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  4. Expertin spricht über Kindergarten-Experiment ohne Spielsachen: Wie viel Spielzeug brauchen Kinder?

Uno, Lego, Slimy, Teddy, Puppe, Knete, und, und, und…

«Zu viele Spielsachen hemmen die Spielfreude»

In einem Basler Kindergarten mussten die Kinder während einiger Wochen auf sämtliches Spielzeug verzichten. Macht so ein Experiment auch zu Hause Sinn? Und welche Spielsachen braucht jedes Kind? Das haben wir eine Expertin gefragt.

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Zwei kleine Jungs spielen in der Küche Schlagzeug auf Töpfen

Wer braucht schon Spielzeug, wenn die Küche ein komplettes Schlagzeug bietet? Zwei kleine Buben haben Spass als Drummer.

Getty Images

Die Idee für das Projekt «Spielzeugfreier Kindergarten» ist gemäss des Basler Erziehungsdepartements im Rahmen der Suchtprävention entstanden. Denn Fachleute würden davon ausgehen, man sei weniger suchtgefährdet, wenn man eigene Ideen habe, seine Meinung vertreten könne, es gewohnt sei zu verhandeln und auch mal Langeweile aushalte.

Deshalb hatten die Mädchen und Buben in zwei Basler Kindergärten für einige Wochen statt Spielzeug nur noch Zeug zum Spielen zur Verfügung. Und natürlich ihre Gschpändli. Und tatsächlich: Nach einigen schwierigen Tagen fingen die Kinder an, Ideen zu entwickeln, Spiele zu erfinden und sich miteinander auszutauschen. Soweit so gut. Doch was sagt die Fachperson dazu?

Sabine Brunner, könnte es auch zu Hause Sinn machen, mal eine Weile auf alle Spielsachen zu verzichten?
Wenn meine Kinder klein wären, fände ich so ein Experiment spannend – aber nur, wenn sie einverstanden wären. Es ist wichtig, so etwas mit den Kindern gemeinsam zu planen, denn es ist ja ihre Welt, die man damit verändert.

Besitzen denn die Kinder heutzutage zu viele Spielsachen?
Es macht sicher Sinn, als Eltern gut darauf zu achten, dass ein Kind nicht von einer ganzen «Schwetti» von Spielsachen umgeben ist – dem Kind und der Umwelt zuliebe. Die Spielfreude wird gehemmt, wenns unübersichtlich wird. Die einzelnen Spielsachen werden dann wertlos, das Kind schafft es gar nicht, alles zu bespielen.

Schränken wir also die Menge ein – was sind denn sinnvolle Spielsachen?
Solche, die das Kind vollumfänglich in sein Spiel einbaut. Das kann alles sein, auch das scheinbar blödste Ding, das Erwachsene nur nervt. Das Kind muss ein spannendes Spiel daraus machen können. Dazu braucht es Inspiration, Spielfreude und Raum. Aber auch gute Spielpartner sowie Gesundheit und Fröhlichkeit.

Am Anfang kann man ja noch nicht wissen, was dem Kind gefallen wird.
Es ist wichtig, dass es Sachen auf verschiedenen Ebenen entdecken kann. Kinder wechseln ihre Vorlieben auch später immer mal wieder.

Dann könnte es Sinn machen, Spielzeug zum Beispiel in einer Ludothek auszuleihen statt zu kaufen?
Zum Teil ja, um Neues zu entdecken. Einige Dinge sollen dem Kind aber ganz allein gehören.

«Auch das scheinbar nervigste Spielzeug kann sinnvoll sein.»

Sabine Brunner, Psychologin und Psychotherapeutin

Wie richtet man die Umgebung für ein Kind idealerweise ein?
Wichtig ist, dass die Kinder Platz haben zum Spielen, dass also nicht alles vollgestellt ist. Am Anfang braucht ein Kind gar keine Spielsachen, Krabbelbabys räumen zuerst die unteren Schränke aus – Eltern müssen also darauf achten, dass sich dort nur Dinge befinden, die dafür geeignet sind, zum Beispiel Becher, Pfannen, Kellen. So beginnt das Kind, seine Umgebung zu entdecken. Bis es irgendwann in seinem eigenen Zimmer spielen möchte.

Was gilt es dort zu beachten?
Dass keine «tote Masse» herumliegt. Eltern sollten beobachten, was dem Kind im Augenblick Freude macht. Eine Zeit lang konstruieren Kinder gern etwas, dann mögen sie vielleicht Tierfiguren oder Dinge, die sie kognitiv herausfordern. Wichtig ist, dass man die Spielsachen immer wieder aussortiert und Dinge, die nicht mehr bespielt werden, verschenkt oder verkauft – mit dem Einverständnis des Kindes.

Und wenn sich das Kind nicht davon trennen mag?
Ich würde solche Aufräumaktionen mit dem Kind zusammen machen, und zwar regelmässig, damit die Übersicht nicht verloren geht. Falls es Mühe hat, etwas wegzugeben, kann man es auch einfach mal für eine Weile in einer Kiste im Keller aufbewahren.

Wie können Eltern ihren Kindern helfen, sich auch allein zu beschäftigen? 
Das kommt stark auf die Charaktere an, Kinder sind da sehr unterschiedlich. Haben sie Geschwister, mit denen sie gut auskommen, ist ja ohnehin immer jemand zum Spielen da. Wichtig ist, dass sich die Eltern dafür interessieren, was ihr Kind macht. Und was es schon kann. So fällt es ihnen leichter, ihm Anregung zu bieten, damit es sich ins Spielen vertiefen kann.

«Wichtig ist, dass man die Spielsachen regelmässig aussortiert.»

Sabine Brunner, Psychologin und Psychotherapeutin

Die Lehrpersonen der erwähnten Basler Kindergartenklassen schauen zufrieden auf die spielzeugfreie Zeit zurück und sind überzeugt, dass sich das Projekt positiv auf die einzelnen Kinder und auch auf das Gruppenverhalten ausgewirkt hat. Die Kinder hätten grosse Fortschritte beim Deutschlernen gemacht und gelernt, eigenverantwortlich Konflikte zu lösen, Spielideen zu entwickeln und kreative Lösungen für ihre Vorhaben zu finden. In Zukunft wollen die Lehrpersonen ihnen nicht mehr so viel Spielmaterial wie früher zur Verfügung stellen und das freie Spiel offener gestalten.

Berichte zum Projekt «Spielzeugfreier Kindergarten» erschienen auf 20 Minuten  und im Basler Schulblatt.

Sabine Brunner ist Psychologin, Psychotherapeutin und Mitglied des Fachteams am Marie Meierhofer Institut für das Kind.

Von Christa Hürlimann am 1. Juli 2020 - 17:17 Uhr