Der Räuber Hotzenplotz hat wohl schon manchem Kind den Schlaf geraubt. So auch der vierjährigen Lila, nachdem ihr Papa ihr erstmals den Kinderbuchklassiker von Otfried Preussler vorgelesen hat. In der Folge hängt Michael Krummenacher, 37, ein Schild an die Wohnungstür, auf dem steht: «Räuber Hotzenplotz verboten». Ein Nachbar – der Regisseur weiss bis heute nicht, welcher –, setzt daraufhin ein Feenfigürchen vor die Tür. Zusätzlich bringt Krummenacher noch einen Stein aus der Hotzenplotz-Höhle vom Filmset nach Hause, als Geschenk für die kleine Freundin des Räubers. Beides findet seinen Platz auf der Fensterbank des Kinderzimmers. Seither schläft Lila wieder ruhig.
Noch vor einiger Zeit habe er sich kaum vorstellen können, ein Kinderbuch zu verfilmen, sagt Michael Krummenacher. Aber das Drehbuch der Dialektverfilmung von «De Räuber Hotzenplotz» anlässlich des 60. Geburtstags des Buchs hat es ihm angetan. «Ausserdem war dies tatsächlich mein Lieblingsbuch als Kind.» Die Geschichte um die Freunde Kasperl und Seppel, die gestohlene Kaffeemühle der Grossmutter und den Zauberer Zwackelmann sei «ein faszinierender Mix aus Märchen und Abenteuergeschichte». Und natürlich habe ihm als Vater die Vorstellung gefallen, einen Film zu machen, den auch seine Kinder sehen können.
Eine erste familieninterne Visionierung fällt positiv aus. «Ich finde den Film gut und manchmal ganz schön spannend», erklärt Lila, die zum ersten Testpublikum gehört. Aber nicht nur im Hause Krummenacher kommt das Werk gut an. Am Filmfest in München, wo es Premiere feiert, wird es mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Auf diesen hofft Michael Krummenacher nun auch am Zurich Film Festival, wo «De Räuber Hotzenplotz» am 24. September und am 1. Oktober im Rahmen der Reihe «ZFF für Kinder» zu sehen ist. Die Titelrolle spielt übrigens Nicholas Ofczarek, bei uns bekannt aus dem Film «Sennentuntschi».
Auf die Faszination für Hotzenplotz folgt in Michael Krummenachers Kindheit recht bald die für «Jurassic Park». «Ich war neun, als der Film herauskam, und durfte ihn natürlich noch nicht schauen», erinnert er sich. Sein Vater schenkt ihm allerdings ein Buch zum Film. «Zuhinterst waren Drehbuch und Filmskript abgebildet. Das fand ich unglaublich spannend.» Sein Berufswunsch fortan: Dinosaurierforscher. Während seiner Zeit am Gymnasium in Schwyz weicht dieser allerdings der Liebe zum Film. Michael beginnt, eigene Kurzfilme zu drehen, für die er «immer wieder Freunde als Schauspieler missbrauchte», wie er grinsend erzählt.
Nach der Matura zieht es ihn für einen Filmworkshop nach New York. Danach bereitet sich Krummenacher auf die Aufnahmeprüfung für das Regie-Studium in München vor. «Eigentlich wollte ich mich gar noch nicht bewerben, ich wollte lediglich den Aufwand für eine spätere Bewerbung abschätzen können», erzählt er. Nachdem er diesen nun aber schon betrieben hat, reicht er die Bewerbung trotzdem ein – und bekommt prompt einen der begehrten Studienplätze an der Hochschule für Fernsehen und Film in der bayrischen Landeshauptstadt. Bei einem gemeinsamen Projekt lernt er seine jetzige Frau Gwendolin, 39, kennen, die heute als Film- und TV-Produzentin arbeitet. So halten nicht nur der Job, sondern auch die Liebe und später die Familie den Innerschweizer in München.
Bei der Arbeit spreche er mittlerweile lieber Hochdeutsch als Dialekt, sagt der Regisseur. Dies, obwohl er einen seiner bisher grössten Erfolge mit einer Schweizer Produktion feiert. «Heimatland» ist 2016 für den Schweizer Filmpreis nominiert und gewinnt unter anderen den Max Ophüls Preis, den Berner Filmpreis und den Filmpreis der Stadt Zürich. Er fühle sich seiner Heimat nach wie vor sehr verbunden, sagt Michael Krummenacher. So oft wie möglich besucht er seine Eltern und seine Schwester in der Schweiz. Dialekt spricht er allerdings nicht mit seinen Kindern. «Aber verstehen tu ich alles», erklärt Lila keck.
Es sei überhaupt erstaunlich, wie viel so ein kleines Persönchen zuweilen mitbekomme, meint Michael Krummenacher. «Kürzlich habe ich auf dem Spielplatz zugehört, wie Lila mit einer Freundin eins zu eins einen Dialog aus ‹Hotzenplotz› nachsprach.» Wenn sie ihren Vater bei der Arbeit auf dem Set besuchte, seien die Figuren für sie zwar durchaus real gewesen. Trotzdem weiss Lila genau, was ihr Papa für einen Beruf hat: «Er sagt den Schauspielern, was sie machen müssen!»
Dieser Job hält ihn gerade ziemlich auf Trab. Momentan ist er mit der Postproduktion seines ersten «Tatorts» beschäftigt sowie mit dem Schweizer Kinofilm «Landesverräter» und mit einer deutschen TV-Serie. Für die beiden Letzten hat er jeweils das Drehbuch selbst geschrieben (erste Texte dazu tippt er übrigens immer auf einer alten Olympia-Schreibmaschine). «Ich mag es, verschiedene Dinge gleichzeitig am Start zu haben, auch wenn es öfter mal eine Herausforderung ist.» Zumal ja auch noch die Familie einen guten Teil seiner Zeit beansprucht. Zum Glück ist der vier Monate alte Lino «das gechillteste Baby der Welt». Und wenn eine Kindergeschichte zum Job gehört, wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tatsächlich zum Kinderspiel. Zumindest für eine gewisse Zeit.