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Hilfe im Umgang mit Emotionen

«Kinder sollen lernen, dass auch negative Gefühle ok sind»

Kinder lassen ihren Frust und ihre Wut oft ungefiltert raus. Für die Eltern ist das anstrengend. Dennoch ist es wichtig, dass Kinder ihre Emotionen nicht unterdrücken, sondern vielmehr lernen, mit ihnen umzugehen. Dabei brauchen sie aber die Hilfe ihrer Bezugspersonen. Eine Expertin erklärt, wie Co-Regulation funktioniert.

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Co-Regulation: Kinder brauchen die Unterstützung der Eltern, um ihre Emotionen regulieren zu können.

Für Kinder ist es oft nicht einfach, mit ihren Emotionen umzugehen. Die Eltern können ihnen dabei helfen.

Getty Images

Früher oder später ist es bei allen Kindern so weit: Sie kommen in die Wut- und Trotzphase. Scheinbare Nichtigkeiten veranlassen sie dazu, laut zu schreien, sich auf den Boden zu werfen oder gar um sich zu schlagen. Die Eltern wünschen sich bloss eines: Dass sich das Kind möglichst rasch beruhigt. Oft sagen sie dann Sätze wie: «Das ist doch nicht so schlimm.» Meist finden diese beim Kind jedoch kein Gehör. 

Kein Wunder. Regen wir uns auf, möchten wir schliesslich auch nicht, dass unsere Emotionen abgetan werden. Genauso geht es Kindern. Für ihre Entwicklung ist es zudem wichtig zu erfahren, dass auch negative Emotionen zum Leben gehören. Dabei benötigen sie aber Unterstützung. Diese können Eltern mittels Co-Regulation leisten. Sabine Kinzer, Beraterin bei der Mütter- und Väter-Beratung der Pro Juventute erklärt, was es mit dem Erziehungsansatz auf sich hat und worauf es zu achten gilt.

Sabine Kinzer, was bedeutet Co-Regulation?

Co-Regulation steht dafür, dass einem jemand anderes hilft, seine Gefühle wahrzunehmen, zu benennen und zu regulieren. In einer Eltern-Kind-Beziehung heisst das, dass die Eltern ihre Kinder durch ihre Gefühlswelt begleiten und ihnen zeigen, dass sie auch negative Gefühle zulassen dürfen.

Wie geschieht das im Alltag konkret?

Wichtig ist, den Kindern dabei zu helfen, zu verstehen, was in ihnen vorgeht und diese Gefühle zu benennen. Werfen sie sich etwa in einem Trotzanfall auf den Boden, können die Eltern darauf reagieren, indem sie sagen: «Ich verstehe dich. Du bist jetzt wütend.» Hat die Wut des Kindes ihren Ursprung darin, dass ein Elternteil zu etwas «Nein» gesagt hat, kann man nochmal ruhig und sachlich seinen Standpunkt erklären. Lässt es das eigene Nervenkostüm zu, sollte man zudem während eines Wutanfalls beim Kind bleiben und nicht das Zimmer verlassen.

Die Expertin

Sabine Kinzer, Pro Juventute

Sabine Kinzer ist Mütter- und Väter-Beraterin bei der Pro Juventute.

ZVG

Was gilt es während eines Wutanfalls zu vermeiden?

Aussagen wie: «Sei jetzt nicht wütend.» Oder: «Stell dich nicht so an.» Die Kinder sollen erfahren, dass alle Gefühle ihre Berechtigung haben. Dass sie auch dann unterstützt und geliebt werden, wenn sie wütend sind. Ebenfalls raten wir, die Kinder nicht vom Boden aufzuheben und zu früh auf sie einzureden. Dadurch werden sie oft noch wütender. Besser ist es, ruhig zu bleiben und zu warten, bis sich das Kind beruhigt hat. Meist geht der Zorn irgendwann in ein Weinen über. Dann kann man das Kind einfach in den Arm nehmen und in der Regel ist die Welt bald wieder in Ordnung. Wichtig ist ausserdem, dass man zwischen Tat und Täter unterscheidet.

Was meinen Sie damit?

Ich nenne ein Beispiel: Das Kind hat in der Wohnung Fussball gespielt und die Fensterscheibe zertrümmert. Dann sollte man sich auf die Tat fokussieren und zum Ausdruck bringen, dass es nicht toll war, dass das Kind die Scheibe beschädigt hat und man als Eltern eine solche Tat nicht toleriert. Nichtsdestotrotz wird das Kind so geliebt, wie es ist.

«Die Kinder sollen erfahren, dass sie alle Gefühle zulassen dürfen. Dass sie auch dann unterstützt und geliebt werden, wenn sie wütend sind.»

Angenommen, das Kind hat bereits die fünfte Fensterscheibe mit dem Fussball beschädigt. Muss man dann noch immer verständnisvoll bleiben?

Nein, man sollte auch nach dem Ansatz der Co-Regulation Grenzen klar aufzeigen. 

Wie gelingt das am besten?

Macht man dem Kind eine «Ansage», sollte man sich auf Augenhöhe begeben – also in die Knie gehen – und ihm die Hände links und rechts leicht auflegen. Studien haben nämlich gezeigt, dass Kinder Gesagtes besser aufnehmen, wenn man mit ihnen Augen- und Hautkontakt hat. Dann erklärt man, warum das Verhalten nicht in Ordnung war. Beim Beispiel mit dem Fussball wäre das etwa, dass in der Wohnung nicht getschuttet werden darf, weil man nicht noch mehr Geld für kaputte Fensterscheiben ausgeben kann und will. Ist das Kind bereits alt genug, kann man fragen, ob es alles verstanden hat und lässt es das Gesagt wiederholen. Zum Abschluss der Situation kann man sich die Hände schütteln und sagen: «Gut, wir haben jetzt gemeinsam eine Vereinbarung getroffen.»

«Studien haben gezeigt, dass Kinder Gesagtes besser aufnehmen, wenn man mit ihnen Augen- und Hautkontakt hat.»

Was hilft, wenn man merkt, dass die eigene Wut hochsteigt?

Es ist verständlich, dass solche Situationen auch für Eltern anspruchsvoll sind. Spürt ein Elternteil, dass er wütend wird, könnte er zuerst versuchen, ruhig bis zehn zu zählen. Hilft das nicht, verlässt man doch besser den Raum, macht sich einen Kaffee oder einen Tee und streckt mal den Kopf zum Fenster raus, um frische Luft zu atmen. Hat das Kind immer wieder Wutanfälle, ist es wichtig, als Elternteil gut zu sich zu schauen, sich Zeitfenster für den persönlichen Ausgleich zu schaffen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn man an die Grenzen kommt. Neben einer rund um die Uhr verfügbaren Elternberatung bietet Pro Juventute zu Randzeiten auch eine spezifische Mütter- und Väterberatung für Eltern von Babys und Kleinkindern bis fünf Jahre per Telefon, WhatsApp und Chat an.

Beratungsangebot Pro Juventute

Die Mütter- und Väterberatung der Pro Juventute kann per Telefon und Chat kontaktiert werden.

ZVG

Warum ist es so wichtig, dass Kinder realisieren, dass negative Emotionen in Ordnung sind?

Weil das ihre emotionale Gesundheit und Resilienz stärkt. Sie fühlen sich dadurch selbstbewusst, verstanden und zugehörig. Werden Gefühle wie Wut im Kindesalter negativ beurteilt, unterdrückt oder ignoriert, kann das dazu führen, dass diese Menschen im Erwachsenenalter ihre Emotionen weniger gut regulieren und ausdrücken können. Dies kann sich wiederum negativ auf die Konfliktfähigkeit, die Impulskontrolle oder die psychische Gesundheit auswirken. Deshalb ist es zentral, dass Kinder bereits früh lernen, ihre Emotionen zu verstehen, zu akzeptieren und konstruktiv damit umzugehen.

Von fei am 20. Mai 2024 - 12:00 Uhr