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  4. Reaktionen auf Vorschlag von EKFF für 38 Wochen Elternzeit: Pro- und Kontra-Argumente

Pro und Kontra zum Vorschlag der EKFF

Was für 38 Wochen Elternzeit spricht – und was dagegen

Die Eidgenössische Kommission für Familienfragen EKFF schlägt 38 Wochen Elternzeit vor. Die Reaktionen könnten unterschiedlicher nicht sein. Diese Pro- und Kontra-Argumente stehen im Raum.

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Mutter und Vater teilen sich die Elternzeit

Grösstes Pro-Argument für eine Elternzeit in der Schweiz: Sie erlaubt es Familien nicht nur, ein gleichberechtigteres Familienmodell zu leben – sie fordert dies auch. 

Getty Images/Westend61

Kommt ein Baby auf die Welt, haben Mütter in der Schweiz Anspruch auf 14 Wochen bezahlten Urlaub. Vätern stehen zehn Tage Vaterschaftsurlaub zur Verfügung. Beide Ansprüche sind mit einer Lohnfortzahlung von 80% gedeckt.

Eine Elternzeit, die Väter und Mütter unter sich frei aufteilen können, gab es in der Schweiz bislang nicht. 

Dieses Elternzeit-Modell schlägt die EKFF vor

Um den gesellschaftlichen Dialog darüber zu fördern, hat die Eidgenössische Kommission für Familienfragen EKFF mit dem Positionspapier «Elternzeit – Worauf wartet die Schweiz?» ein Elternzeit-Modell auf nationaler Ebene vorgeschlagen, das Mamas und Papas nach der Geburt eines Kindes insgesamt 38 Wochen Urlaub ermöglichen soll. 

Das bereits bestehende 8-wöchige Arbeitsverbot der Mutter nach der Geburt bleibt im Vorschlag unangetastet. Nach Ablauf dieser acht Wochen sollen jedem Elternteil 15 Wochen Elternzeit zustehen. Die Mutter soll bis zu zwei Wochen Mutterschaftsurlaub bereits vor der Geburt beziehen und bis zu 7 Wochen ihrer Elternzeit auf den Vater übertragen können. «Somit profitieren Mütter von 16 bis 23 und der zweite Elternteil von 15 bis 22 Wochen», heisst es im Positionspapier. 

Diese 38 Wochen sollen innerhalb der ersten 18 Lebensmonate des Kindes unter Kündigungsschutz bezogen werden können.

Welche Argumente sprechen für eine Elternzeit in der Schweiz?

Mit diesem Vorschlag erreicht die EKFF ihr Ziel, die Diskussion voranzutreiben. In den Kommentarspalten der News-Artikel tauschen sich Gegner und Befürworter rege aus. Der Vorschlag sorgt sowohl bei Kinderlosen wie auch bei Familien für Gesprächsstoff.

Die Argumente, welche für eine Einführung der gesetzlichen Elternzeit in der Schweiz sprechen, liegen für die Befürworter der Elternzeit auf der Hand:

Gesetzlich verankerte Elternzeit fördert die Gleichberechtigung. Die aktuelle Regelung zum Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub lässt keine gleichberechtigte Rollenteilung in Familien zu. Sie zwingt Mütter weiterhin in die Teilzeitfalle und ermöglicht es Vätern kaum, sich in gleichberechtigtem Masse in die Familienarbeit einzubringen. Würden Väter gesetzlich verpflichtet, eine Mindestanzahl an Elternzeit-Wochen zu beziehen, könnte man einer gleichberechtigten Aufteilung der Familienarbeit- aber auch der Chancen in der Erwerbstätigkeit den Weg ebnen, sind die Befürworter überzeugt. Seit 2010 hält die EKFF an ihrem Vorschlag eines 38-wöchigen Elternurlaubs fest, jedoch entwickelte sie das Modell aufgrund veränderter Bedürfnisse von Eltern, Wirtschaft und Gesellschaft weiter. «Das adaptierte Modell schränkt die freie Aufteilung der Wochenzeit gegenüber früheren EKFF-Modellen weiter ein», heisst es in der Begründung. «In Ländern mit Elternzeit hat sich nämlich gezeigt, dass sich die freie Wahl nachteilig auf den Bezug von Elternzeit durch die Väter auswirkt.» Dieser Umstand drängt Eltern in alte Rollenmodelle, verhindert, dass das Potential der Mütter auf dem Arbeitsmarkt eingesetzt werden kann und wirkt sich negativ auf deren Altersvorsorge aus.

Die Schweiz hat Aufholbedarf in puncto Elternzeit. Sie hinkt anderen europäischen Ländern deutlich hinterher. Deswegen wurde die Schweiz vom Kinderhilfswerk UNICEF als familien-unfreundlichstes Land Europas eingestuft. Der Blick in andere europäische Länder zeigt: Da ist Luft nach oben! In Finnland trat vor zwei Jahren die genderneutrale Elternzeit in Kraft. Jedem Elternteil stehen 160 bezahlte Urlaubstage zur Verfügung. Das entspricht rund 14 Monaten Elternzeit. Rund ein Drittel davon können die Eltern einander überschreiben, wenn sie möchten. In Norwegen können Mütter und Väter auswählen, ob sie 49 Wochen Elternurlaub bei 100-prozentiger Lohnfortzahlung beziehen möchten oder 59 Wochen bei 80-prozentiger Lohnfortzahlung. Je 15 Wochen dieser Elternzeit sind einem Elternteil fest zugeteilt. In Österreich beträgt die Elternkarenz 60 Wochen – davon werden 13 Wochen dem Vater zugeschrieben ... nur um ein paar Beispiele zu nennen.

Elternzeit soll national geregelt werden, nicht kantonal. Im Kanton Bern fordert die Elternzeit-Initiative 24 Wochen Elternzeit. In Zürich stimmte das Volk vergangenen Mai über 18 Wochen Elternzeit ab. Die kantonalen Vorstösse zeigen, dass Handlungsbedarf besteht – jedoch nicht auf Kantönligeist-Ebene. «Die kantonalen Begehren scheitern jedoch meist. Neben dem Kostenargument wird auch entgegengehalten, dass es eine nationale Lösung und nicht 26 kantonale Lösungen braucht», schreibt die EKFF in ihrer Medienmitteilung zum vorgeschlagenen Elternzeit-Modell auf nationaler Ebene.

Erhöht Elternzeit – das BIP von morgen. Das Postulat «Volkswirtschaftliches Gesamtmodell  (Kosten – Nutzen) von Elternzeitmodellen», welches eine Kosten-Nutzen-Analyse verschiedener Elternzeitmodelle fordert, zitiert ein volkswirtschaftliches Gesamtmodell der BAK Basel. Dieses zeige auf, dass sich Investitionen in die Erwerbstätigkeit – insbesondere von Frauen – auszahlen, da sich dadurch das Bildungsniveau der Kinder erhöht, diese später besser bezahlte Jobs ausüben und die Gesamtwirtschaft von einem kontinuierlich höheren Bruttoinlandsprodukt BIP profitiert. 

Vater mit seinen Kindern

Elternzeit ermöglicht es Vätern, eine gesunde Bindung zu ihren Kindern aufzubauen – dies wiederum unterstützt die kindliche Entwicklung und Gesundheit. 

Getty Images/Maskot

Elternzeit wirkt sich positiv auf die Gesundheit von Kleinkindern und auf deren Entwicklung aus. Sie ermöglicht unter Anderem eine längere Stillzeit und stärkt die Bindung zwischen Vätern und Kindern – was sich positiv auf die emotionale und kognitive Entwicklung der Kinder auswirke, schreibt die EKFF in ihrem Positionspapier. 

Mütter bleiben durch Elternzeit gesünder. Je länger die bezahlte (also finanziell sorgenfreie) Erholungszeit für die Familie nach der der Geburt andauert, desto weniger hoch ist das Risiko einer psychischen Erkrankung der Mutter – etwa in Form einer Depression. Dass der aktuelle gesetzliche Mutterschaftsurlaub zur Erholung der Mütter nicht ausreicht, zeigt sich dadurch, dass ein Grossteil der Mütter den Urlaub nach Möglichkeit durch Ferien oder unbezahlten Urlaub verlängert. 

Ein nationales Elternzeit-Modell kommt auch der Wirtschaft zugute: Die EKFF zitiert eine kalifornische Studie, laut der sich die Elternzeit positiv auf die Produktivität, den Umsatz und die Arbeitsplatzmoral in Unternehmen auswirkt. Eine Elternzeit könne die Personalfluktuation verringern und falle vor allem bei hoch qualifizierten Mitarbeitenden ins Gewicht. Auch Studien aus der Schweiz kommen zum Schluss, dass sich familienfreundliche Programme für die Unternehmen finanziell auszahlen. Elternzeit steigert die Produktivität und wirkt dem Fachkräftemangel entgegen.

Der Vorschlag lässt Raum für Individualität: Das vorgeschlagene Elternzeit-Modell sieht vor, dass die Aufteilung der Wochen entweder paritätisch mit je 19 Wochen für beide Eltern oder auch variabel erfolgen kann. Die bisherigen Errungenschaften des Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaubs bleiben darin erhalten. 

Das sind die Argumente der Gegner

Mit ihrem Vorschlag erreicht die EKFF ihr Ziel, die Diskussion voranzutreiben – jedoch fallen die Reaktion nicht nur positiv, sondern teils auch äusserst heftig negativ aus. Obwohl die Liste der Vorteile sowohl für Familien, wie auch für Wirtschaft und Gesellschaft ins Gewicht fällt, löst der Vorschlag der EKFF in den Kommentarspalten der Nachrichten-Seiten auch negative Rückmeldungen aus. Eine Abstimmung auf dem Nachrichtenportal Nau zeigt: Vier von fünf Personen lehnen den Vorschlag ab. 

Die Argumente der Gegner lassen sich in drei Kategorien einstufen: Kosten, Arbeitsplatzorganisation und Missgunst. 

Missgunst: Kommentare im Stil von «Wieso sollte ich durch meine Steuern die Familiengründung von Leuten mit Kinderwunsch mitfinanzieren?» tummeln sich unter Artikeln zum Elternzeit-Modell der EKFF in mehr oder weniger aggressivem Ton. Solche Kommentare sind häufig. Sie beleuchten die Thematik jedoch nicht differenziert und blenden kategorisch aus, dass eine Gesellschaft nur als Ganzes funktioniert. Mit Blick auf die Funktionsfähigkeit von Sozialversicherungssystemen und die volkswirtschaftliche Produktivität scheint klar, dass die Unterstützung von Familien sich verzögert für alle Mitglieder einer Gesellschaft auszahlt.

Arbeitsplatzorganisation: «Und wer macht die Arbeit der abwesenden Eltern? Natürlich wir kinderlosen Kollegen!» ist ebenfalls ein Argument, welches häufig gegen eine ausgebaute Elternzeit vorgebracht wird. Tatsächlich kann es für das direkte Arbeitsumfeld belastend sein, wenn Mütter und Väter während einer kurzen Zeitspanne ausfallen – da die anstehende Arbeit auf die Anwesenden verteilt werden muss. Fällt die Abwesenheit durch die Elternzeit jedoch länger aus, ist es für Unternehmen auch einfacher, eine Interimslösung zu finden, da sich der Aufwand dafür lohnt. 

Kosten: «Wenn Mütter und Väter während 38 Wochen nach der Geburt einen versicherten Lohn beziehen – wer soll das bezahlen?» Die Kosten sind das wohl häufigste Argument der Elternzeit-Gegner. Und ja, Elternzeit gibts nicht gratis. Die EKFF rechnet vor, dass das von ihr vorgestellte Modell rund 1,44 bis 1,67 Milliarden Mehrkosten pro Jahr verursachen würde. Diese Kosten lassen sich jedoch decken. «Eine einprozentige Erhöhung der Frauenerwerbsquote würde genügend Steuereinnahmen generieren, um eine Elternzeit von 18 - 20 Wochen zu finanzieren», heisst es im Positionspapier. 

Von KMY am 25. Februar 2023 - 08:06 Uhr