Der Reis klebt, der Lachs flutscht, nur die Bambusmatte lässt sich partout nicht dazu bringen, das zu tun, was sie tun sollte – nämlich perfekte Makis zusammenhalten. Ratlos und mit flehendem Blick sucht Manuel Wiesner (39) Hilfe bei Sushi-Meister Kok Yean Lima. «Reis ist kein Beton. Er muss halten – aber nicht für die Ewigkeit», witzelt der 54-Jährige, ehe er seinem Chef nochmals vormacht, wie es funktioniert: «Einmal drehen. Zwei Finger oben, Daumen unten. Nicht quetschen, sondern führen!» – «Was für ein Glück, dass Manu das nicht für unsere Kundschaft macht», neckt Daniel Wiesner (42) ehe das Geschwisterpaar losprustet.
Unter der Anleitung des Sushi-Meisters versucht Daniel Wiesner (M.) Makis zu rollen. «Das ist mein erstes Mal. Sonst bin ich für alles, was im Hintergrund läuft, zuständig.»
Ellin AndereggBeide stehen im neuen «Negishi» am Zürcher Bahnhof Stadelhofen – ihrem mittlerweile 29. Restaurant. Was Anfang der 1990er-Jahre mit einem Sandwichladen der Eltern im Zürcher Seefeld begann, hat sich zu einem führenden Gastrounternehmen der Schweiz gemausert. Mit «Negishi», «Miss Miu», «Nooch», «Outback Lodge» und «Kitchen Republic» umfasst die Firmengruppe heute fünf Marken und beschäftigt rund 900 Mitarbeitende. Dass der Fokus auf asiatischer Küche liegt, hat einen simplen Grund: «Das funktioniert in der Schweiz kommerziell sehr gut.»
Trotz seiner Grösse bleibt das Unternehmen familiengeführt. Daniel und Manuel Wiesner, die aktuellen Co-Geschäftsführer, sind nicht nur Brüder, sondern auch Geschäftspartner und Teil einer Kultur, die auf Vertrauen, Mut – und manchmal eben auch auf Reibung baut. «Wir sind unterschiedlich, und das ist unsere Stärke», sagt Manuel. «Einer drückt aufs Gas, der andere zieht die Handbremse», ergänzt Daniel, «aber zum Glück nicht immer gleichzeitig.»
Geschwister mit gesunder Distanz
Damit es beim Duo sowohl privat als auch im Betrieb funktioniert, legten sie von Beginn an Regeln fest. Dazu zählt, dass sie das Vermächtnis ihrer Eltern Anita und Fredy nur gemeinsam weiterführen, dass Aufgabengebiete klar aufgeteilt und private Beziehungen zum Schutz vom Geschäft getrennt sind. Zudem werden weder Freunde noch die eigenen Partnerinnen angestellt. Regelmässig besuchen sie darüber hinaus ein Beziehungscoaching. «Wenn Geschwister so eng miteinander arbeiten, kann es sein, dass sich immer wieder irgendetwas aufstaut. Um Probleme möglichst geschmeidig überwinden zu können, hilft es uns, mit einer neutralen Person zu sprechen», erklärt Manuel. Und Daniel fügt an: «Das hat für uns mit Respekt und Interesse für das Gegenüber zu tun.» Ihre Verbindung als Brüder stehe über allem. Nur wenn sie intakt sei, könnten sie sich auch geschäftlich weiterentwickeln.
Bei Daniel (l.) daheim schwelgen die Brüder in Erinnerungen: «Als Familie sind wir viel gereist. Das hat unsere Eltern zu mutigen Gastroprojekten bewegt.»
Ellin AndereggWährend Daniel als kreativer Kopf an neuen Konzepten, Storylines und Designs tüftelt, hält Manuel das Fundament des Unternehmens im Backoffice wie dem HR, der IT und den Finanzen zusammen, gleist Prozesse auf und überwacht Standards. «Manchmal wäre ich gern etwas mehr wie er – und andersrum vermutlich auch», sagt er augenzwinkernd.
«Butter bis zum Rand» – ein Muss
Dass sie überhaupt in der Gastronomie starteten, war nicht selbstverständlich: Daniel studierte Betriebswirtschaftslehre, Manuel war als Treuhänder tätig. Doch die Erinnerungen an die Kindheit und den Laden der Eltern waren stets präsent. Während Gleichaltrige auf dem Pausenplatz Fangen spielten, verkauften die Brüder Bretzeln, brutzelten Würste oder halfen hinter der Glacevitrine aus. Nicht, weil sie mussten, sondern weil es selbstverständlich war. «Unsere Eltern jammerten nie. Sie lebten vor, was es heisst, Verantwortung zu übernehmen», sagt Daniel.
«Wir sehen uns täglich im Büro, privat eher selten.» Umso mehr geniessen sie Apéros wie diesen.
Ellin AndereggVater Fredy, früher der Patriarch im klassischen Sinn, und Mutter Anita, Herz und Ordnung des Betriebs, haben die beiden nicht nur geprägt, sondern ihnen auch früh das Vertrauen geschenkt. Später haben sie losgelassen – wenn auch nur mit Mühe. «Es war nicht immer leicht, weil man seine Eltern plötzlich auf Augenhöhe sieht – aber genau das war auch schön. Dass sie es uns wirklich zugetraut haben», sagt Manuel Wiesner stolz lächelnd.
Manches hat sich seit ihrer Übernahme geändert. Vor allem in einem Punkt: So haben sie im Unternehmen für flachere Hierarchien und für Lohntransparenz gesorgt – auch betreffend sich selbst. Sie zahlen sich jährlich je 241800 Franken aus. Was hingegen geblieben ist, sind Werte wie Sorgfalt, Direktheit – und Mama Wiesners berühmter Satz, der zur Unternehmensphilosophie samt dazugehörigem Buchtitel über die Familiengeschichte geworden ist: «Butter bis zum Rand». Was im Tagesgeschäft bedeutet: alles geben, nichts verheimlichen und nie am falschen Ort sparen.
Kennen sich seit zwölf Jahren und sind seit sieben Jahren ein Paar: Ana Garcia Simon und Daniel Wiesner.
Ellin AndereggSeltene Auszeit fernab der Gastro
Später am Tag kommen die Brüder wieder zusammen – diesmal in Daniels Wohnung mit Blick über die Dächer von Zürich. Ana Garcia Simon (37) Daniels langjährige Partnerin, hat aus ihrer Heimat Spanien aufgetischt: hauchdünnen Jamón Ibérico, Oliven und dazu eigene Tomaten vom Balkon. In ihren Händen: zwei perfekt gemixte Negroni. Die Stimmung ist gelöst. Keine Gäste, keine Zahlen, keine To-dos. «Solche Momente sind rar und uns gerade deshalb wichtig», sagt Daniel, ehe Manuel einhängt: «Hier gehts mal nicht um Entscheidungen.» Ana hebt kritisch die Augenbrauen, wirft den beiden einen ungläubigen Blick zu und lacht – sie kennt das Duo und dessen Art. «Irgendwann landet ihr sowieso wieder bei einem Businessthema!»