Kürzlich betrachtete mein achtjähriger Sohn seinen nackten Oberkörper im Spiegel, machte Muckiarme, hielt dann plötzlich inne und fragte mich: «Warum haben Männer und Buben eigentlich Brustwarzen? Sie können ja nicht stillen, oder?»
«Stimmt», antwortete ich, überlegte kurz und sagte: «Ich weiss es ehrlich gesagt auch nicht. Was ich weiss, ist, dass die Haut dort sehr zart ist. Wie bei den Lippen. Und sehr empfindlich. Es ist schön sie zu berühren. Für Frauen wie für Männer.»
Diese Antwort reichte meinem Sohn bereits vollkommen (einmal mehr stellte ich erstaunt fest, dass Kinder gar nicht immer alles bis ins Detail wissen wollen. Eine knappe, einleuchtende Antwort stellt sie in vielen Fällen rasch zufrieden). Mama wollte trotzdem mehr darüber erfahren (und dem Junior eine umfassende Antwort geben können).
Schliesslich haben auch Kater, Eber und Stiere Brustwarzen – und versorgen ihre Jungtiere nicht mit Milch. Wozu also diese scheinbar nutzlose Verzierung bei männlichen Säugetieren?
Ob Männlein oder Weiblein, am Anfang unserer Existenz sind wir alle gleich. Da spielen Brustwarzen erstmals keine Rolle. Erst zwischen der achten und zehnten Schwangerschaftswoche bilden menschliche Embryonen ihre Geschlechtsmerkmale aus.
Das Y-Chromosom regt bei den Jungen die Entwicklung der Hoden an, die das Sexualhormon Testosteron bilden. Das sorgt dann dafür, dass sich das männliche Geschlechtsteil entwickelt und verhindert später, dass den Jungen Brüste wachsen.
Wenn das Y-Chromosom aktiv wird, ist das Thema Brustwarzen allerdings bereits erledigt, denn dieser Bereich unseres Körpers entsteht, bevor die Geschlechterfrage geklärt ist: Schon in der sechsten bis siebten Woche sind zwei Milchleisten angelegt, die von der Achsel bis zur Leiste reichen. Nicht nur Menschen, auch alle anderen Säugetiere bilden Milchleisten in dieser frühen Entwicklungsstufe.
Im Lauf der Embryonalentwicklung bildet sich die Milchleiste teilweise wieder zurück. Besonders spannend bei den Weibchen: Wie viel bleibt, hängt von der durchschnittlichen Anzahl der Nachkommen einer Art ab. Menschen und Elefanten behalten zwei «Zitzen», Kühe vier und Katzen acht.
Beim männlichen Embryo dagegen entwickelt sich im Verlauf der Schwangerschaft die Milchleiste vollkommen zurück. Was bleibt sind die Brustwarzen. Man kann diese also durchaus als verkümmerte Anlagen zur Milchbildung bezeichnen. Doch wozu das Ganze, wenn es am Ende doch nicht dafür gebraucht wird?
Man geht heute davon aus, dass es für die Natur einfacher ist, bei Embryonen vorerst den gleichen Grundbauplan zu setzen und erst später über die Hormone zu regeln, welches Geschlecht sie haben. Ganz nach dem Prinzip: Doppelt genäht hält besser.
Das macht die männlichen Brustwarzen, wenn man es nüchtern betrachtet, zum ausgedienten Überbleibsel eines effizienten Bauplans.
Noch sind wir nicht ganz fertig mit dem Thema. Es kann nämlich vorkommen, dass mehr als zwei Brustwarzen gebildet werden, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Die Rede ist dann von Polythelie. Die zusätzlichen Warzen sind in der Regel kleiner und wachsen entlang der ehemaligen Milchleisten.
Egal ob zwei, oder wie die Vielfalt der Natur es manchmal möglich macht, mehrere Brustwarzen: Völlig nutzlos sind sie beim Mann nicht. Den wichtigsten Punkt habe ich meinem Sohn in altersgerechten Worten bereits erklärt: Als erogene Zone erfreuen sie den Mann ebenso wie die Frau.