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Kolumne zum Schulstart

«Der Schulstart ist auch für Eltern ein Meilenstein»

Der Schulstart ist nicht nur für die neuen Schülerinnen und Schüler ein wichtiges Ereignis, sondern auch für deren Eltern. Pro-Juventute-Direktorin Nicole Platel über die Einschulung ihrer Tochter. 

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<p>Nicole Platel (44) ist Direktorin der Stiftung Pro Juventute und Mutter zweier Töchter, 6 und 9 Jahre alt. Die ehemalige Olympia-Schwimmerin lebt mit ihrer Familie im Kanton Zürich.</p>

Nicole Platel (44) ist Direktorin der Stiftung Pro Juventute und Mutter zweier Töchter, 6 und 9 Jahre alt. Die ehemalige Olympia-Schwimmerin lebt mit ihrer Familie im Kanton Zürich.

ZVG

«Bist du nervös? Freust du dich auf die Schule?» Seit Wochen ist das die meistgestellte Frage an meine jüngere Tochter. Nach den Sommerferien kommt sie in die erste Klasse. Ein grosser Moment, auf den sie sich freut: Der neue Schulrucksack – türkis mit orangefarbener Libelle – steht seit Wochen prominent in der Garderobe und darf auf keinen Fall verräumt werden. Die Vorfreude ist gross, fast übermütig. Noch. Je näher der Tag rückt, desto spürbarer wird auch eine leise Unsicherheit, gestärkt durch all die gut gemeinten Fragen von aussen.

Der Schulstart ist ein gesellschaftliches Ereignis voll von Emotionen, Erwartungen und Ritualen. Als Mutter stehe ich mittendrin. Ich möchte mit meiner Tochter feiern, ohne sie zu überfordern. Ihr zeigen, dass dieser Tag besonders ist, und gleichzeitig, dass das Leben ganz normal weitergeht.


Übergänge sind emotionale Prozesse. Je älter das Kind ist, desto bewusster und manchmal auch schmerzhafter wird dieser Wandel erlebt. Meine ältere Tochter etwa wechselt dieses Jahr in die Mittelstufe. Neue Lehrperson, neue Klasse – und die Nachricht, dass zwei beste Freunde nicht mitkommen. Ein kleiner Abschied, der grosse Trauer ausgelöst hat.

Auch für mich als Mutter bedeutet das eine Gratwanderung. Ich will Halt geben, trösten, aber auch zumuten. Ich will meinen Kindern zutrauen, dass sie eigene Strategien entwickeln, mit Enttäuschungen umgehen und wieder aufstehen können. Nicht alles glätten, nicht jede Schwierigkeit aus dem Weg räumen. Sondern da sein – mit Liebe und Vertrauen. Das ist nicht immer einfach. Doch loslassen heisst nicht, sich zurückzuziehen. Es heisst, präsent zu bleiben. Nicht als Kontrolle im Vordergrund, sondern als Sicherheitsnetz im Hintergrund. Kein Drama, keine Panik, keine Smartwatch zur Standortüberwachung. Sondern Zuversicht. Ein inneres: Du machst das. Du kannst das. Und wenn etwas ist, bin ich da.


Schule ist mehr als ein Ort, wo Kinder lesen und schreiben lernen. Sie ist ein eigenes Ökosystem mit klaren Regeln und grossen Erwartungen. An Kinder. Und an Eltern. Zwischen Klassenchats, Schul-Apps, Pausensnacks und Freizeitorganisation verlieren wir manchmal das Wesentliche aus den Augen: dass Kinder vor allem Raum brauchen. Raum, um sich einzufinden. Um zu wachsen. Und um sich auch mal zu irren. Die Bandbreite an Gefühlen rund um den Schulstart ist gross. Freude, Stolz und Neugier stehen neben Unsicherheit, Überforderung oder Frust. Kinder müssen alle verarbeiten können.

Der Schulstart ist auch für Eltern ein Meilenstein. Einer, der Vertrauen verlangt. Und Mut. Vor allem den Mut loszulassen. Quasi als stillen Akt der Fürsorge. Wer Zuversicht ausstrahlt, stärkt das Selbstvertrauen des Kindes mehr als jeder perfekte Znüni.
Neue Schulkinder brauchen keine perfekten Eltern. Sie brauchen präsente, zugewandte Bezugspersonen, die ihnen zutrauen, ihren eigenen Weg zu gehen.
Für mich ist der Schulstart vor allem eines: eine Einladung loszulassen. Und wenn ich an diesem Montagmorgen auf dem Pausenplatz meiner Tochter zuwinke, weiss ich: Sie geht ihren Weg. Schritt für Schritt. Und ich bin da, wenn sie zurückkommt. «Wir sehen uns beim Zmittag.»

am 11. August 2025 - 07:00 Uhr