Kann man eigentlich auch lernen, richtig zu lernen? Die Wissenschaft sagt: Ja! Es gibt Wege, die das Lernen erleichtern, so dass mehr Stoff hängen bleibt, obwohl man weniger Aufwand dafür betreibt. Wie das funktioniert, verraten Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund von der Akademie für Lerncoaching in Zürich. Das Angebot des Weiterbildungsinstituts Akademie für Lerncoaching umfasst auch Videos, Onlinekurse und einen Podcast.
Repetieren ja – aber aktiv!
Er: Zwei Gruppen lesen einen Text. Nach einer Woche wiederholt die erste Gruppe die Lektüre, die zweite beantwortet Fragen dazu. Weitere fünf Wochen später ist bei der zweiten Gruppe deutlich mehr Information hängen geblieben als bei der ersten. Studien wie diese zeigen: Die beste Lernmethode ist nicht mehrmaliges Einprägen, sondern aktives Abrufen und Verarbeiten von Infos. So lernt man bis zu viermal mehr.
Sie: Unsere Augen sind ja auch kein Scanner, der Gelesenes direkt ins Hirn lädt. Die zweite Gruppe verarbeitete den Text aktiv, anstatt ihn passiv zu konsumieren. So speichert man Gelerntes langfristig ab. Darum lohnt es sich, Kinder in die Expertenrolle zu bringen. Man bittet sie, einen Lerninhalt in eigenen Worten zu erklären, oder animiert sie, mit Gleichaltrigen zu lernen. Wenn ein Kind dem anderen etwas erklärt, profitieren beide.
Sprint statt Marathon
Sie: Wenn Kinder stundenlang an den Hausaufgaben sitzen müssen, ist es kein Wunder, wenn sie diese Situation immer stärker vermeiden wollen und beginnen, sich dagegen zu sträuben. Wir sollten es gar nicht so weit kommen lassen und unsere Kinder von Anfang an ermutigen, sich Wissen in kurzen, aber effizienten Sprints zu erarbeiten statt in ermüdenden Marathons. Man setzt sich ein klares Ziel für 10 bis 15 Minuten, etwas das man verstehen oder erarbeiten will, dann legt man eine Pause ein.
Er: Mit kurzen, effektiven und auch fordernden Lernsprints kommt man schneller voran als mit einer Stunde Dranbleiben. Wers nicht glaubt, den laden wir zum Experiment ein: An einem Tag erledigt man die Hausaufgaben am Stück, am anderen in durch Pausen unterbrochenen Etappen. Nach beiden Erlebnissen fragt man sich: «Wie ging es mir, wie fühle ich mich nach dem Lernen? Was blieb hängen?» Die Methode mit den Lernsprints wird vermutlich in allen Bereichen besser abschneiden.
Der Themenmix machts
Er: Erfolgreiches Lernen braucht nicht unbedingt mehr Zeit oder Aufwand. Man muss nur die richtigen Kniffe kennen. Zum Beispiel nimmt man Informationen viel besser auf, wenn man Themen möglichst oft abwechselt. Damit umgeht man die sogenannte Ähnlichkeitshemmung.
Sie: Die Forschung zeigt, dass ähnliche Inhalte weniger gut hängen bleiben, wenn sie zeitnah oder zeitgleich angeschaut werden. In der Praxis bedeutet das: Nach Englisch lieber nicht direkt eine andere Sprache lernen, sondern eine Einheit Mathe dazwischenschieben.
Die Stimmung wird mitgelernt
Er: Was Eltern im Zusammenhang mit Hausaufgaben wissen müssen: Die Stimmung, die rund um die Arbeit für die Schule herrscht, lernt ein Kind immer mit. Es lohnt sich nicht, wegen einer Hausaufgabe in eine Konfliktsituation zu gehen. Zum Teil ist es besser, man bricht ab, wenn ein Kind nicht mehr lernen mag. Dann fällt eine Prüfung halt einmal nicht so gut aus – dafür assoziiert das Kind langfristig nicht Lernen mit Stress und Erschöpfung.
Sie: Die Beziehung zum Kind ist wichtiger als jede Note, jedes Arbeitsblatt und jede Prüfung. Diesen Leitsatz dürfen Eltern immer im Kopf behalten. Gerade wenn es um Hausaufgaben geht, entwickeln wir Erwachsenen schnell einen Tunnelblick und verlieren aus den Augen, dass Wohlbefinden ein wichtiger Motivationsfaktor ist. Wie und unter welcher Stimmung gelernt wird, ist wichtiger, als dass immer alles rechtzeitig erledigt ist.
Blick in den Spielgel
Er: Kürzlich wollte ich meiner Tochter etwas erklären. Ich wurde ungeduldig und sagte: Jetzt konzentrier dich doch mal! Danach hielt sie mir prompt den Spiegel vor. Sie zeichnete mich mit einer Sprechblase, die genau diesen Satz enthielt, und sagte: «So bist du gerade, Papa.»
Sie: Eltern merken manchmal gar nicht, wie gestresst sie aufs Kind wirken. Um gute Stimmung zu schaffen, hilft ein Trick: Man kann Lernsituation mit der Handykamera filmen und von aussen betrachten. Dann fragt man sich: «Möchte ich eigentlich mit mir selbst zusammenarbeiten?»
Erholung nicht vernachlässigen
Er: Das Lernen durch kurze Pausen zu unterbrechen, ist ebenso wichtig wie die Lerneinheiten selbst. Ein paar Minuten zum Fenster rausschauen, etwas trinken oder sich kurz bewegen – das reicht, um sich danach wieder konzentrieren zu können. Allzu spannend sollte man die Pausenaktivitäten nicht gestalten, sonst könnte es danach schwerfallen, sich loszulösen – also weder ein Fussballspiel starten noch durchs Handy scrollen.
Sie: Kinder brauchen, um Lernfreude zu haben, neben Schlaf und Bewegung auch genügend Ausgleich. Es ist darum nicht ratsam, zugunsten von mehr Lernzeit ein geliebtes Hobby zu streichen. Im Gegenteil, davon können wir nur abraten. Denn wenn man einem Kind seine Leidenschaft nimmt, damit es für die Schule arbeiten kann, etabliert man negative Assoziationen mit dem Lernen. Das wird sich langfristig sicherlich nicht positiv auf die schulische Leistung auswirken.
Glaubenssätze entmachten
Sie: Gewisse Glaubenssätze können den Lerneffekt ausbremsen. Ein tröstend gemeintes «Wir sind halt nicht gut in Mathe, dafür haben wir andere Stärken» stellt die Selbstwirksamkeit eines Kindes infrage. Wozu noch lernen, wenn keine Hoffnung besteht? Stattdessen können Eltern ihren Kindern vermitteln, dass das Hirn ein plastisches Organ ist. Es bildet laufend neue Verbindungen aus. Und wenn wir es mit Infos füttern, bleibt das nie ohne Effekt. Selbst wenn man diesen manchmal mit der Lupe hervorheben muss – das lohnt sich!
Er: Auch in Bezug auf verschiedene Lerntypen kursieren Glaubenssätze, die man hinterfragen darf. Das Konzept, dass Menschen Informationen auf unterschiedliche Weise aufnehmen, entweder visuell oder übers Hören und so weiter, wurde gut vermarktet, entbehrt jedoch wissenschaftlicher Grundlage. Die Forschung zeigt, dass mehrkanaliges Lernen den grössten Erfolg verspricht. Das bedeutet, etwas nicht nur zu lesen, sondern auch darüber zu sprechen, es nachzuspielen, zu gestalten oder sich innerlich vorzustellen. Kleine Kinder tun dies von Natur aus mit allem, was sie interessiert.