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Ein Experte klärt auf

In diesen Fällen können Hypnose-Techniken Kindern helfen

Viele Menschen schwören beim Bekämpfen von diversen Leiden auf Hypnose-Techniken. Auch Kindern können sie in gewissen Fällen helfen, doch es gibt auch Grenzen. Hypnose-Experte Gabriel Palacios erklärt, wann Hypnose-Techniken schon kleineren Kindern nutzen, bei welchen Angeboten Vorsicht geboten ist und weshalb die Eltern bei den Sitzungen dabei sein sollten.

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Hypnose-Experte Gabriel Palacios erklärt, wann bei Kindern eine Hypnose Sinn macht und wo Vorsicht geboten ist.

Wer sein Kind zu einer Hypnose-Therapie schicken möchte, sollte sich die Anbieter genau anschauen.

Getty Images

Gabriel Palacios, ab welchem Alter kann Hypnose einem Kind helfen?
Sobald es gelernt hat, Dinge zu hinterfragen und kritisch zu denken – also etwa ab sechs Jahren. Davor handelt es sich vorwiegend um ein Aktivieren und Verankern von Ressourcen. Heutzutage wird der Begriff «Kinderhypnose» viel zu inflationär verwendet. Im Grunde handelt es sich dabei nämlich um eine Art Oxymoron: Ein Widerspruch in sich. Ein Kind braucht bis zu einem gewissen Alter noch gar keine hypnotische Trance. 

Weshalb?
Erwachsene Menschen begleitet man in einen hypnotischen Trance-Zustand, um ihr kritisches Denken zu hemmen. Ein Kind von zirka unter sechs Jahren kann aber noch gar nicht in einem vergleichbaren Ausmass kritisch denken wie Erwachsene. Deshalb macht eine klassische Hypnoseeinleitung bei Kindern keinen Sinn. Leider gibt es dennoch Anbieter, die angebliche Hypnosetechniken für Kleinkinder anbieten. Das ist absurd.

Sie sind also überzeugt, dass Hypnosetechniken einem Kind unter sechs Jahren grundsätzlich nicht helfen?
Das, was nach einer Hypnose-Einleitung erfolgen würde – nämlich der Prozess des Aktivierens und Verankerns von Ressourcen – schon. Aber einem Kleinkind beibringen zu wollen, sich in eine tiefe Entspannung zu begeben, ist absurd. Manche Kinder verstehen noch gar nicht, was Entspannung bedeutet. Deshalb macht es viel mehr Sinn, ein Kind zwischen vier und sechs Jahren beispielsweise aufzufordern, sein Problem zu zeichnen. 

Was geschieht dann?
Ein Kind, das sich beispielsweise im Kindergarten einsam fühlt, könnte die Problemsituation zeichnen. Dann wird es gefragt, wen oder was es toll findet. Meist ist das eine Superheldin oder ein Superheld. Das sind fiktive Ressourcen oder wie wir sagen: Sekundärressourcen. Danach zeichnet das Kind, wie diese Superheldin ihm in besagter Situation hilft. So kann sich das Kind in Zukunft vorstellen, dass die Superheldin immer an seiner Seite ist und es sich beispielsweise nicht mehr einsam fühlen muss. Hier zeigt sich: Was bei Erwachsenen erst durch das Schliessen der Augen möglich wird – nämlich die gehemmten rationalen Hirnfunktionen –, ist bei Kindern durch eine hohe Aufmerksamkeit wie beim Zeichnen oder Geschichtenhören bereits gewährleistet.

 

Gabriel Palacios

Gabriel Palacios ist Hypnose-Therapeut und Bestsellerautor. Er führt das Ausbildungsinstitut für Hypnosetherapie, Gesprächstherapie und Mediationscoaching «Palacios Relations».

ZVG

Worauf sollte ein Hypnosetherapeut oder eine Hypnosetherapeutin bei der Arbeit mit Kindern achten?
Kinder haben eine sehr ausgeprägte Fantasie und unterscheiden bis zu einem gewissen Alter kaum zwischen der Realität und ihren Vorstellungen. Deshalb muss man bei Suggestionen sehr vorsichtig sein. Beispielsweise darf man niemals sagen: «Du fühlst dich so frei, als könntest du fliegen.» Das Kind könnte versuchen, das auszuprobieren. Auch von Kindern abzuverlangen, sich damit zu befassen, von welcher Prägung oder seelischen Verletzung eine Angst zum Beispiel komme, ist nach meiner Beurteilung unethisch. Ein Kind will das nicht. Ebenfalls gefährlich ist es, Kinder zu bitten, sich die Angst introspektiv im Körper vorzustellen. Sie könnten auf die Idee kommen, diese Angst auf irgendeine Art und Weise aus dem Körper herauszuschaffen.

Sollten die Eltern bei einer Hypnose-Therapie dabei sein?
Ja, meiner Meinung nach sollten sie mindestens bis zur Adoleszenz immer dabei sein. Sie sollen die Antworten des Kindes mitbekommen und auch selbst Auskunft geben können. Nicht selten sind Gedanken und Verhaltensweisen der Eltern integraler Bestandteil des Problems. Es gibt aber auch Jugendliche, die ihren Eltern ständig widersprechen und von sich aus fordern, dass die Eltern nicht dabei sind. Dann führe ich das Vor- und Nach-Gespräch gemeinsam mit den Eltern durch und bei der hypnotischen Intervention sind sie dann halt auf Wunsch nicht dabei. 

Anscheinend werden aber auch explizit Sitzungen für Kinder angeboten, bei denen die Eltern nicht dabei sein dürfen. Was halten Sie davon?
Das finde ich höchst fraglich. Die Eltern sind aus meiner Sicht die wahrhaften Hypnosetherapeuten ihrer Kinder. Sie müssen wissen, wie sie das Kind nach der Sitzung optimal unterstützen können. Ausserdem gibt es viele Kinder, die sich unwohl fühlen würden, wenn die Eltern nicht dabei sein können – egal, bei welcher Form von Therapie oder Behandlung. 

«Eltern werden nach der eigentlichen Sitzung im Idealfall zu Stellvertretern des Therapeuten oder der Therapeutin.»

Was ist denn die Absicht von Hypnosetherapeutinnen und -Therapeuten, die Sitzungen ohne die Eltern durchführen möchten?
Einige glauben, dass das Kind allein eher über Missstände innerhalb der Familie sprechen würde. Da besteht meines Erachtens ein Irrglaube. Es ist nicht die Aufgabe der Therapeuten, Detektiv oder Sozialarbeiter zu spielen. Auch ist es ohne entsprechende Ausbildung wohl eher gefährlich zu interpretieren und Schuldzusprachen zu machen. Zudem stellt sich die Frage, warum ein Kind einem fremden Therapeuten ein Familiengeheimnis anvertrauen sollte. Es ist eher das Gegenteil der Fall: Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas «Geheimes» ausgeplaudert wird, schwindet, wenn das Kind ohne Mutter oder Vater an seiner Seite unsicher ist. Weiter würde wohl der Elternteil, der Missstände verheimlichen möchte, bestimmt keiner Therapiesitzung für das Kind zustimmen. Deshalb kann ich oft nur den Kopf darüber schütteln, was auf dem weiten Hypnosemarkt alles angeboten wird. 

Was können folglich Eltern zum Gelingen einer Hypnose-Therapie beitragen?
Sie werden nach der eigentlichen Sitzung im Idealfall zu Stellvertretern des Therapeuten oder der Therapeutin. Beispielsweise, wenn ein Anker erarbeitet wurde. Dann können sie das Kind in den entscheidenden Momenten an die Anker und die damit verbundenen kognitiven Prozesse erinnern.

Was ist damit gemeint?
Mit einem Anker können positive Gedanken oder Gefühle reaktiviert werden. Ein in unserer Gesellschaft verbreiteter Anker ist etwa, dass wir sofort an Weihnachten denken, wenn wir Zimt riechen. Dazu müssen wir nicht zuerst einen bestimmten Geisteszustand erlangen. Das Gefühl kommt von selbst. In einer Hypnosetherapie-Sitzung definiert das Kind seinen Anker nahezu selbst – es wird lediglich auf dem Weg dorthin begleitet. Anschliessend erhalten auch die Eltern klare Anleitungen, wie sie diesen Anker im Alltag des Kindes integrieren und ihn vor allfälligen Problemsituationen mit dem Kind gemeinsam reaktivieren können.

«Einer der häufigsten Konsultationsgründe von Jugendlichen sind Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten vor Prüfungen.»

Bei welchen Problemen ist Hypnose besonders wirkungsvoll?
Ab einem Alter von 12 Jahren können oft schon klassische hypnosetherapeutische Prozessvorlagen angewendet werden und etwa bei Ängsten oder zur Stressbewältigung sehr wirkungsvoll sein. Einer der häufigsten Konsultationsgründe von Jugendlichen sind Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten vor Prüfungen. Auch bei Einschlafschwierigkeiten, Phobien oder Antriebslosigkeit kann Hypnose helfen.

Wie können Eltern seriöse von unseriösen Hypnose-Angeboten unterscheiden?
Das ist leider oft nicht ganz einfach. Man muss sich die Website des Anbieters genau anschauen oder erste Gespräche mit ihm führen. Hier einige Beispiele, die einen stutzig machen sollten:

  • Heils- und Garantieversprechen: Oft handelt es sich dabei um getarnte Aussagen wie: «Für dieses Anliegen genügt in der Regel eine Sitzung.» 
  • Extrem lange Sitzungen: Soll die Sitzung beispielsweise drei Stunden oder mehr dauern, weist das meist auf ein eigenartiges Konzept hin. Unser Gehirn ist gar nicht fähig, ungeübt länger als rund 40 bis 50 Minuten in hypnotischer Trance zu verweilen. 
  • Hinweise zur Medikation: Einige Hypnose-Coaches verlangen, dass ihre Klienten während der Sitzung nicht unter dem Einfluss von Psychopharmaka stehen. Das ist eine absurde Forderung und höchst gefährlich. Klienten könnten auf die Idee kommen, ihre Medikamente eigenmächtig abzusetzen.
  • Einen «Ursprung» suchen: Schreibt der Anbieter, man müsse in die Angst oder «zum Ursprung des Problems» gehen oder einen Schmerz nochmal erleben, um etwas überwinden zu können, ist das sehr fraglich. Diese Ansätze sind wissenschaftlich höchst zweifelhaft, weil dadurch eine mögliche multifaktorielle Ursache geleugnet wird.
  • Interpretation und Projektion: Wenn Therapeutinnen und Therapeuten behaupten, zu wissen, was «das wahre Problem» des Klienten wäre oder allenfalls sogar das Problem durch Aussagen wie diese deuten: «Ihre Mittelohrentzündung will Ihnen sagen, dass Sie etwas nicht hören wollen.»

Wie sieht es mit psychischen Erkrankungen aus? Können diese mit Hypnose behandelt werden?
Bei vielen psychischen Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen kann eine Hypnosetherapie helfen. Bei Krankheiten wie Schizophrenie oder Psychosen gilt die Hypnose jedoch als möglicherweise kontraindiziert. Allgemein sollte ohne klaren Leistungsauftrag durch eine psychiatrische oder psychotherapeutische Fachkraft bei psychischen Erkrankungen auf eine Hypnosetherapie verzichtet werden. Eine Hypnosetherapie sollte in diesen Fällen lediglich als Zusatz zu einer medizinischen Therapie oder einer Psychotherapie betrachtet werden und nicht als Ersatz. Ich distanziere mich klar von Aussagen von einigen Mitbewerbern, die propagierten, mit Hypnosetherapien könnte man die überfüllten Jugendpsychiatrien entlasten. Ohne klaren Leistungsauftrag seitens einer Psychiaterin oder eines Psychiaters mit Jugendlichen zu arbeiten, die unter einer psychischen Erkrankung oder Störung leiden, empfinde ich als fragwürdig, gefährlich und unethisch.

Von fei am 1. Juni 2025 - 07:00 Uhr