Je nach Licht schimmert die dünne Fischhaut der Trüsche bräunlich oder grünlich. Fast meint man, den ausgestopften Fisch riechen zu können, so lebensecht sieht er aus. Noah Ellena, 14, betrachtet das vor ihm auf einem Sockel stehende Tier konzentriert. Dann legt er los.
Mit beeindruckender Geschwindigkeit lässt er den Bleistift übers weisse Papier gleiten. «Ich liebe Zeichnen. Und Tiere», sagt Noah. «Obwohl, den Fisch hätte ich jetzt nicht unbedingt gewählt.» Den Kantschil findet er nämlich cooler. Aber den zeichnet schon ein anderes Kind. Halb so wild, später können die Tiere getauscht werden.
Museumspädagoge Ryser
Ein knappes Dutzend Zeichenfreudige besucht an diesem Mittwoch den Kurs «Tierzeichnen» im Naturhistorischen Museum Bern. Museumspädagoge Martin Ryser begrüsst alle, erzählt über jedes Tier einige Eckdaten, bevor er sich den Steinadler als Vorzeigemodell schnappt. Als Ryser berichtet, dass er einmal einen Adler beobachtete, der sich auf eine Katze gestürzt hatte, erfüllt ein kollektiver «Iihh»-Ausruf den Raum. Ryser beruhigt die Kinder. «Normalerweise fressen Adler Hasen oder Murmeli, keine Büsi.»
Die zu zeichnenden Tiere stammen nicht aus der Ausstellung. Sie sind lediglich im Workshop zu sehen, denn sie gehören zur wissenschaftlichen Sammlung und lagern üblicherweise in einem kühlen Raum. «Die Tiere sind mit Gift eingesprüht, so werden sie weniger von Schädlingen angegriffen», sagt Ryser. Also besser nicht berühren.
Mutter und Sohn
Auf einer Flipchart gibt der Pädagoge jetzt Tipps fürs Zeichnen. «Skizziert das Tier zuerst grob, und lasst falsche Striche stehen. Verliert euch nicht in Details.» Sagts und zeichnet binnen Sekunden den Umriss des Adlers nach.
Noah ist sichtbar im Element. «Wenn es geht, lasse ich keinen einzigen Kurs aus.» Seine Augen leuchten auf. Mutter Sachiyo, eine kunstliebende Grafikerin, nickt: «Noahzeichnet, seit er zwei Jahre alt war.» Er greift nach einem schwarzen Fineliner, zieht damit den zuvor mit Bleistift skizzierten Fisch nach. Hoch konzentriert radiert er als nächsten Schritt den Bleistift darunter weg.
Fisch auf Papier
Auf Farben verzichtet Noah, er mags Schwarz-Weiss. Und verfremdet. So bekommt Noahs Fisch nun noch riesige Augen, die an japanische Manga-Figuren erinnern. Kein Zufall. Noah ist halb Japaner und besuchte bis zur sechsten Klasse einmal in der Woche auch eine japanische Schule. Während des Kurses sprechen Mutter und Sohn denn auch häufig Japanisch zusammen, etwa wenn sie darüber diskutieren, wie oft und wann Noah am Gamen sei. Mutter und Sohn argumentieren in der fremden Sprache und stellen dann auf Deutsch fest, dass sie sich nicht einig werden können.
Talentierte Familie
Der Junge hat seinen eigenen Kopf, das kommt ihm auf dem Papier zugute. Kursleiter Ryser mag Noahs Art zu zeichnen aus zwei Gründen: «Noah ist einerseits sehr genau und bringt exakt das auf Papier, was er sieht.» Andererseits verfüge der Knabe über viel Fantasie, häufig etwa kombiniere er seine abgezeichneten Tiere mit Fabelwesen. Diese Qualitäten allerdings hätten einen Nachteil, sagt Ryser lachend: «Ich kann ihm bald kaum mehr etwas beibringen.»
Noah hilft anderen Kindern
Als der Kurs zu Ende ist und die anderen Kinder sich bereits verabschiedet haben, sitzt einer noch immer konzentriert am Tisch. Es ist Noah. Er ist beschäftigt mit dem Radiergummi, will letzte übrig gebliebene Bleistiftreste ganz entfernen. «Vielleicht bin ich ein Perfektionist, kann schon sein», meint er. Und schiebt dann grinsend nach: «Aber kein schlimmer.»
«Tierzeichnen» im Naturhistorischen Museum in Bern findet wieder an folgenden Tagen statt: 24. April, 29. Mai, 26. Juni, jeweils von 14 bis 16 Uhr.
Mehr Infos: www.nmbe.ch