einfach nur sagen: ‹Du bist du. Und du machst, was du willst›», meint Sasha im Interview. Natürlich nicht immer und bei allem, «aber wenn du Lust hast, einen Rock anzuziehen oder dir die Fingernägel zu bemalen, dann mach das doch einfach.» Das sei ja ganz viel Experimentierfreudigkeit, «das soll man eigentlich unterstützen», so der Sänger.

Sasha Julia Röntgen

Sänger Sasha mit seiner Frau Julia Röntgen.

IMAGO/Bildagentur Monn

Die Unterstützung der Eltern sei in diesem Moment tatsächlich am wichtigsten, sagt Dagmar Pauli im Gespräch mit schweizer-illustrierte.ch. «Dabei sollte man die Situation weder gross machen, noch klein reden, sondern einfach erklären. Dass nämlich manche meinen, nur Mädchen dürften Röcke tragen, und deshalb blöde Bemerkungen machen», so die stellvertretende Direktorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. «Man muss seinem Kind in diesem Moment aber auch das Gefühl vermitteln, dass man es gut findet und liebt hat, so wie es ist.» Also alles kein Problem, wenn der Sohn die Fingernägel lackieren oder in den Kindergarten einen Rock anziehen möchte? «Nicht immer», schränkt die Gender-Expertin ein.

Dagmar Pauli, wie reagiert man als Elternteil richtig, wenn der Sohn sich einen Rock in den Kindergarten anziehen möchte?

Am besten ganz unaufgeregt. Weil eigentlich ist es ein verständlicher Wunsch, dass Kinder Sachen ausprobieren möchten, egal welchen Geschlechts. Und auch, dass es kleine Kinder schön finden, wenn man sich schmückt, vielleicht einmal ein Kleid anzieht oder die Fingernägel bunt anmalt. Im Mittelalter war das übrigens gesellschaftlich absolut akzeptiert, dass auch Männer Röcke tragen.
 

«Man sollte das Kind auch nicht dazu verleiten, sein Geschlecht zu hinterfragen, nur weil es nicht in eine Schublade passt.»

KD Dr. med. Dagmar Pauli

Heute aber schauen viele komisch, wenn Buben im Rock umherlaufen.

Kinder haben dieses Schubladendenken der Gesellschaft noch nicht so verinnerlicht. Zum Glück! Es ist doch schön, wenn sie ausprobieren können. Das heisst noch lange nicht, dass das Kind kein Junge sein will.

Also keine Gedanken machen und unterstützen?

Man darf sich immer Gedanken machen. Aber solange es dem Kind damit gut geht und es vom Umfeld akzeptiert wird, gibt es keinen Grund zur Sorge. Trotzdem sollte man sich als Eltern die Situation, in die sich das Kind begibt, versuchen einzuschätzen: Ist die Umgebung eher konservativ oder aufgeschlossen? Wie ist die Lehrperson eingestellt? Mit dieser kann man im Gespräch auch eruieren, welche Reaktionen anderer Kinder zu erwarten sind. Nicht zuletzt ist es auch wichtig, wie das Kind selber ist: Reagiert es locker und selbstbewusst, wenn ein komischer Kommentar kommt? Oder ist es vielleicht eher unsicher und lässt sich davon aus dem Konzept bringen?

Zur Person

Dagmar Pauli (61) ist stellvertretende Direktorin und medizinische Leiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Die dreifache Mutter ist klinische Dozentin der Universität Zürich. Ihre Spezialgebiete in Klinik und Forschung sind Essstörungen, Depressionen und Suizidalität sowie Geschlechtsinkongruenz bei Jugendlichen.

Dagmar Pauli

Dagmar Pauli

ZVG

Wenn der Sohn schüchtern ist, sollte man ihm also verbieten, in einer eher konservativen Gegend einen Rock anzuziehen?

Wenn dadurch mehr Negatives als Positives entstehen würde, ist tatsächlich Vorsicht geboten. Wobei verbieten das falsche Wort ist. Aber man kann mit dem Kind sprechen und erklären, vielleicht einen Kompromiss suchen. Wieso nicht einmal zum Einkaufen einen Rock anziehen, oder zum Spielen im Zimmer oder im Garten? Aber: Es darf nie darum gehen, dass man selber das Kind nicht unterstützt und seine Wünsche nicht akzeptiert. Ich würde mit dem Kind besprechen, dass manche Menschen so etwas nicht verstehen, und schauen, ob das Kind sich auch negative Reaktionen zutraut.

Wie lange ist es ein Ausprobieren und ab wann sollte man sich als Eltern vielleicht weitergehende Gedanken zur Geschlechtsidentität des Kindes machen?

Das darf ganz lange einfach ein Ausprobieren sein. Man sollte das Kind auch nicht dazu verleiten, sein Geschlecht zu hinterfragen, nur weil es nicht in eine Schublade passt. Mehr Aufmerksamkeit braucht es, wenn das Kind von sich aus formuliert, dass es ihm nicht um die Kleider geht, sondern es ein Mädchen sein will oder vielleicht sogar behauptet, ein Mädchen zu sein. Wer verunsichert ist, darf jederzeit bei einer Fachstelle Rat suchen. Weiterführende Gedanken muss man sich machen, wenn das Kind unter der Geschlechtszuordnung stark leidet; so etwas spüren Eltern und manche Kinder zeigen es auch ganz deutlich. Wobei das im Kindergartenalter eher selten ist. Oft sehe ich Eltern nur einmal für ein beratendes Gespräch, und dann flacht das Thema beim Kind mit der Zeit wieder ab. Ich empfehle deshalb, ganz entspannt damit umzugehen.

«Ich glaube, dass das stark mit dem Patriachat zu tun hat, dass es in der Gesellschaft für Jungs quasi als Abstieg gesehen wird, wenn sie sogenannt mädchenhafte Dinge bevorzugen.»

KD Dr. med. Dagmar Pauli

Und was, wenn das Kind in der Schule gemobbt wird?

Dann gilt es, dem Kind seine volle Unterstützung zuzusichern und das Mobbing nicht einfach zu akzeptieren, sondern das Gespräch mit der Schule zu suchen. Andere Kinder sollen auch lernen, dass es kein solches Schubladendenken mehr geben darf. Nach dem Mobbing wegen Übergewicht werden Jungs in der Schule bis heute noch immer am häufigsten als schwul beschimpft, weil sie sich geschlechtsatypisch verhalten.

Wieso ist das eigentlich vor allem bei Jungs ein Thema?

Tatsächlich schaut bei Mädchen schon lange niemand mehr komisch, wenn sie Hosen tragen, kurze Haare haben oder Fussball spielen. Jungs mit Rock oder in typischen Frauenberufen werden aber noch immer belächelt. Ich glaube, dass das stark mit dem Patriarchat zu tun hat, dass es in der Gesellschaft für Jungs quasi als Abstieg gesehen wird, wenn sie sogenannt mädchenhafte Dinge bevorzugen. Gleichzeitig beobachte ich, dass auch junge Männer langsam die gesellschaftlichen Grenzen überwinden, dass sich Jugendliche vermehrt die Fingernägel lackieren oder Schmuck tragen. Und das ist gut so.

Unterstützung für Eltern, Kinder und Jugendliche bei Gender-Fragen:

Buchcover Die anderen Geschlechter
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Von Thomas Bürgisser am 14. September 2025 - 07:00 Uhr