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Entsteht irreversibler Schaden?

Wie die Pandemie auf die kindliche Entwicklung wirkt

Abgesagte Veranstaltungen, Masken bei Betreuenden und Lehrpersonen - und sogar der Kontakt zu den Grosseltern ist nicht mehr uneingeschränkt möglich. Das Coronavirus verändert unsere Welt, während unsere Kinder gross werden. Muss uns das Sorgen machen? Eine Entwicklungspsychologin gibt Auskunft.

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Cute little girl with bunches looking out a large sunny window, inside a green wooden hut. Space for copy.

Isolation, Abstand, Angst: Viele Eltern Sorgen sich, dass die Pandemie bei ihren Kindern Narben hinterlassen könnte.

Getty Images

Kaum etwas hat das Leben unserer Kinder im Jahr 2020 so sehr beeinflusst wie die Corona-Pandemie. Plötzlich waren selbstverständliche Dinge wie ein Hallenbadbesuch oder die Übernachtungsparty bei Freunden nicht mehr möglich. Die Welt war plötzlich voller Masken. Und manche Eltern voller Angst.

Was macht das mit einem Kind? Zu dieser Frage äussert sich auf dem Familienportal Kleinstadt Claudia Roebers, Professorin für Entwicklungspsychologie. Eins vorweg: Die in sozialen Medien manchmal fast panisch diskutierte Befürchtung mancher Eltern, die Pandemie könnte die gesunde Entwicklung ihrer Kinder verhindern und Masken könnten seelische Narben entstehen lassen, entkräftet die Fachfrau. «Kinder können die Pandemie unbeschadet überstehen!» Welche Faktoren dafür entscheidend sind, erklärt sie im Interview.

Auf ältere Kinder wirkt sich die Pandemie stärker aus

Laut Roebers spielt das Alter der Kinder eine wichtige Rolle dabei, wie die Pandemie sich auf deren Entwicklung auswirkt. Babys und kleinere Kinder brauchten in erster Linie die Kernfamilie als Zentrum ihres Universums. Wenn ein Kleinkind eine Weile nicht das Hallenbad besuchen könne, habe dies auf seine Entwicklung keine Auswirkungen. Bei älteren Kindern sehe es weniger gut aus.

Denn während bei Kleinkindern die Eltern die wichtigsten Bezugspersonen sind, verschiebt sich das Gewicht bei Schulkindern hin zu Gleichaltrigen. Ist der Kontakt mit Gleichaltrigen über einen längeren Zeitraum eingeschränkt, so, wie im Lockdown, als die Schulen geschlossen wurden, kann das Selbstkonzept der Kinder leiden. Das bedeutet: «Die Kinder können sich zum einen weniger gut einschätzen, weil sie sich sonst immer mit ihren gleichaltrigen Kolleginnen und Kollegen vergleichen.»

Der Verlust des Selbstkonzepts sei jedoch kein nachhaltiger Effekt, so Roebers. Wird der Kontakt zu Gleichaltrigen wiederhergestellt, pendelt sich auch das Selbstkonzept wieder ein.

Eltern können viel auffangen

Solange die Schulen und Kindergärten in der Pandemie weiterhin geöffnet bleiben, sei per se keine Auswirkung auf die kindliche Entwicklung zu erwarten, so Roebers. Indirekte Folgen jedoch schon - besonders, wenn die Atmosphäre zuhause leidet. «Kinder sind Seismographen. Wenn die Eltern belastet sind, vielleicht Angst haben, sich zu infizieren, dann können Sie davon ausgehen, dass das auch eine Verunsicherung bei den Kindern zur Folge hat.»

Ausserdem wirke sich Stress auf die Fähigkeit der Eltern aus, responsiv und feinfühlig auf ihre Kinder zu reagieren. Dort liege ein Schlüssel dafür, ob bei den Kindern durch die Pandemie Narben entstehen: «Solange Eltern ihre Kinder feinfühlig beobachten und auf deren Bedürfnisse eingehen, können Kinder auch eine längere schwierige Phase problemlos überstehen.»

Daraus ergibt sich das Fazit, dass Eltern ihren Kindern am besten helfen können, indem sie eigenen Stress reduzieren und versuchen, ein wachse Auge auf die Kinder zu behalten, ihnen zuzuhören, ihre Signale zu lesen und auf sie einzugehen. 

Masken werden unnötig problematisiert

Was kleinere Kinder angeht, sorgen sich viele Eltern, dass die Maskenpflicht einen negativen Einfluss auf deren Sprachentwicklung haben könnte. Und dass den Kleinen durch fehlende Mimik bei ihren Kontaktpersonen ein Defizit entstehen könnte. Beide Befürchtungen entschärft Claudia Roebers: «Meiner Meinung nach wird hier etwas unnötig problematisiert.»

Auch Annika Butters vom Marie Meierhofer Institut für das Kind hat bei uns bereits darüber gesprochen, wie sich Masken bei Betreuungspersonen auf die kindliche Entwicklung auswirken.

«Es gibt ja immer noch Sprache und die non-verbale Kommunikation, die auch mit Maske funktioniert.»

Claudia Roebers, Professorin für Entwicklungspsychologie

Die Sprachentwicklung sei aus entwicklungspsychologischer Sicht etwas vom Robustesten, das es gebe. «Wir bringen eine angeborene Fähigkeit und eine starke, intrinsische Motivation mit, sprechen zu lernen, die kaum zu stören ist. Das ist eine evolutionär bedingte Fähigkeit, die sich nicht durch einige Wochen Maskenpflicht in einer Kita negativ beeinflussen lässt.»

Und dass das Lesen der Mimik mit Maske nicht möglich sei, entlarvt sie als Humbug. Natürlich könne es mal zu einem Missverständnis kommen. «Aber es gibt ja immer noch Sprache und die non-verbale Kommunikation, die auch mit Maske funktioniert. Kopf schütteln, mit den Händen gestikulieren etc.» Schlussendlich sei die Maske für Kinder doch nichts weiter als eine «ziemlich langweilige Verkleidung». 

Grundsätzlich davon auszugehen, dass die soziale Distanziertheit sich negativ auf die kindliche Entwicklung auswirke, sei nicht angebracht, so Roebers. «Es gibt auch Familien, die im Lockdown so viele Karten- und Gesellschaftsspiele gespielt haben wie noch nie, weil abends immer alle zuhause waren. Ich will die negativen Auswirkungen der Pandemie nicht kleinreden – aber es hat halt immer beide Seiten.» 

Die Fachfrau macht Mut, dass wir Eltern auf die Stärke und Anpassungsfähigkeit unserer Kinder vertrauen dürfen: «Kinder sind robuste Wesen. Sie sind anpassungsfähig und man kann mit ihnen reden.» Sie rät dazu, die Kinder regelmässig nach ihrem Befinden zu fragen. «Gibt es etwas, das dir Angst macht? Kann ich dir das erklären? Was sollen wir tun, damit diese Angst weniger wird? Dann sind sie schon auf dem richtigen Weg.»

Das ganze sehr empfehlenswerte Interview lest ihr auf dem Familienportal kleinstadt.ch.

Sylvie Kempa
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Von Sylvie Kempa am 4. Januar 2021 - 07:09 Uhr