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Einschulung vs. Rückstellung

Ist mein Kind bereit für die Schule?

Schwingerkönigin Sonia Kälin schickt iher Tochter ein Jahr später in den Kindergarten. Lena kann zwar schon schreiben, ihre Eltern finden aber unter anderem, mit vier Jahren sei der Schuleintritt sehr früh. Ab wann ist denn ein Kind eigentlich reif für die Schule? Schulpsychologin Anuar Keller erklärt, worauf es ankommt.

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<p>Wann ist ein Kind schulreif? Das ist sehr individuell und kommt nicht nur auf praktische Fähigkeiten an. </p>

Wann ist ein Kind schulreif? Das ist sehr individuell und kommt nicht nur auf praktische Fähigkeiten an. 

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Früher hiess es: Wer mit der rechten Hand über den Kopf das linke Ohr berühren kann, ist schulreif. Ist da etwas dran, Anuar Keller?
Diese Übung sagt entwicklungspsychologisch nichts darüber aus, ob ein Kind die Einschulung meistern kann. Wir sprechen heute auch nicht mehr von Schulreife, sondern von Schulbereitschaft.

Wo liegt der Unterschied?
Der Begriff Schulreife stammt aus den 50er-Jahren. Damals dachte man, Entwicklung sei ein synchroner biologischer Ablauf – wie bei einem Apfel, der am Baum hängt, von sich aus reift und eines Tages so rote Backen hat wie alle anderen Äpfel. Aber so funktioniert kindliche Entwicklung nicht. 

<p>Anuar Keller (54) ist Kinder- und Jugendpsychologin und Vorstandsmitglied von Schulpsychologie Schweiz</p>

Anuar Keller (54) ist Kinder- und Jugendpsychologin und Vorstandsmitglied von Schulpsychologie Schweiz

ZVG

Wie dann?
Sie ist ein Zusammenspiel zwischen inneren und äusseren Faktoren: den Anlagen und Fähigkeiten des Kindes – Sprache, Intelligenz, Wahrnehmung, Motorik, emotionale und soziale Fähigkeiten – aber auch seiner Umgebung, der Familiensituation und ganz pragmatischer Fragen. Zum Beispiel: Wie lange ist der Schulweg, den es bewältigen muss?

Wie lässt sich also feststellen, ob ein Kind bereit ist für die Einschulung?
Wichtig ist nicht die Ausprägung einzelner Bereiche, sondern die Kombination aller Faktoren, die bei jedem Kind anders aussehen kann. Auch wenn sie sprachlich noch nicht ganz mitkommen, können sie schulbereit sein und Freude am Lernen mitbringen. In der Schule gehts ja nicht darum, zu zeigen, was man schon kann. Dort erhalten Kinder mit Schwierigkeiten auch gezielte Förderung und Unterstützung.

Was, wenn Eltern einem Kind emotional noch nicht die Ablösung zumuten wollen?
Zuerst sollte man die eigenen Beweggründe hinterfragen: Sind es Ängste, die man aufs Kind überträgt? Rückstellungen sollten nur im Interesse des Kindes geschehen – nicht, weil ein Schuleintritt für die Eltern emotional oder organisatorisch unbequem ist.

Zählt die Sorge, ein Kind könnte im Schulalltag überfordert sein?
Der Schulalltag ist voller Herausforderungen. Sie sind keine Bedrohung, sondern ein äusserer Anreiz für das Entwickeln neuer Fähigkeiten. Es hilft enorm, wenn Kinder früh Frustrationstoleranz, Selbstwirksamkeit und das sichere Ablösen von den Eltern üben dürfen.

Wie können Eltern diese Fähigkeiten fördern?
Indem sie ihrem Kind immer wieder zutrauen, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Viele Eltern greifen bei kleinen Schwierigkeiten vorsorglich ein, um zu helfen. Das ist lieb gemeint, aber besser wäre, das Kind das Problem selbst – allenfalls mit Unterstützung - lösen zu lassen. Das stärkt seinen Selbstwert, weil es spürt, dass seine Eltern ihm etwas zutrauen. Klappt es nicht sofort, lernt das Kind Frustrationstoleranz. Und wenn es die Aufgabe schliesslich schafft, spürt es Selbstwirksamkeit. 

Kann man auch Trennungsschmerz vorbeugen?
Ja, indem man Ausflüge mit dem Gotti oder den Grosseltern früh zulässt und fördert, lernt das Kind, dass es ok ist, wenn Mama und Papa nicht immer dabei sind. 

Welche praktischen Fähigkeiten sind wichtig?
Es geht nicht darum, dass Eltern ihren Kindern Lesen oder Rechnen beibringen – das lernen sie in der Schule. Selbstständigkeit ist wichtiger: alleine aufs WC gehen, sich umziehen, den Znüni auspacken. Wichtig ist auch, dass Kinder zu Hause erleben, wie man Gespräche führt. Eltern, die viel mit ihren Kindern reden und ihnen aufmerksam zuhören, fördern diese Fähigkeit.

Kann eine Rückstellung auch schädlich sein?
Eine spätere Einschulung bringt keinen Vorteil, wenn das Kind bereit wäre. Im Gegenteil: In den späteren Schuljahren kann es sich sozial fehl am Platz fühlen, wenn es an einem anderen Punkt steht als seine Klasse. Der Stichtag passt für die Mehrheit – aber eben nicht für alle. Viele Kantone haben zum Glück flexible Regelungen, und ich empfehle Eltern, sich mit Fachpersonen auszutauschen, um alle Chancen und Risiken dieser Entscheidung miteinander abzugleichen. 

<p>Es muss nicht das ABC sein: Kinder von klein auf mit allen Sinnen die Welt erkunden zu lassen, bereitet sie ganz nebenbei auf die Einschulung vor. </p>

Es muss nicht das ABC sein: Kinder von klein auf mit allen Sinnen die Welt erkunden zu lassen, bereitet sie ganz nebenbei auf die Einschulung vor. 

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Was, wenn ein Kind noch Defizite hat?
Wichtig finde ich auch, dass man nicht nur auf mögliche Defizite schaut, sondern ebenso auf die Stärken des Kindes. Diese Ressourcen sind oft der Schlüssel, um Herausforderungen im Schulalltag gut zu bewältigen.

Was sollten alle Eltern wissen?
Kinder brauchen für eine gesunde Entwicklung von Anfang an Phasen der Regeneration. Und damit meine ich nicht Bildschirmzeit. Sie kann zwar beruhigend wirken, bringt Kinder aber in eine passive Konsumhaltung mit Suchtpotenzial. Erholung passiert durch Erleben des Körpers: Kneten, mit Wasser spielen, basteln, sich dreckig machen. Das kann wild wirken, ist für das klindliche Hirn aber wie eine Meditation. 

Von Sylvie Kempa (Service-Team) am 15. August 2025 - 18:00 Uhr