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  4. Margrit Stamm über Erziehung in der Pandemie: Besseres Familienklima dank mehr Autonomie

Ihr braucht bloss locker zu lassen!

Margrit Stamm über Erziehung in der Pandemie

Stagnierende Infektionszahlen, Familien in Quarantäne, und immer wieder geschlossene Schulhäuser: Die Corona-Pandemie dauert an, und verlangt gerade Familien, die Jobs, Haushalt und Hausaufgaben unter einem Dach vereinen müssen, einiges ab. Eine neue Studie zeigt auf, welches Erziehungsverhalten dabei ideal ist.

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Fröhliche Familie mit Teenies

Happy mit Mami und Papi: Eine Studie zeigt auf, welches Erziehungsverhalten bei der vermehrten Nähe durch die Pandemie zu einem besseren Familienklima beiträgt.

Getty Images/Westend61

Wenn Eltern der Corona-Pandemie wegen samt Kind und Kegel und haufenweise Arbeit und Hausaufgaben über längere Zeit in den eigenen vier Wänden eingepfercht sind, ist Knatsch vorprogrammiert. Und die Eltern fragen sich schnell mal: Sind wir schuld? Was machen wir falsch? 

Eine deutsche Studie befasste sich darum mit der Frage, welcher Erziehungsstil am ehesten zum Wohlbefinden aller Beteiligten beiträgt. Das Resultat der Studie, für die im März und April des vergangenen Jahres, also zur Zeit des Lockdowns, 562 Elternteile befragt wurden: Familien, in denen die Eltern in der Erziehung Autonomie und Entscheidungsspielräume ihrer Kinder innerhalb bestimmter Grenzen unterstützen, kamen am besten durch die gemeinsame Zeit zu Hause.

Wichtig an dieser Studie findet Erziehungswissenschafterin Margrit Stamm, welche diese auf Twitter geteilt hat, dass Eltern, die im Lockdown auch ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen konnten, die Kinder besser unterstützten und dass dadurch das Familienklima harmonischer war. Zudem gelte es zu beachten, dass sich die Studie auf Eltern mit höherem Bildungsgrad konzentriert habe.

Nachfolgend die wichtigsten Punkte zu diesem Erziehungsstil, so wie ihn Margrit Stamm in ihrem Buch «Lasst die Kinder los» beschreibt. In dem Buch geht es vor allem darum, Eltern im Bewusstsein zu stärken, dass sie nicht perfekt sein müssen – es reicht, hinreichend gute Eltern zu sein.

So sind oder werden wir «hinreichend gute» Eltern
  • Verlasst die Perfektionsspirale: Schaut in den Spiegel und sagt euch: Ich darf Fehler machen, mein Kind ist widerstandsfähig. Fragt euch: Welche Ziele verfolge ich mit der Erziehung? Soll zum Beispiel die Leistung oder die Lust am Tun im Mittelpunkt stehen? Und: Was kann ich selbst verändern? Was ist nicht veränderbar und deshalb zu akzeptieren? Nur wenn Eltern versuchen, solche Fragen selbstkritisch zu beantworten, können sie erkennen, dass sich die gesellschaftliche Angst- und Sicherheitskultur auf sie überträgt, und lernen, weshalb sie sich von ihr emanzipieren müssen.


     
  • Baut eine positive Autorität auf: Entwickelt ein klares Rollenverständnis; baut eine positive Autorität auf und gewinnt Distanz zum Kind. Eltern, aber auch Erwachsene, welche mit kleinen Kindern beruflich zu tun haben, sollten sie zwar erziehen, betreuen und fördern, aber nicht Partner sein und die Kinder auch nicht überbehütend an sich binden. Starke Eltern wissen, wie man führt und sich abgrenzt, den Kindern jedoch trotzdem in bestimmten Bereichen das Recht auf Mitbestimmung und Partizipation einräumt. Und: Sie setzen das Smartphone auf den zweiten Platz. Eine horizontalere, partnerschaftlicher orientierte Erziehung und Beziehung kann sich erst bei älteren Kindern langsam durchsetzen, wenn die Psyche ausgebildet und das Fundament gefestigt ist.

     
  • Stärkt die Autonomie: Korrigiert eine zu grosse Nähe zum Kind und die Abhängigkeit von ihm. Selbstbewusste, selbstständige Kinder, die Herausforderungen erfolgreich und allein bewältigen und nicht überbehütet werden, können sich auch jenseits der Familienbindung eine eigene Identität aufbauen. Lasst euer Kind negative Erfahrungen machen, denn Kinder sind viel widerstandsfähiger, als wir denken. Sie müssen hinfallen, sich verletzen und wehtun können, weil sie sonst nie lernen, aufzustehen, sich selbst zu schützen, Schmerzen auszuhalten und zu erleben, dass diese wieder nachlassen. 
Überbehüteter Bub

Lieber mal machen lassen statt überbehüten: Denn Kinder sollen auch negative Erfahrungen machen können.

Getty Images

 

  • Nehmt kindliche Entwicklungsgesetze als Massstab: Gebt dem freien, unbeaufsichtigten Spiel mit Gleichaltrigen einen Stammplatz, es fördert Kinder in ihrer intellektuellen, sozialen und emotionalen Entwicklung am meisten. Beim Spielen können sie anderes lernen als in kontrollierten Situationen zum Beispiel in einem Verein oder Förderprogramm, weil sie ihre Grenzen unabhängig von anleitenden Erwachsenen austesten und Selbstvertrauen entwickeln. Stellt eure persönlichen Vorstellungen zurück; fördert die individuelle Entwicklung eures Kindes.
     
  • Und: Geht alles auch mit Intuition an! Erkennt das Hinderliche an Überinformation; aktiviert und trainiert Intuition. Kindererziehung ist keine Wissenschaft, sondern im Grunde etwas Natürliches. Eltern, die selbstkritisch und zu reflektieren in der Lage sind, können locker bleiben. Fehler machen gehört zur Erziehung. Eltern sollten vielmehr auch lernen, ihrem gesunden Menschenverstand zu vertrauen.
Von Christa Hürlimann am 16. März 2021 - 07:09 Uhr