So modern die Jugendherberge in Scuol mit Sichtbeton und Lederlounge in der Lobby daherkommt – in den Zimmern mit den Kajütenbetten kommt dann doch das gute alte Jugi-Gefühl auf. «Schon meine Kinder haben in den Ferien in Jugis mit Stockbetten geschlafen – sie wollten nur nie oben liegen», sagt Janine Bunte, 49, und schmunzelt.
Seit drei Jahren ist die Zürcherin, die mit ihrem Engadiner Mann Thomas, 57, und den Kindern Alessandra, 17, und Andri, 16, in Niederweningen lebt, Chefin der 49 Schweizer Jugendherbergen. «Die Coronapandemie hat auch uns hart getroffen – bis heute werden immer wieder Buchungen storniert», sagt Bunte. Wie etwa hier in Scuol, wo vor wenigen Tagen Schulen mit 100 Leuten ihre Wochenlager absagten.
«Weil wir unsere Kosten tief halten, kommen wir durch diese Krise hindurch.» Auch wenn die Organisation viel Arbeit bedeute. «Siebentagewochen waren normal», sagt Bunte. Zum Glück gebe ihr der Job viel Energie – da mache es ihr auch nichts aus, wenn sie zurzeit nur selten auf ihr Mountainbike steigen kann.
Schon als Zehnjährige träumte Bunte vom eigenen Hotel. Ihre Grossmutter nahm sie damals mit in die Ferien nach Ascona ins Hotel Riposo. «Sie war Stammgast und wurde herzlich empfangen. Ich durfte hinter die Kulissen schauen – in die Wäscherei, die Küche – und war begeistert!» Ihr Vater, der zusammen mit der Mutter in Zürich einen Textilbetrieb führte, hoffte indes, dass seine Tochter das Familiengeschäft übernimmt. «Ich machte schon früh für sie die Buchhaltung und durfte an den Textilmessen in Düsseldorf Modeluft schnuppern.»
Doch die Liebe zum Tourismus ist grösser. Bei ihrer KV-Lehre mit Berufsmatura geht Bunte durch die «Mövenpick-Schmiede», dann zieht es sie in die Berge: zuerst ins Hotel des heutigen Hotelleriesuisse-Präsidenten Andreas Züllig in Lenzerheide, danach für drei Saisons ins Hotel Belvedere in Scuol, wo sie an der Réception steht. «Da habe ich natürlich alle Vorteile, die man als junger Mensch bei der Arbeit im Skiferienort hat, genossen.»
Das Unterengadiner Dorf sei für sie deshalb immer ein «Nach-Hause-Kommen», sagt Bunte beim Rundgang durch die Minergie-Jugendherberge mit 164 Betten, in dessen Eingangsbereich hippe Taschen für die Abfalltrennung bereitstehen. «Nachhaltigkeit kommt bei unseren Gästen an. Zudem ist auch vegetarisches Essen immer gefragter», sagt die CEO, die zu ihren Terminen in der ganzen Schweiz stets mit dem Zug anreist und nur wenig, dafür gutes Schweizer Fleisch isst.
«Janine ist eine lässige und humorvolle Chefin», sagt Tom Unger, Leiter Food & Beverage, bei einer Partie Pingpong im Aufenthaltsraum. «Ich kann aber schon mal grantig werden», ergänzt Bunte. Dann, wenn es ihr zu langsam vorwärtsgehe. «Ich will einfach, dass wir was erreichen.»
Nach turbulenten Jahren mit roten Zahlen hat das Unternehmen die Wende geschafft. «Sind die Jugendherbergen bald die cooleren Hotels?», fragte die NZZ aufgrund der neuen Generation von Hostels mit Designermöbeln wie in Basel oder einem Spa wie in Saas-Fee VS. «Unser Ziel bleibt, Menschen mit weniger Budget Zugang zu Ferien, Kultur und Natur zu ermöglichen», sagt Bunte.
Aber natürlich seien die Ansprüche der Gäste – die Kategorie Familie wächst besonders stark – gestiegen. Deshalb habe man Kinderpreise eingeführt, und es gebe vermehrt Doppel- und Familienzimmer mit eigenem Bad. «Selbst da kommt man aber mit rund 60 Franken pro Erwachsener inklusive Frühstück günstig weg.»
Die Chefin in Turnschuhen und mit modischer Brille, die mit einer ansteckenden Begeisterung vom Feierabendbier auf der Sonnenterrasse der Jugendherberge Scuol schwärmt, passt zum neuen Image. «Dank meinen Teenagern weiss ich zum Glück auch, was angesagt ist.» Ihre Kinder machen neben dem Gymi beide die Ausbildung als Trainer für Kinder und Jugendliche im Ski alpin.
Bunte ist ein Jugi-Urgestein: Seit 25 Jahren arbeitet sie im Unterneh- men. Den Weg an die Spitze startete sie als Sachbearbeiterin in der Buchhaltung, war danach Regionalleiterin, später für Finanzen, IT und Personal verantwortlich, bevor sie in die Geschäftsleitung aufstieg. «Meiner Karriere hat es sicher geholfen, dass ich immer verfügbar war.» Sie und ihr Mann, der heute das von ihr gegründete Treuhandbüro führt, arbeiteten stets 100 Prozent. «Wir hatten den Luxus, dass meine Eltern drei Tage zu den Kindern schauten.» Die anderen Tage hätten sie sich aufgeteilt. «Mein Mann stand sehr früh auf, arbeitete im hauseigenen Büro, kümmerte sich dann um die Kinder, und wenn ich heimkam und übernahm, arbeitete er weiter.»
Dennoch betont Bunte, dass eine Karriere auch mit einem kleineren Pensum möglich sein muss. Vergangenes Jahr unterstützte sie die Forderung einer Frauenquote auf Führungsebene im Verband Hotelleriesuisse – denn obwohl in der Hotellerie 55 Prozent Frauen arbeiten, sind nur 3,6 Prozent der Kadersitze in weiblicher Hand. Der Antrag scheiterte knapp. «Nichts gegen Männer, sie haben mich immer gefördert, doch auf die Mischung kommt es an.»
Und wo gönnt sich die Tourismusfrau eigentlich selber Ferien? «Wir gehen gern ins Engadin oder an den Comersee. Meine Kinder wollen noch heute am liebsten in die Jugi!»