Es muss irgendwann während des zweiten Sekundarschuljahres in Birmensdorf ZH gewesen sein. Herr Rutz, unser Klassenlehrer, fragte uns nach unseren Berufswünschen. Als ich antwortete: «Sekundarlehrer, so wie Sie!», lachte Herr Rutz herzhaft. Schliesslich war ich während der Pubertät nicht gerade ein pflegeleichter Schüler.
Mein Berufsleben entwickelte sich aber in eine andere Richtung. Im Journalismus konnte ich mich 15 Jahre lang beruflich austoben:Ich interviewte Bundesräte und Tennisgötter, stand am Nordpol, sah Krankheit und Not in afrikanischen Spitälern und erlebte, wie israelische Bomben auf Beirut fielen. So aufregend all das war, in Vergessenheit geriet mein jugendlicher Berufswunsch nie. Allerdings sagte mir meine innere Stimme stets, dass ich nicht zu früh Lehrer sein sollte. Ein Leben lang im selben Beruf mit gleichbleibender Leidenschaft – das schaffen nur ganz wenige.
«Junge Menschen auf dem Weg ins Erwachsenen- und Berufsleben zu begleiten, sie zu fördern und zu fordern – sinnvoller und spannender gehts kaum»
Alejandro Velert
Nun ist die Zeit reif. Ich nehme den sogenannten Quereinstieg zum Sekundarschullehrer in Angriff. Dreieinhalb Jahre Ausbildung. Mit 47 Jahren und vier Jungs zu Hause, die mir wahnsinnig viel Freude bereiten, aber meine Batterien trotzdem ständig leeren. Meine Frau – sorry, meine Liebe – muss meine Ausbildung und unser Leben finanzieren. Selbst wenn ich ab dem zweiten Ausbildungsjahr Teilzeit arbeite, finanziell ist das Unternehmen definitiv ein Verlustgeschäft. Tue ich wirklich das Richtige?
Aber sicher doch! Junge Menschen auf dem Weg ins Erwachsenen- und Berufsleben zu begleiten, sie zu fördern und zu fordern – sinnvoller und spannender gehts kaum. Und einen lebendigeren Arbeitsort als eine Schule findet man nicht. Ich weiss, dass meine künftigen Schülerinnen und Schüler wenig auf meine Absichten und Vorstellungen geben. Im Sekundarschulalter sind Jugendliche unreif und erwachsen, neugierig und abgelöscht, unabhängig und anhänglich. Manchmal loyal, oftmals egoistisch, häufig widersprüchlich. Und der Lehrer ist sowieso ein Idiot. Anders ausgedrückt: In ihnen brodelt das Leben! Herrlich.
«Bin ich verunsichert von den Berichten über all die ausgebrannten Lehrpersonen, die frustriert den Beruf verlassen? Ja, durchaus»
Alejandro Velert
Der falsche Lehrer am falschen Ort, die falsche Lehrerin zum falschen Zeitpunkt – das habe ich selbst erlebt – können einem die Freude am Lernen verderben. Eine gute Lehrperson jedoch eröffnet jungen Menschen die Welt. Wissen erarbeiten und Informationen adäquat weitergeben, das habe ich eigentlich schon als Journalist getan. Gar nicht mal so schlecht, glaube ich. Wird mir das auch als Lehrer gelingen? Ich hoffe es. Bin ich verunsichert von den Berichten über all die ausgebrannten Lehrpersonen, die frustriert den Beruf verlassen? Ja, durchaus. Aber es gibt nur einen Weg, um all das herauszufinden. Mit Elan und Überzeugung die Ausbildung starten. Und dann hoffe ich, dass ich als Lehrer ebenso gern zur Schule gehe, wie ich es als Schüler die meiste Zeit getan habe.
Immerhin, optimistisch stimmt mich die Erinnerung an Herrn Rutz. An jenem Tag in der zweiten Sek, als er fertig gelacht hatte, schaute er mir ernst in die Augen sagte: «Ich glaube, du könntest ein toller Lehrer sein. Und ich brenne darauf zu sehen, wie du eines Tages mit Schülern umgehen wirst, die so sind wie du.»