«Nana» war ein Star in Las Vegas

Schon als Zweijährige tanzt Cindy Gasser, wenn daheim im kanadischen Vancouver im Radio Musik läuft, durch die Küche. Als die Mutter das Töchterchen ein halbes Jahr später im Ballett anmelden will, heisst es dort, dass die Kleine noch zu jung sei – und frühestens als Dreijährige in der Schule aufgenommen werde. Also tanzt Cindy weiter durch die elterliche Küche, ehe sie sechs Monate später an der Ballettstange steht und Unterricht erhält: in Ballett-, Stepp- und Jazztanz.

Ein Scout wird Jahre später bei einem Tanzwettbewerb auf die 17-Jährige aufmerksam. «Er sagte, ich würde sehr gut tanzen, wollte wissen, wie gross und wie alt ich sei, und fragte, ob ich in Las Vegas für eine Lido-Show vortanzen könnte.» Im legendären Stardust Resort and Casino erhält sie zunächst einen Dreimonatsvertrag, danach einen Sechsmonats- und schliesslich einen Jahresvertrag als Tänzerin des berühmten Lido-Revuetheaters. Elf Jahre steht Cindy am Las Vegas Strip Abend für Abend auf der Bühne, arbeitet mit Showstars wie dem Magier-Duo Siegfried & Roy oder Paul Newman zusammen und macht Mitte der 1980er-Jahre einen Abstecher nach Europa, um für den Skistar, Modedesigner und Filmemacher Willy Bogner zu arbeiten.

Mit 17 ganz allein in «Sin City»

«Ich hatte in Las Vegas eine super Karriere», sagt die heute 64-Jährige rück-blickend. Dass die Eltern – der Vater ist Immobilienmakler, die Mutter Krankenschwester – sie als 17-Jährige allein von Vancouver nach «Sin City», wie die Wüstenmetropole wegen ihres quirligen Nachtlebens auch genannt wird, zügeln liessen, zeugt einerseits von einem grossen Vertrauen in die Tochter, andererseits von Cindys eigenem Ehrgeiz, ihrem Durchhaltewillen sowie einer bewundernswerten Selbstdisziplin. «Zwei Jahre arbeitete ich durch, ohne Ferien, ohne freien Tag. Aber ich war jung, und es machte mir Spass!»

Die Freude am Tanz hat sie bis heute nicht verloren. Trotz künstlichem Hüftgelenk schwebt sie bei den Proben für den Weihnachtszirkus Conelli durchs Zelt und zeigt den Tänzerinnen Schritt für Schritt, wie sie sich deren Performance vorstellt. Aktuell arbeitet sie rund 77 Stunden pro Woche. Nächstes Jahr ist sie 65, damit offiziell im Pensionsalter. Sie plant, ihr Pensum zu reduzieren.

«Vielleicht arbeite ich dann nur noch 60 Stunden», sagt die vierfache Grossmutter lachend. Enkeltochter Leyla (3) sitzt oft bei «Nana» – wie sie ihre Oma nennt – im Büro im Connyland in Lipperswil TG. Cindy geniesst diese Momente besonders. «Für unsere Söhne Jeremy und Tyron hatten Roby und ich oft nicht so viel Zeit.» Die Brüder führen das Unternehmen ihrer Eltern in die Zukunft. Jeremy (28) steht wie sein Vater mehr im Rampenlicht, Tyron (33) liebt es wie seine Mutter, im Hintergrund zu arbeiten. Wie die Eltern sind auch sie als starkes Paar im Connyland-Freizeitpark und Conelli-Weihnachtszirkus im Einsatz.

Kulturschock in der Schweiz

Kennengelernt haben sich Cindy und ihr Mann Roby – er ist fünf Monate jünger als seine Frau – ebenfalls in Las Vegas. In der Glitzermetropole ist der Schweizer in den 1980er-Jahren berühmt als «Roby Gasser und sein Seelöwe Adolph». Mit der Nummer trat Gasser ebenfalls im «Stardust» auf, wo er mit seiner «immer lustigen Art» das Herz von Cindy eroberte, obwohl sie anfangs «überhaupt kein Interesse» gehabt hätte, wie sie lachend erzählt. 1991 heiraten sie.

Einen Kulturschock erlebt Cindy, als sie vor 34 Jahren ihrem Mann Roby in die Schweiz folgt. «Vancouver–Las Vegas– Lipperswil. Ich hatte Heimweh, vermisste die Leute aus dem Showbusiness.» Sie lernt Deutsch, arbeitet sich ins Familienunternehmen ein, ist heute nicht nur als Choreografin und bei Kostümen erste Ansprechperson, sondern auch wenns ums Personal geht. «Sie hat ein untrügliches Bauchgefühl», attestieren ihr Ehemann Roby und die Söhne. Auf der Nase herumtanzen lässt sich Cindy also so leicht nicht.