Jahrelang war der berühmte Familientherapeut Jesper Juul nicht mehr öffentlich aufgetreten. Die Transverse Myelitis, eine seltene Erkrankung des zentralen Nervensystems, hatte ihm solche Momente verunmöglicht. Eines seiner letzten Interviews führte er mit dem Schweizer Elternmagazin «Fritz+Fränzi» Ende 2017. Zuletzt lebte Juul zurückgezogen in seiner Heimat Dänemark, wo er am frühen Morgen des 25. Juli 2019 verstarb. Er wurde 71 Jahre alt.
Dies teilte das Institut Familylab, ein Elternberatungsprojekt, welches Juul 2004 mitgegründet hatte, unter Berufung auf Juuls Sohn Nicolai mit.
Mit über einem Dutzend Publikationen, darunter die Bücher «Nein aus Liebe» oder «Dein kompetentes Kind» wurde Jesper Juul zu einem der bedeutendsten Familientherapeuten des 20. und 21. Jahrhunderts. Seine Überzeugungen, dass Eltern eine Vorbildfunktion haben und Kinder vollwertige Menschen sind, die nicht erst geformt werden müssen, revolutionierten die Eltern-Kind-Beziehung.
- «Die Qualität von Eltern bemisst sich nicht nach den Regeln, die sie ihren Kindern vorgeben, sondern nach der Art ihrer Reaktion, wenn diese Regeln gebrochen werden.»
- «Kinder werden mit allen sozialen und menschlichen Eigenschaften geboren. Um diese weiterzuentwickeln, brauchen sie nichts als die Gegenwart von Erwachsenen, die sich menschlich und sozial verhalten.»
- «Wenn ich Kinder als kompetent bezeichne, dann meine ich damit, dass wir wichtige Dinge von ihnen lernen können. Dass sie uns durch ihre Reaktionen ermöglichen, unsere verlorene Kompetenz wiederzugewinnen und unsere unfruchtbaren, lieblosen und destruktiven Handlungsmuster loszuwerden [...] Wir müssen zu einer Form des Dialogs finden, den viele Erwachsene auch untereinander nicht beherrschen [...]»
- «Wenn wir unsere eigene Familie gründen, werden wir damit konfrontiert, dass die Überlebensstrategie, die in unserer Ursprungsfamilie gut funktioniert hat, in unserer neuen Familie nicht mehr so wirksam ist.»
- «Viele Eltern sind nicht daran interessiert, wie ihre Kinder wirklich denken und fühlen. Sie interessieren sich mehr dafür, wie Kinder zu denken und zu fühlen haben.»
- «Wenn die Erwachsenen nicht genug Zeit für sich selbst haben und die Eltern nicht für sich als Paar, dann widmen sie den Kindern unter Garantie zu viel Aufmerksamkeit. Kein Kind will Aufmerksamkeit. Es braucht Beziehung, will am Leben seiner Eltern teilhaben.»
- «Die Beziehung zu einem Kind ist keine Einbahnstrasse. Das Kind soll nicht nur entgegennehmen, was wir ihm geben wollen. Wir müssen auch bereit sein, das entgegenzunehmen, was unsere Kinder uns geben.»
- «Betrachten Sie Ihre Familie als neues und spannendes Projekt, dessen einzelne Teilnehmer nicht von vornherein bestens qualifiziert sind.»
- «Für die Atmosphäre in der Familie sind allein die Erwachsenen verantwortlich. Gefühle und Emotionen gehören ebenso dazu wie Körpersprache und Tonfall.»
- «Je mehr Druck ich aufbaue, umso mehr Widerstand erzeuge ich.»
- «Eltern sollten ihren Kindern gegenüber verantwortlich und treu sein. Sie sollen sich selbst nicht verleugnen, müssen zu ihren Ansichten und Erfahrungen stehen – dabei nur nicht ihre Kinder zwingen wie sie selbst zu sein.»
- «Belohnung ist die postmoderne Version von Bestrafung. Das schafft keine Nähe-Beziehung. Das ist ein Verhältnis zwischen Chef und Mitarbeiter.»
- «Man darf als Eltern durchaus Weinen, Schreien, Toben. Man darf das Kind nur nicht verletzen und kränken. Neoromantiker glauben, ihre Gefühle schaden dem Kind. Aber die Abwesenheit von Gefühlen schadet dem Kind!»
- «Wenn wir eine Beziehung haben, gegenseitigen Respekt und eine gemeinsame Sprache, können wir über alle Ängste, Sorgen und Widerstände miteinander reden.»
- «Glücklich zu sein ist keine Kunst. Die wirkliche Kunst ist zu wissen, was man tun kann, wenn man unglücklich ist.»