Moritz Daum, stimmt es, dass Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern öfter problematisch sind als jene zwischen Müttern und Söhnen – oder ist das ein Mythos?
Nein, Mutter-Tochter-Beziehungen sind tatsächlich häufiger konfliktreich. Das lässt sich aber gut erklären.
Erzählen Sie bitte.
Dasselbe Geschlecht führt zu einer grösseren Nähe. Es werden eher intime Themen geteilt. Kommt es dann zu einem Vertrauensmissbrauch, ist die Verletzung umso grösser.
Nach dieser Logik müssten Vater-Sohn-Beziehungen ähnlich konfliktreich sein wie Mutter-Tochter-Beziehungen. Trifft das zu?
Nein, denn Vater-Sohn-Beziehungen sind in der Regel etwas distanzierter und damit weniger emotional. Das verringert das Potenzial für Konflikte. Ähnlich verhält es sich in Mädchen- und Bubenfreundschaften: Mädchenfreundschaften gehen oft tiefer, sind aber dadurch auch anfälliger für Streitigkeiten. Diese Aussagen müssen aber mit Vorsicht betrachtet werden, da es sich um allgemeine Befunde handelt, die nicht auf jede und jeden zutreffen müssen.
Moritz Daum ist Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Zürich.
ZVG / Sebastian WagnerSie nennen die Nähe als wichtigen Nährboden für Konflikte. Welche weiteren Gründe können dazu führen?
Die erwähnte Nähe ist grundsätzlich etwas sehr Positives. Sie kann aber auch zu fehlender Distanz führen. Wenn Mütter ihre Töchter zum Beispiel als beste Freundinnen betrachten, kann es sein, dass sie diese mit Themen belasten, die sie noch gar nicht wissen müssen und die sie überfordern. Zudem werden manchmal die eigenen unerfüllten Lebensträume auf die Töchter übertragen. Diese wollen aber ihr eigenes Leben führen und es ist für die Entwicklung ihrer eigenen Identität sehr wichtig, selbst herauszufinden, wer sie sind.
Müssen solche «Fehler» von Müttern vorliegen, damit es zu Konflikten kommt?
Nein, es müssen keine gravierenden Fehler vorliegen. Im Grunde kann man als Elternteil machen, was man will, und es kommt zu Konflikten – und das ist auch richtig so. Konflikte gehören zur gesunden Entwicklung von Jugendlichen dazu und sind kein Zeichen für eine schlechte Beziehung. Im Gegenteil: Kinder, die laut werden und mit ihren Eltern streiten, tun das, weil sie sich in der Regel sicher fühlen. Sie wissen etwa, dass sie aufgrund dieses Verhaltens keine gravierenden Sanktionen fürchten müssen.
Treten diese Probleme hauptsächlich in der Pubertät auf?
Die Pubertät ist eine Phase besonderer Vulnerabilität, in der die Jugendlichen auf der Suche nach sich selbst sind und sich abgrenzen möchten. Zwischen Müttern und Töchtern ist diese Abgrenzung aufgrund der grösseren Nähe besonders herausfordernd. Da Mütter zudem oft Rollenvorbilder für ihre Töchter sind, kann es auch vorkommen, dass eine Tochter plötzlich findet: «Ich möchte alles ganz anders machen als du.» Die Mädchen beginnen, Werte zu hinterfragen und ihr Leben – im für sie möglichen Rahmen – nach ihren Vorlieben zu gestalten. Mit endender Adoleszenz und der sich stabilisierenden eigenen Identität der Kinder nehmen die Konflikte meist wieder ab.
Flammen sie nicht oft wieder auf, wenn eine Tochter selbst Mutter wird?
Das ist tatsächlich eine interessante Phase in der Beziehung zwischen Müttern und Töchtern. Auch in dieser Zeit sagen sich die Töchter oft: «Ich werde alles anders machen als meine Mutter.» Ausserdem kann es zu Konflikten kommen, wenn die Töchter das Gefühl haben, ihre Mütter mischen sich in ihre Erziehung ein.
Wer leidet in der Regel stärker unter den Streitereien, Mütter oder Töchter?
Beide leiden darunter. Die Pubertät ist aber eine Zeit voller Umbrüche: Der Körper und das Denken verändern sich und entsprechend ist man besonders verletzlich. Die Konflikte können daher die Töchter stärker belasten, da sie noch weniger gefestigt sind, während sich die Mütter meist in einer stabileren Lebensphase befinden.
Wie könnte eine problematische Beziehung verbessert werden?
Das Wichtigste ist, Konflikte nicht grundsätzlich als Zeichen für eine schlechte Beziehung zu betrachten, sondern als normalen Teil der Entwicklung und Ablösung. Bei solchen «normalen» Konflikten sollte man akzeptieren, dass das Kind sein eigenes Leben leben möchte. Wichtig ist, im Gespräch zu bleiben oder Erlebnisse zu schaffen, die es ermöglichen, ins Gespräch zu kommen. Zudem sollte man sich bewusst sein, dass Kinder nicht immer Tipps und Lösungen benötigen, sondern manchmal einfach Dampf ablassen müssen. Oft ist es besser, einfach zuzuhören, als ungefragt Ratschläge zu erteilen.
Nun gibt es aber auch Mutter-Tochter-Beziehungen, die von langanhaltenden und bösartigen Konflikten belastet sind. Hilft da nur ein Kontaktabbruch?
In gewissen Fällen kann das der einzige Weg sein, um aus einer schwierigen Situation herauszufinden. Der Kontaktabbruch muss auch nicht immer für den Rest des Lebens gelten. Vielleicht helfen bereits einige Monate Abstand. Dann kann man für sich entscheiden, ob es einem ohne die andere Person besser geht oder ob man es nochmal gemeinsam versuchen möchte. Niemand ist verpflichtet, eine belastende Beziehung aufrechtzuerhalten.