Es gibt kaum ein prägenderes Ereignis im Leben einer Frau, als ein Kind zur Welt zu bringen. Und wie das bei emotionalen Dingen häufig der Fall ist, hat fast jede und jeder eine eigene Meinung zum Thema Geburt – vor allem dazu, wie diese ablaufen sollte. Das bekommen besonders Frauen zu spüren, die öffentlich sagen, dass sie sich eine Geburt per Kaiserschnitt wünschen.
Kürzlich hat etwa die Autorin Rebekka Bräm auf mal-ehrlich.ch einen Text zum Thema «Tabu Wunschkaiserschnitt» veröffentlicht. Sie schrieb unter anderem, für ihr Umfeld scheine völlig klar zu sein, dass sie die vaginale Geburt anstrebe. Mit dem Wunsch, ihre Geschlechtsteile möglichst im Ist-Zustand zu belassen, fühle sie sich wie eine Rabenmutter. Den Instagram-Post zum Artikel kommentierten zahlreiche Frauen mit unterschiedlichen Ansichten. Eine Followerin schrieb: «Niemals würde ich mir freiwillig den Bauch aufschneiden lassen.» Eine andere meinte: «Bei einem Wunschkaiserschnitt von Selbstbestimmung zu sprechen, finde ich schwierig. Letztlich betrifft diese Entscheidung nicht nur die Frau, sondern auch ihr Baby.» Eine weitere Frau fand hingegen: «Ein Kaiserschnitt ist eine vollwertige Geburtsoption.»
Die Autorin hat ihr Kind mittlerweile zur Welt gebracht – und zwar doch ohne Kaiserschnitt.
Höchste Kaiserschnitt-Rate in Schaffhausen, Zug und Zürich
Gemäss dem Bundesamt für Statistik haben im Jahr 2023 rund ein Drittel der schwangeren Frauen per Kaiserschnitt geboren. Am höchsten ist die Kaiserschnittrate in den Kantonen Schaffhausen, Zürich und Zug mit jeweils rund 40 Prozent. Über die Hälfte der Eingriffe war geplant. Ausserdem gehört die Schweiz neben Italien und Deutschland zu den europäischen Ländern, in denen am häufigsten Kaiserschnitte vorgenommen werden.
Doch weshalb ist das so? Ziehen Schweizer Frauen den Kaiserschnitt grundsätzlich einer vaginalen Geburt vor? Zum Beispiel aus ästhetischen Gründen, weil sie auf Geburtsschmerzen verzichten wollen oder das Geburtsdatum plus-minus wählen möchten?
Reine Wunsch-Kaiserschnitte sind selten
Leonhard Schäffer, Chefarzt Geburtsklinik am Kantonsspital Baden, verneint: «Die meisten Frauen wünschen sich nach wie vor eine natürliche Geburt.» Es komme nur vereinzelt vor, dass Schwangere von Beginn an und ohne medizinische Notwendigkeit einen Kaiserschnitt möchten. Und auch bei diesen Fällen stellt Schäffer in Frage, ob man von einem «Wunschkaiserschnitt» sprechen kann, wie das oft getan wird: «In der Regel sind es häufiger Ängste vor der Geburt, als das Verfolgen eines bestimmten Lifestyles, die zum Entscheid für einen Kaiserschnitt führen.» Damit meint er Ängste vor Verletzungen wie Dammrissen oder vor dem Kontrollverlust durch die Unplanbarkeit einer vaginalen Geburt. «Auch Frauen, die bereits einen langen Weg zur Schwangerschaft hinter sich haben und sich künstlich befruchten liessen oder Fehlgeburten erlebten, thematisieren aus Angst ums Baby häufiger einen Kaiserschnitt», sagt der Gynäkologe.
Wichtig ist aus seiner Sicht, die Beweggründe der Mütter oder Paare genau zu eruieren und ihnen allfällige unbegründete Ängste zu nehmen. Reine Wunschkaiserschnitte, weil es eine Frau etwa als «zu anstrengend» erachtet, ein Kind auf natürliche Weise zu gebären oder aus praktischen Gründen einen Kaiserschnitt bevorzugt, seien selten und gelte es zu vermeiden. Am Ende liege die Entscheidung aber bei der werdenden Mutter.
Leonhard Schäffer ist Chefarzt Geburtsklinik am Kantonsspital Baden.
«Ein Kaiserschnitt ist nicht bloss ein kleines Schnittchen»
Dieser Meinung ist auch Fabienne Eberhard, Co-Präsidentin der Interessengemeinschaft der Geburtshäuser Schweiz (IGGH-CH). Sie hält es zudem ebenfalls für zentral, herauszufinden, weshalb eine Frau einen Kaiserschnitt möchte und sie entsprechend zu beraten. Eberhard gibt zu bedenken: «Ein Kaiserschnitt ist nicht bloss ein kleines Schnittchen. Es handelt sich um einen mittelschweren Baucheingriff.» Sie bedauert zudem, dass viele Frauen nicht wissen, dass sie durch die ganze Schwangerschaft ausschliesslich von einer Hebamme begleitet werden und erst, wenn Auffälligkeiten auftauchen, wieder an den Gynäkologen oder die Gynäkologin überweisen werden können. Das sei insofern schade, weil «Frauen, die durch Hebammen begleitet werden, häufiger natürlich gebären.
Aus ihrer Sicht muss die Kaiserschnitt-Rate gesenkt werden – auch unter Verweis auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Diese rechnet mit einer nötigen Rate von 15 bis 19 Prozent. Leonhard Schäffer vom KSB sagt dazu: «Jeder seriöse Geburtshelfer möchte keine allzu hohe Kaiserschnittrate und versucht, die Eingriffe zu vermeiden.» Und das, obwohl Spitäler damit mehr Geld verdienen als mit natürlichen Geburten – was Kritiker häufig als Ursache für die hohe Kaiserschnittrate nennen. «Ein geplanter Kaiserschnitt ist tatsächlich lukrativer», sagt Schäffer dann auch. Seriöse Geburtskliniken und -Helfende seien jedoch nicht von Gewinn-Maximierung getrieben.
Wenig Veränderung in den letzten 15 Jahren
Weiter weist der Gynäkologe darauf hin, dass die Kaiserschnittrate in der Schweiz bereits seit über 15 Jahren bei rund einem Drittel liegt. 2009 betrug sie beispielsweise 32.8 Prozent, und ist seither nur leicht gestiegen. Der grosse Anstieg fand zu Beginn der 00er-Jahre statt: 1998 erfolgten erst 22.7 Prozent der Geburten per Kaiserschnitt.
Als möglicher Grund für den damaligen Anstieg und die vergleichsweise hohe Kaiserschnittrate nennt Leonhard Schäffer die stärker gewichtete Patientenautonomie sowie das grössere Selbstbewusstsein der werdenden Mütter. «Die Frauen, die von Beginn an einen Kaiserschnitt möchten, sind meist sehr überzeugt von ihrem Entscheid.» Sie liessen sich weder von kritischen Stimmen beirren, noch von Fachpersonen umstimmen. Ausserdem würden den Eltern auch bei Kaiserschnitten, die unter der Geburt verlangt werden – etwa bei verzögerten Geburtsverläufen oder wenn die Alternative einer Saugglockengeburt abgelehnt werden – heutzutage deutlich mehr Raum zur Mitsprache gewährt.
Fabienne Eberhard sieht zudem unseren Wohlstand und ein hohes Sicherheitsbedürfnis als Faktoren. Sie sagt: «Für eine Spontangeburt muss man nichts unterschreiben. Bei einem Kaiserschnitt hingegen werden vorgängig alle möglichen Risiken aufgelistet.» Gehe etwas schief, sei schneller ein Schuldiger oder eine Schuldige gefunden. Eberhard hat den Eindruck, einige schwangere Frauen «wollen einerseits selbstbestimmt sein, aber nicht die volle Verantwortung für die Geburt übernehmen». Horrorstorys über Geburten aus dem Umfeld würden dann ihr Übriges tun: «Sie können dazu führen, dass Frauen weniger darauf vertrauen, dass unser Körper für die Geburt gemacht ist», sagt Eberhard.
Fabienne Eberhard ist Co-Präsidentin der Interessengemeinschaft der Geburtshäuser Schweiz (IGGH-CH).
ZVGLeonhard Schäffer beobachtet Ähnliches und betont deshalb im Gespräch mit schwangeren Frauen stets, wie wichtig eine positive Grundhaltung zur Geburt sei. Zugleich sei es sinnlos, eine Frau zu etwas zu überreden, das sie innerlich ablehnt. «Das trägt bestimmt nicht zu einem schönen Geburtserlebnis bei», so Schäffer.
Gesundheitliche Risiken sind umstritten
Dass ein Kaiserschnitt einen Einfluss auf die Bindung zwischen Mutter und Kind hat, glauben weder Leonhard Schäffer noch Fabienne Eberhard. Diskutiert werden jedoch gesundheitliche Risiken: Kinder brauchen häufiger Atemhilfe, Mütter haben unter anderem ein erhöhtes Infektionsrisiko und können später unter Verwachsungen der Narbe oder Komplikationen bei einer nächsten Schwangerschaft leiden. Fabienne Eberhard sieht ausserdem für die Babys darin einen Nachteil, dass sie bei einem Kaiserschnitt nicht mit dem Mikrobiom der Mutter in Kontakt kommen. Das könne langfristig das Risiko für Allergien, Asthma, Adipositas, Diabetes und Zöliakie erhöhen. «Wollen wir solche Gesellschaftskrankheiten reduzieren, muss auch die Kaiserschnittrate sinken, da hier ein Zusammenhang besteht.»
Leonhard Schäffer gibt zu bedenken, dass Kinder, die per Kaiserschnitt geboren wurden, tatsächlich eher an Allergien leiden. Jedoch wisse man wie bei den meisten anderen genannten Langzeitfolgen noch nicht, welchen Einfluss der Kaiserschnitt selbst darauf hat und welche weiteren Faktoren eine Rolle spielen. Das gelte es weiter zu erforschen.
Diese medizinischen Gründe machen einen Kaiserschnitt zwingend notwendig
- Die Plazenta liegt über dem inneren Muttermund
- Das Kind befindet sich in Querlage
- Bei einer Zwillingsschwangerschaft befindet sich der erste Zwilling nicht in Kopflage
- Es handelt sich um eine Schwangerschaft mit mehr als zwei Kindern
- Die Mutter leidet an aktiven Infektionen wie einer Herpes genitalis oder einer HIV-Infektion mit einer hohen Virusmenge
- Der Muttermund öffnet sich während der Geburt nicht oder nicht ausreichend
- Die Herztonkurve des Kindes deutet während der Geburt auf einen Sauerstoffmangel hin