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Hockeystar Jonas Hiller

«Ich freue mich darauf, mit den Kindern im VW-Bus zu übernachten»

Im Thurgau geboren, im Appenzellischen aufgewachsen, übers Sprungbrett HC Davos die Eishockeywelt erobert. Jetzt ist für Goalie Jonas Hiller mit 38 Jahren Schluss. Im Rückblick sagt er, was Geld nicht kann, erzählt vom härtesten Moment und von der Zukunft mit der Familie.

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Eishockey 2019 EHC Biel

Jonas Hiller mit seiner Frau Karolina und den Kindern Noelia, 5, und Leano, 2.

davidandkathrin.com

Jonas Hiller, das Coronavirus trifft auch die Sportwelt. Und beendet damit frühzeitig die Saison und somit Ihre Karriere. Sind Sie traurig?
Es geht. Ich hatte es befürchtet. Andererseits bleibt das in ein paar Jahren wohl nur eine Randnotiz.

Nach 20 Jahren als Profi gehen Sie nun in die Frühpension. Haben Sie ein mulmiges Gefühl?
Ich habe Respekt. Vorher war alles geregelt, ich hatte immer ein Ziel. Jetzt muss ich mich mit 38 neu definieren. Es gibt genügend Beispiele von Leuten, die pensioniert werden und dann Mühe haben. Sei es in der Partnerschaft oder mit sich selber. Bei mir passiert das jetzt einfach ein paar Jahre früher.

Sie haben zwei Kinder, Noelia und Leano. Bekommen die nun einen engagierten Vollzeit-Papi?
Jetzt, wo alles stillgelegt ist, habe ich sowieso viel Zeit für sie. Aber ich war auch zuvor schon oft für sie da. Wir verbrachten unter der Woche die Nachmittage zusammen. In Zukunft will ich noch mehr übernehmen. Damit meine Frau Karolina Freiheiten hat, ihr Pilates-Studio aufzubauen. Sie musste lange zurückstecken. Und ich freue mich auch darauf, mit den Kindern mal mit dem VW-Bus wegzufahren und zu übernachten. Sie sind fünfeinhalb und zweieinhalb Jahre alt. Jetzt kann man mehr machen.

Jonas Hiller ist ein Schweizer Eishockeytorwart beim EHC Biel in der Schweizer National League A unter Vertrag steht. Er wohnt in einem Smarthouse in Hinterkappelen. IM WOHNZIMMER Licht, Fenster, Vorhänge und Kameras sind übers Tablett bedienbar 9.Februar 2017 Esther Michel www.esthermichel.com

Im Haus in Hinterkappelen BE plant der Schweizer Hockeystar seine Zukunft.

Esther Michel

Sie haben eine grosse Karriere als Goalie hinter sich, spielten viele Jahre in der National Hockey League, waren eine Stütze der Nati. Was sticht für Sie heraus?
Schwierig, etwas herauszupicken. Nur schon als Profi auflaufen zu dürfen, war aufregend. Die Meistertitel mit dem HC Davos bleiben fest in Erinnerung. Ich war ja damals blutjung. Die ersten NHL-Spiele sind unvergesslich. Die Playoffs in Nordamerika, das All-Star Game. Aber auch die letzten vier Jahre in Biel waren emotional bereichernd. Sieben Jahre bei Anaheim in Kalifornien, zwei Jahre in Calgary in Kanada. Eine kleine Ewigkeit.

Wie präsent ist das noch?
Jedes Mal, wenn ich zu Hause an meiner Masken-Sammlung vorbeilaufe, denke ich daran. Als Kind träumte ich, in der Schweiz Profi zu werden. Dass es mir in die NHL gereicht hat, ist unglaublich.

Sie spielten mit Stars im Team, die Sie als Teenager bewunderten. Sie haben ein Märchen erlebt.
Das kann man sagen. Das Schönste war, jeden Tag gegen die Besten der Welt anzutreten. Du weisst, das ist die Elite. Es gibt keine talentierteren Spieler. Die Herausforderung ist es, gegen sie und mit ihnen zu bestehen.

Sie lebten in Kalifornien im schicken Newport Beach. Fehlt Ihnen im behäbigen Hinterkappelen etwas von diesem Lifestyle?
Vom Bergdorf Davos nach L.A. sind es Welten. Ich liebte die Gelassenheit der Leute. Sie wissen, wie man das Leben lebt. Vor der Arbeit gehen die Leute noch zum Surfen. Das ist grossartig. Das Unkomplizierte, Spontane fehlt mir und meiner Frau manchmal.

Alleine in Nordamerika haben Sie über 30 Millionen US-Dollar verdient. Wie wichtig war Geld im Rückblick? Wird es überbewertet?
Natürlich ist es schön, mit Hockey Geld zu verdienen. Aber die Millionen waren der Lohn für sehr viel Verzicht über viele Jahre. Darum hatte ich nie ein schlechtes Gewissen. Der Antrieb bleibt aber, gutes Hockey zu spielen. Du kannst noch lange Millionen verdienen: Wenn du keinen Erfolg hast, du keine Freude verspürst, macht dich das Geld nicht glücklich. Kein bisschen.

«Seit die Kinder auf der Welt sind, überlege ich mir, was ich hinterlassen will.»

Jonas Hiller
Foto: Philipp Schmidli. 28.8.2016, Muehleberg (BE): EHC Biel Eishockey Torhueter Jonas Hiller ist ein leidenschaftlicher Auto Fan.

Neben dem Kitesurfen hat Hiller ein Faible für Autos. «Aber ich bin am Umdenken. Ich frage mich, wie mein Fussabdruck aussieht.»

PHILIPP SCHMIDLI | Fotografie

Als Junior lag es nicht auf der Hand, dass Sie ein Grosser werden. Oft waren Sie Ersatz. Warum wurde aus Ihnen trotzdem ein Goalie-Star?
Es half, dass ich nie als grosses Talent galt. Es gab immer solche, die mir vor der Sonne standen. Also musste ich arbeiten. Ich merkte, wenn ich hart arbeite, komme ich weiter. Das hörte auch im Erfolg nie auf.

Haben Sie Ihr Arbeitsethos den Eltern zu verdanken?
Meine Eltern lebten es vor. Und sie investierten in mich. Als Eltern eines Hockey-Juniors weisst du, worauf du dich einlässt. Du opferst viele Stunden pro Woche. Darum bin ich auch dankbar, wie sehr sie mich unterstützt haben.

Wie zielgerichtet Sie sind, war 2019 zu sehen, als während der Playoffs Ihr Vater starb. Sie spielten weiter.
Diese Tage waren sicher mit die schwierigsten in meinem Leben. Mein Vater lag im Sterben, und ich musste mich auf meinen Sport konzentrieren. Allerdings wusste ich, dass er das so wollte. Weitermachen, nicht aufgeben! Es war sicher nicht einfach. Als wir dann ausschieden, kamen all die Emotionen, die ich auf die Seite geschoben hatte, in mir hoch. Da war ich einige Tage völlig am Boden. Das war hart.

Torhueter Jonas Hiller jubelt mit dem Meisterpokal

Jubel: 2002, 2005 und 2007 (Bild) wird Hiller Schweizer Meister mit dem HC Davos.

Valeriano Di Domenico/EQ Images

Sie kamen 2016 aus der NHL zurück in die Schweiz, gingen zum EHC Biel. Von der Weltbühne auf die Dorfbühne. Empfehlen Sie das auch anderen NHL-Spielern?
Mein Traum war es, meine Karriere in Nordamerika zu beenden. Andererseits stimmte es damals nicht mehr. Ich wusste, mit Familie geht es nicht mehr nur um mich. Und in der letzten Saison mit Calgary hatte ich den Spass am Hockey verloren. Ich brauchte eine Luftveränderung. In Biel konnte ich nochmals zeigen, was ich kann. Das mit der Welt- und Dorfbühne würde ich nicht ganz so sagen. Es war spannend zu sehen, was sich hier getan hatte.

Wie sehr leiden Sie mit der Schweizer Nati mit, die keine Heim-WM spielen kann?
Natürlich ist es sehr schade, dieses Erlebnis zu verpassen. Ich hoffe nun, dass die WM nur um ein Jahr geschoben und nicht ganz gestrichen wird.

Wird die Schweiz 2021 Weltmeister?
Es ist möglich. Wir haben gezeigt, dass wir nicht nur mitspielen. Es gibt mehr NHL-Spieler, die Schlüsselrollen haben. Das Schweizer Hockey entwickelt sich. Die Erwartungen müssen so hoch sein. Wenn wir mässige Ziele anvisieren, kommt nur Durchschnitt heraus.

«Ich hatte eine Wahnsinnszeit.»

Jonas Hiller
VANCOUVER, CANADA - APRIL 25: Mason Raymond #21 of the Vancouver Canucks drew a penalty for spraying Jonas Hiller #1 of the Anaheim Ducks during their NHL game at Rogers Arena April 25, 2013 in Vancouver, British Columbia, Canada. Anaheim won 3-1. (Photo by Jeff Vinnick/NHLI via Getty Images)

Jonas Hiller 2013 als NHL-Goalie der Anaheim Ducks im Spiel gegen Vancouver.

Getty Images

Sie haben ein Flair für schöne Autos. Schrauben Sie in Ihrer Garage künftig öfter an den Boliden herum?
Ich sagte einmal: Nach dem Hockey mache ich meine Auto-Projekte fertig. Autos faszinieren mich nach wie vor. Gleichzeitig denke ich um.

Inwiefern?
Ich frage mich, ob es Sinn macht, Auto zu fahren, die fossile Brennstoffe verbrennen. Mich interessiert die Technik, aber ich habe mich verändert. Ich frage mich, wie mein Fussabdruck aussieht. Als Skifahrer überlege ich mir nach so einem Winter, wohin wir steuern. Es gibt überall Alarmzeichen der Natur. Ich will, dass meine Kinder noch Ski fahren können, dass sie nicht nur von Fotos wissen, was Schnee ist. Es muss etwas passieren.

Sind Sie bereit zum Verzicht?
Ja. Und ich denke, das können alle. Wenn jeder mit dem Velo statt mit dem Auto ins Dorf fährt, kann etwas Grosses passieren. Seit die Kinder auf der Welt sind, überlege ich mir, was ich hinterlassen will. Ich bin verantwortlich. Ich will ihnen ein Vorbild sein.

05.02.2018; Kloten; EISHOCKEY - TRAINING SCHWEIZ; Neue Torhuetermaske von Jonas Hiller (SUI) (Andy Mueller/freshfocus)

Hinter der Maske: 2018 gibt Jonas Hiller den Rück- tritt aus der Schweizer Nati.

Andy Mueller/freshfocus

Sie sind in Urnäsch aufgewachsen. Haben Sie noch Kontakt ins Ausserrhodische?
Mein Vater wohnte dort, bis er starb. Wenn ich mal in der Gegend bin, kommen Erinnerungen hoch. Ich will mit meinen Kindern einmal in Urnäsch an den Skilift. Um ihnen zu zeigen, wo ich Ski fahren lernte. Ich hoffe, dass das in Zukunft mal klappt.

Sie sind Eigentümer von Gin-Kites, einer Kitesurf-Firma, investieren in weitere Firmen. Gehen Sie direkt in den Manager-Modus über?
Das Ideal wäre, 50 Prozent zu arbeiten, 50 Prozent für die Familie zu haben. Wie gesagt, sie hat jetzt Vorrang.

Die Zukunft sieht vielversprechend aus. Nur den Zeitpunkt Ihres Rücktritts bestimmte ein Virus.
Ich wollte es in den eigenen Händen haben, aufzuhören. Ideal ist es nicht. Aber übers Ganze gesehen, ist es kein Drama. Ich hatte eine Wahnsinnszeit.

Die Bieler um Goalie Jonas Hiller bejubeln den Sieg beim sechsten Playoff-Viertelfinalspiel der National League zwischen dem HC Davos und EHC Biel, am Donnerstag, 22. Maerz 2018, in der Vaillant Arena in Davos. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)

Umjubelt: mit seinen Bieler Teamkollegen nach einem Sieg im Playoff-Viertelfinal 2018 in Davos.

Keystone
Von Christian Bürge am 29. März 2020 - 08:09 Uhr