Frische Luft tut der Haut gut. Viele Eltern nutzen deswegen die Badesaison dafür, ihre Kinder auch mal nackt herumrennen zu lassen. Vor allem in naturnahen See- und Flussbädern sieht man nicht selten kleine – manchmal auch grössere – Kinder «blüttlen». Doch nicht immer ist das gern gesehen.
Momfluencerin Eli Simic stösst Diskussion an
Kürzlich stiess Influencerin Eli Simic (35) auf Instagram eine Diskussion dazu an. Sie zeigte sich empört über nackte Kinder in der Badi und fragte ihre FollowerInnen, wie sie dazu stehen.
Die Reaktionen fielen durchmischt aus. Während viele der Meinung sind, dass Eltern die Pflicht haben ihre Kinder vor den Blicken «und Handkameras» Fremder zu schützen, gab es auch andere Reaktionen. «Ich finde es schön, wenn sich Kinder noch so frei fühlen können und sich nicht einschränken, nur weil die Welt so ist, wie sie ist.» Oder: «Kinder haben diese Scham noch nicht, die wir Erwachsenen haben. Ich finde es schön, dass sie sich noch nicht überlegen, was andere von ihnen denken könnten.»
Und was sagt eine Expertin für Kindesschutz dazu? SI Family hat sich mit den wichtigsten Fragen zum Thema an Elternberaterin Melitta Steiner gewendet. Sie leitet den Fachbereich Beratung der Kinder-, Jugend- und Elternberatung und Beratung die Frühe Kindheit «punkto Zug».
Melitta Steiner, wie wichtig ist Nacktheit in der Kindheit für die Entwicklung eines gesunden Körperbewusstseins?
Ich würde sagen, sehr wichtig. Schliesslich kommen wir nackt auf die Welt und die Haut bildet unsere Körperhülle, markiert unsere Körpergrenzen. Über die Haut machen wir Sinneserfahrungen vielfältigster Art. Für Kinder ist das Nacktsein eine lustvolle Erfahrung und die sinnlichen Eindrücke werden ohne die schützende Umhüllung von Kleidern viel direkter und unmittelbarer aufgenommen und verarbeitet. Nacktsein ist für das Kleinkind noch ein natürlicher und selbstverständlicher Weltzugang, noch ganz ohne Scham. Es kann seine Neugier stillen, sieht das nicht alle Körper mit den gleichen Merkmalen ausgestattet sind und noch vieles mehr.
In welchem Rahmen sollte diese Nacktheit stattfinden dürfen?
Nacktheit ist an gesellschaftliche Normen gebunden. Zum Beispiel spazieren wir in der Regel nicht nackt zur Tramstation, sondern lassen unsere Hüllen in der Regel im persönlichen Binnenraum oder in dafür vorgesehen Orten wie Sauna und FKK fallen. In der Nacktheit sind wir ungeschützt und in einem Zustand besonderer Verletzlichkeit. Für Kinder gilt das ganz besonders. Sie können sich bei Grenzverletzungen gegen ihre körperliche Integrität nicht wehren. Deshalb müssen die Erwachsenen dafür sorgen, dass sie ihre Nacktheit in einem Rahmen zeigen und leben dürfen, der ihnen einen maximalen Schutz garantiert. In der Regel ist das der engere und weitere familiale Rahmen. In unserer Kultur und für uns Erwachsene ist Nacktheit sehr eng mit Sexualität verbunden, was es für die Kinder in dieser Form nicht ist.
Raten Sie also konkret davon ab, Kinder in der Badi auch mal nackt herumrennen zu lassen?
Es wäre den Kindern zu gönnen, wenn sie ohne Bekleidung herumrennen dürften und vor der Digitalisierung war dies durchaus noch üblich. Die Zeiten haben sich verändert und heute ist es so, dass die meisten Badeanstalten in ihrer Hausordnung bereits für kleine Kinder Badeanzüge vorschreiben. Dies zum Schutz der Kinder vor Blicken, Gesten oder heimlichen Fotografien über deren Verwendung die Eltern keine Kenntnis haben und die missbräuchlich im Netz oder auf einem privaten Fotospeicher landen.
Warum kennen kleine Kinder noch keine Scham?
Scham beginnt dann, wenn das Kind aus seiner «Selbstvergessenheit» heraustritt und sich seiner selbst gewahr/bewusst wird. Es versteht plötzlich, dass es nackt ist, dass es damit eine spezielle Bewandtnis hat und die anderen es in diesem Zustand sehen könnten … Es fühlt sich ertappt. In diesem Sinne sagt die kindliche Scham «He nein, das will ich euch nicht zeigen. Ich will zum Beispiel alleine auf der Toilette sein und selber bestimmen, wann ich jemanden brauche. Oder ich will nicht mit anderen duschen …»
Wie können Eltern diesen Entwicklungsschritt begleiten?
Eltern würde ich empfehlen, diese Impulse zu respektieren und nicht versuchen, diese auszureden, im Sinne von: «Du brauchst dich doch nicht zu schämen.» Das Schamgefühl so betrachtet, hat eine das Kind schützende und selbstbestimmende Funktion. Scham ist unter Umständen für Eltern dann schwierig, wenn sie selbst unter einer zu rigiden und verneinenden Erziehung gelitten haben.