Gegen das riesige blaue Trampolin und die Wassersprungschanze auf der Trainingsanlage in Mettmenstetten ZH hat selbst das SI-Team keine Chance. Die Augen von Noé Roth (24) leuchten – und schwups, ist er weg. Springt und juckt Salto um Salto, Schraube um Schraube, und die Puste scheint ihm niemals auszugehen. Die Freude auch nicht. «So wars schon, seit er klein war», sagt Papa Michel Roth (62) und lächelt seinem Sohn bei dessen wildem Treiben zu. «Er kann nicht still sitzen und liebt seinen Sport einfach. Auch deshalb ist er so erfolgreich.»
Backflips und Saltos: Auf der zwölf Meter hohen Sprungschanze wird pro Tag acht- bis zehnmal geübt.
Geri Born / Schweizer IllustrierteEs bleibt in der Familie
Noé Roth ist nicht nur der beste Schweizer Aerialist – zumindest im Moment ist er sogar der beste der Welt. Im März krönte er seine Karriere in St. Moritz mit seinem zweiten Weltmeistertitel. Und das mit einem der komplexesten Sprünge überhaupt, nur von der Crème de la Crème des Sports beherrscht: Mit einem «Back Double Full-Double-Full Full», was so viel heisst wie Dreifach-Rückwärtssalto mit fünf Schrauben, springt er zu Gold. «Es war ein Träumchen, diesen Titel zu Hause zu gewinnen. Und dann noch vor der ganzen Familie und den Freunden – so eine Chance bekommt man nur einmal im Leben», resümiert er. Einer aus seiner Familie ist sowieso immer dabei: Papa Michel ist gleichzeitig auch sein Trainer, und das schon immer. «Dass das so gut funktioniert, ist ein Privileg», ist sich der Vater bewusst», es könnte auch ganz anders sein.» Noé ergänzt: «Mit Papa zusammen zu reisen und alles zu erleben – ja, das ist sehr schön.»
Weltmeister und zweifacher Gesamtweltcup-Sieger: Noé Roths Schlafzimmer in Baar ZG ist gleichzeitig auch sein Pokalzimmer.
Geri Born / Schweizer IllustrierteBereits im Alter von 15 Jahren flog Noé durch die ganze Welt, nahm an Europacup-Wettkämpfen teil. Mutter Colette (57) sagte damals zu ihm: «Wenn du dann besser bist, komme ich auch zuschauen.» Prompt steht er mit 16 Jahren das erste Mal auf dem Podest und nimmt mit 17 Jahren an den ersten Olympischen Spielen in Pyeongchang, Südkorea, teil. «Ich war froh, dass Noé immer seinen Papa dabeihatte. Und immer noch hat», erzählt Colette. Nach dem Training sitzen die beiden Männer im heimischen Wohnzimmer in Baar ZG. Ob sie nie streiten, wenn sie so oft zusammen sind? Sie schauen sich an. Und prusten los. Schliesslich sagt Michel: «Früher mehr, als Noé noch jünger war. Da musste ich ihm mit den Hausaufgaben auf den Fersen sein!» Wieder lachen die beiden. «Für uns ist es einfach normal. Aber wir grenzen das ab: Im Training ist er der Misch, und zu Hause ist er Papa», erklärt Noé.
Gold und Bronze:In St. Moritz holte Roth Gold und zusammen mit Pirmin Wenger und Lina Kozomara im Aerials-Mixed den dritten Platz.
Geri Born / Schweizer IllustrierteWenn man Noés Stammbaum anschaut, wird schnell klar, von wem er das irrsinnige Talent und die Furchtlosigkeit hat. Man siehts auch, wenn man den Blick durchs Wohnzimmer schweifen lässt: Für Dekoration hat Familie Roth kein Geld ausgeben müssen. Die ganze Wohnung ist voll mit Abzeichen, Medaillen, Plakaten und Pokalen. Die Auszeichnungen zieren Tische, Wände und Regale. Die meisten sind von Noé. Aber nicht alle: Mama Colette, einst selbst Skiakrobatin, gewann 13-mal einen Weltcup und 1998 Bronze an den Olympischen Spielen im japanischen Nagano. Im Team verknallte sich damals Skiakrobat Michel in die junge Frau. «Mein bester Freund und ich haben uns beide in die schöne Colette verliebt. Irgendwann sagten wir zu ihr, sie müsse sich entscheiden», erzählt Michel und lächelt schelmisch. «Wie ich mich entschieden habe, seht ihr ja», sagt Colette und lacht. Seit 29 Jahren sind die beiden nun zusammen, seit 25 Jahren verheiratet. Michel selbst gewann zwei Weltcups, wurde aber früh Coach und brachte unter anderem Colette zu ihrer Bronzemedaille und ihrem Gesamtweltcup-Sieg 1995/96. «Ich liebe es einfach viel mehr, Trainer zu sein. Und mit Colette konnte ich ja schon perfekt üben, um später noch jemanden aus der Familie zu trainieren», erzählt Michel, und der Blick wandert zum Sprössling.
Eine fliegende Familie: Mutter Colette Roth: Aktiv von 1987 bis 1998, gewann 13 Weltcups und 1998 im japanischen Nagano Olympia-Bronze.
Vater Michel Roth: Aktiv von 1979 bis 1991, wurde1990 Europameister, gewann zwei Weltcups. Seit 1990 ist er Nati-Trainer.
Sohn Noé Roth: Aktiv seit 2017, gewann vier Weltcups, ist zweifacher Weltmeister und zweifacher Aerials-Gesamtweltcup-Sieger.
Geri Born / Schweizer IllustrierteGrosse Träume
Das Sommertraining ist in diesem Jahr besonders wichtig: Im Februar 2026 stehen die nächsten Olympischen Winterspiele an. 2018 wurde Noé 16., 2022 landete er mit dem Mixed-Team auf dem undankbaren vierten Rang. «Der Traum ist sicher Gold. Das Ziel ist eine Medaille. Aber ja, am liebsten Gold», erzählt er. Für Noé Roth gehts auch nach dem WM-Titel nur in eine Richtung: hoch hinausfliegen. Das eben, was der Akrobat der Lüfte liebt – und auch am besten kann.