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Interview mit Christina Egli, Co-Präsidentin der Pfadibewegung Schweiz

«In der Pfadi gibts keinen Leistungsdruck»

Die Pfadi brauche es mehr denn je, sagt Christina Egli. Die Co-Präsidentin der Pfadibewegung Schweiz erklärt, warum die Jugendorganisation die beste Lebensschule ist – und kritisiert den Bundesrat für geplante Sparrunden bei Jugend+Sport.

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<p>Als Elfjährige ist die Ostschweizerin Christina Egli der Pfadi beigetreten. Hier besucht sie die Pfadi St. Georg Gossau-Niederwil im luzernischen Winikon.</p>

Als Elfjährige ist die Ostschweizerin Christina Egli der Pfadi beigetreten. Hier besucht sie die Pfadi St. Georg Gossau-Niederwil im luzernischen Winikon.

Marco Bilic

Wer mit Christina Egli (46) der Co-Präsidentin der Pfadibewegung Schweiz, Mails oder SMS schreibt, erkennt schnell, dass sie all ihre Nachrichten stets auch mit Baixa unterschreibt. Es ist der Pfadiname der studierten Theologin, eine andere Form der Korrespondenz würde auch nicht passen. Denn: In Eglis Welt dreht sich fast alles um die Pfadi. So kennt sie manche tatsächlich nur unter ihrem Pfadinamen. Ihren Mann Thomas lernte sie «selbstverständlich» in der Pfadi kennen. «Wir werden nicht umsonst auch als die grösste Partnervermittlungsbörse der Schweiz bezeichnet.»

So hat die Pfadi nach und nach ihr Leben geformt. Das merkt man auch an diesem Sonntag in Winikon LU. Es ist Besuchstag der Abteilung St. Georg Gossau-Niederwil, die auf einer Anhöhe etwas ausserhalb des Dorfes ihr zweiwöchiges Sommerlager verbringt. Egli besucht ihre 14-jährige Tochter Selina. Eilig läuft sie im grünen Pfadihemd über die Wiese, an den hellbraunen Zelten vorbei. Als Egli ihre Tochter im Gewusel entdeckt, winkt sie ihr zu. Es wirkt für einen Moment so, als wäre Egli am liebsten selbst nochmals 14 Jahre alt, um ebenfalls am Lager teilnehmen zu können. Als Co-Präsidentin ist sie selber nicht mehr als Leiterin aktiv, getreu dem Motto «Junge leiten Junge» hat sie der jüngeren Generation Platz gemacht. Dafür kocht sie noch einmal pro Jahr in einem Ausbildungslager.

<p>Vertraute Runde: Christina «Baixa» Egli besucht ihre Tochter Selina «Shila» (r.) im Sommerlager. Auch ihr Mann ist Pfadimitglied.</p>

Vertraute Runde: Christina «Baixa» Egli besucht ihre Tochter Selina «Shila» (r.) im Sommerlager. Auch ihr Mann ist Pfadimitglied.

Marco Bilic

Es ranken sich viele Mythen um die berühmten Pfaditaufen. Es ist von Taufgetränken, gemischt aus Senf, Salatsauce und Konfitüre, die Rede. Christina Egli, was haben Sie bei Ihrer Taufe erlebt?

Ach, die Taufen! Da gibt es so viele Traditionen. Diese variieren aber von Abteilung zu Abteilung. Ich musste natürlich auch so einen Saft trinken. Es war aber nicht so schlimm. Ich glaube, es war Tomatensaft mit etwas Tabasco – gut verträglich. Häufig muss man auch irgendwelche kleineren Aufgaben lösen, etwa blind einer Stimme folgen oder einen Hindernisparcours absolvieren.

Oft finden diese Taufen mitten in der Nacht statt. Waren Sie nervös?

Angst hatte ich keine, aber etwas nervös war ich sicher. Ich glaube, ich war elf Jahre alt. Es war mitten in der Nacht in meinem allerersten Pfingstlager, und wie so häufig an Pfingsten hat es natürlich geregnet.

Die Jugend von heute steht oft in der Kritik: Sie würde zu viel am Handy sein, all ihre freie Zeit auf Social Media verbringen und Wald und Wiesen meiden. Braucht die Gen Z die Pfadi mehr denn je?

Ja, das würde ich sofort so unterschreiben. Und wir sind noch immer mega beliebt. In den letzten zehn Jahren sind unsere Mitgliederzahlen konstant gewachsen. Wir sind nach wie vor die grösste Kinder- und Jugendorganisation der Schweiz. Das liegt wohl auch daran, dass viele Eltern, die selbst in der Pfadi waren, ihre Kinder ebenfalls in die Pfadi schicken. Das war auch bei mir der Fall. Meine Mutter war schon in der Pfadi, deswegen wollte ich unbedingt dabei sein.

Was bietet die Pfadi im Gegensatz zu anderen Jugendgruppen?

Bei uns gibt es keinen Notendruck, keinen Leistungsdruck. Man muss nicht schnell sein oder hoch springen können. Jede und jeder ist willkommen, so, wie sie oder er ist. Die Hemden, die wir alle anhaben, sind ein Symbol dafür. Alle tragen dieselbe Farbe als ein Zeichen dafür, dass wir in der Pfadi alle gleich sind. Und wir gehen alle gleich und respektvoll miteinander um.

Sie sagen, dass viele Kinder und Jugendliche, die in der Pfadi sind, von ihren Eltern dazu motiviert worden sind. Wie steht es um die Durchmischung?

Das ist ein Aspekt, mit dem ich noch nicht zufrieden bin. In Sachen Inklusion hat die Pfadi noch Luft nach oben. Seit dem Inkrafttreten unserer neuen Strategie im vergangenen November gehört Diversität und Inklusion zu unseren sieben strategischen Schwerpunkten. Wir haben weniger Kinder mit Migrationshintergrund. Deswegen haben wir unsere Kommunikationsmittel überarbeitet. Es gibt heute Flyer in 17 Sprachen und moderne Videos, die zeigen, was Pfadi ist. Ein weiteres Beispiel ist das Projekt Pfasyl (eine Wortschöpfung aus Pfadi und Asyl), eine Art Angebot für Kinder mit Fluchtgeschichte.

Wie steht es um die psychische Gesundheit der Kinder?

Ich würde sagen, dass auch wir in der Pfadi merken, dass der Druck auf die Kinder und Jugendlichen enorm gestiegen ist. Unsere Gesellschaft erwartet ständig Leistung von ihnen. Für Krisen und Notfälle gibt es die Pfadi-Helpline, die 24 Stunden am Tag besetzt ist. Man kann uns kontaktieren, wenn das Zelt zusammengekracht ist. Aber auch bei schwerwiegenderen Problemen, und da haben wir in den vergangenen Jahren eine Zunahme festgestellt. Es gibt eine grössere Anzahl an Jugendleitern, die in ihrer Gruppe ein Kind mit psychischen Problemen haben und uns deswegen um Rat fragen. Wir verweisen diese dann an Fachpersonen. Grundsätzlich bin ich froh zu wissen, dass diese Kinder in der Pfadi sind.

Wie meinen Sie das?

Im Bundeslager in Goms, welches vor drei Jahren stattgefunden hat, haben wir gemeinsam mit der Pädagogischen Hochschule Zürich die Scout-Studie durchgeführt. Rund 650 Jugendliche haben an der Umfrage teilgenommen. Die grössten positiven Entwicklungen zeigen sich in Bezug auf die Kompetenz, sich als Kind oder Jugendlicher für die Gemeinschaft einzusetzen, den Selbst-wert, die Selbstkontrolle und die Durchsetzungsfähigkeit. Wenn es etwa darum geht, die eigene Meinung gegenüber anderen zu vertreten. Die Pfadi ist die beste Lebensschule, die man als Kind erhalten kann.

Mitte Juni hat der Bund angekündigt, dass er seine Beiträge für das Förderprogramm Jugend+Sport ab kommendem Jahr um 20 Prozent kürzen wird. Wie bedeutet dies für die Pfadi?

Ich bin noch immer schockiert und auch noch immer etwas ungläubig. Die angekündigten Sparmassnahmen würden der Pfadi massiv an die Substanz gehen, und am Ende sind es die Jugendlichen, die darunter leiden.

Inwiefern?

Die Pfadilager werden zu 40 bis 60 Prozent von Jugend+Sport finanziert. Jemand hat ausgerechnet, dass wir den Kindern keinen Zmorgen mehr geben könnten, um die Kürzungen aufzufangen. Das kann ja nicht die Lösung sein. Am Ende bleibt es an den Eltern hängen. Sie müssen mehr für die Lager bezahlen, was bei Familien mit mehreren Kindern nicht immer machbar ist.

<p>1907 gründete der Engländer Robert Baden-Powell die Pfadi. In der Schweiz startete die erste Pfadigruppe 1910. Die Pfadibewegung ist mit 50'000 Mitgliedern die grösste Jugendorganisation der Schweiz. Ob Pfi-La (Pfingstlager),<br />So-La (Sommerlager) oder He-La (Herbstlager) – die 1300 Lager sind beliebt.</p>

1907 gründete der Engländer Robert Baden-Powell die Pfadi. In der Schweiz startete die erste Pfadigruppe 1910. Die Pfadibewegung ist mit 50'000 Mitgliedern die grösste Jugendorganisation der Schweiz. Ob Pfi-La (Pfingstlager), So-La (Sommerlager) oder He-La (Herbstlager) – die 1300 Lager sind beliebt.

Marco Bilic

Es würde also die sozial schwachen Familien benachteiligen.

Genau. Aber nicht nur. Es sind noch weitere Kürzungen geplant. Wir erhalten auch Subventionen vom Bundesamt für Sozialversicherungen zur ausserschulischen Kinder- und Jugendförderung. Auch diese sollen um zehn Prozent gekürzt werden. Da wir damit die Ausbildungskurse der Pfadileitenden finanzieren, könnte dies Auswirkungen auf die Qualität der Kurse haben.

Was schlägt die Pfadibewegung Schweiz für eine Lösung vor?

Es wurden bereits Vorstösse eingereicht, die unter anderem verlangen, dass die Kantone die vom Bund angekündigten Kürzungen kompensieren. Manche Kantone würden mitmachen und manche nicht, was auch wieder gewisse Kinder und Jugendliche benachteiligen wird. (Egli schüttelt den Kopf.)

Sie wirken genervt.

Das bin ich auch. Ich kann null nachvollziehen, warum bei der Jugend gespart werden soll. Es gibt zig Studien, die belegen, dass Kinder und Jugendliche, die sich bei Jugend+Sport engagieren, langfristig mehr Sport machen und dies natürlich positive Auswirkungen auf die körperliche und mentale Gesundheit hat – für ein ganzes Leben. Wieso da kürzen, wenn nach hinten für den Staat mehr Kosten entstehen?

Das ist Christina Egli

Die Gossauerin ist seit November 2022 Co-Präsidentin der Pfadibewegung Schweiz, davor war sie Präsidentin der Pfadi Züri. Christina Egli ist ausgebildete Oberstufenlehrerin und Theologin. Am 1. August tritt sie in Flawil SG ihre erste Stelle als Pfarrerin an. Sie ist verheiratet und hat eine Tochter und einen Sohn.

Von Manuela Enggist am 26. Juli 2025 - 07:00 Uhr